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Krieg in NordgazaDie Hungersnot wächst

Im Norden des Gazastreifens wurden zahlreicher Felder und Gewächshäuser zerstört. Bei einem Luftangriff starben 93 Palästinenser.

Beit Lahia im Norden Gazas am 30. Oktober Foto: rtr

Berlin taz | Samen waren die „einzige Hoffnung“ des 24-jährigen Farmers Yousef Abu Rabie, um den Hunger im Norden Gazas zu bekämpfen. Nachdem er im Dezember vor dem Einmarsch israelischer Truppen aus dem Norden von Gaza flüchtete, kehrte er im April zu seinen zerstörten Feldern in Beit Lahia zurück. „Mehl, Gemüse, Fleisch – alles war nicht verfügbar. Daher hatte ich die Idee, anzubauen“, sagte er den Nachrichtenagentur Reuters im August. Er rettete Samen aus dem Schutt, züchtete Stecklinge. Am 21. Oktober 2024 wurde er durch einen israelischen Luftangriff getötet.

Durch Israels jüngste Offensive im Norden des Gazastreifens wurden nach palästinensischen Angaben etwa 100.000 Menschen von Nahrung und medizinischer Versorgung abgeschnitten. Der Katastrophenschutz nannte am Montag Dschabalia, Beit Lahia und Beit Hanun als betroffene Orte. Die drei Krankenhäuser der Region teilten mit, sie könnten kaum noch den Betrieb aufrechterhalten. Zwei gaben an, durch israelischen Beschuss beschädigt worden zu sein und über keine Medikamente, Lebensmittel oder Brennstoff mehr zu verfügen. Mindestens ein Arzt, eine Pflegekraft und zwei behandelte Kinder seien gestorben, weil sie nicht hätten versorgt werden können.

Seit dem Beginn des Krieges im Gazastreifen vor über einem Jahr wurden gut 43.000 Menschen getötet. Der Küstenstreifen ist weit­gehend zerstört. Am Dienstag wurde in der Stadt Beit Lahija nahe der israelischen Grenze ein fünfstöckiges Haus getroffen. Der Angriff habe laut Gesundheitsministerium mindestens 93 Menschen das Leben gekostet, darunter viele Frauen und Kinder.

Der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, sprach von einem „schrecklichen Vorfall“ in Beit Lahija und verlangte Aufklärung. Der Direktor des nahe gelegenen Kamal-Adwan-Krankenhauses, Hossam Abu Safija, sagte, zahlreiche Verwundete seien in die Klinik gebracht worden. Die israelischen Streitkräfte hatten am Wochenende in dem Krankenhaus Dutzende Mitarbeiter festgenommen.

Oxfam warnt vor Hungersnot

Das israelische Militär macht im Norden von Gaza ganze Häuser und Felder dem Erdboden gleich. Die Hilfsorganisation Oxfam warnt, dass dort einige Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen bereits verhungern. „Es gibt nichts. Wir sprechen hier von mehreren Dutzend Tagen, an denen sie keine Lieferungen erhalten“, sagte der Leiter für Ernährungssicherheit in Gaza, Mahmoud Alsaqqa, am Sonntag.

Seit drei Wochen verhindert Israel Hilfskonvois nach Nordgaza. Der Plan des Militärs sieht vor, den Norden auszuhungern, Menschen gewaltsam zu vertreiben und eine militärische Sperrzone zu erklären. Der verantwortliche General, Giora Eiland, sagte, Menschen, die blieben, würden als Terroristen betrachtet. Sie sollten, so Eiland, entweder fliehen oder verhungern.

Laut UN leiden 96 Prozent der gesamten Bevölkerung in Gaza in hohem Maß an Nahrungsmittelknappheit; fast eine halbe Million Menschen sind vom Hungertod bedroht. Das Kinderhilfswerk Unicef berichtet, dass 37 Kinder bereits verhungert sind. UN-Angaben zufolge hat die israelische Regierung seit Beginn des Krieges 83 Prozent der Nahrungsmittelhilfe blockiert. Der Anbau von Obst und Gemüse ist nahezu unmöglich, 68 Prozent des Farmlands in Gaza sind zerstört.

„Trotz all dieser Zerstörungen bestehen die Menschen darauf, zu bleiben, zu pflanzen und wieder aufzubauen“, sagte Youssef Abu Rabie in einem Video. Wenige Tage später wurde er getötet.

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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Es finden sich keine Worte für dieses unmenschliche Spektakel.

  • „Der Plan des Militärs sieht vor“

    Meines Wissens ist der Plan des Militärs gar nicht öffentlich. Woher will man da wissen, was dieser vorsieht?

    Giora Eiland ist kein verantwortlicher General. Er ist schon über 1 Jahrzehnt nicht mehr im Dienst, zu Befehlen hat er nichts. Er hat einen Plan vorgelegt, aber ich wüsste von keinem Beleg, das dieser auch angenommen wurde.

    „UN-Angaben zufolge hat die israelische Regierung seit Beginn des Krieges 83 Prozent der Nahrungsmittelhilfe blockiert.“

    Die UN hat derartiges nicht behauptet.



    Hilfsorganisationen äußerten Mitte September, dass im Juni nur 17% des Bedarfes in den Gazastreifen gelangt seien.



    www.savethechildre...a-new-data-reveals



    Sie beriefen sich auf Daten der UNRWA Gaza Supplies and Dispatch tracking



    www.careevaluation...on-methodology.pdf



    Dem zu Folge kamen im Juni 11.869 t Lebensmittel nach Gaza, was 17% des Bedarfes sein soll – demnach wäre der Gesamtbedarf knapp 70.000 t im Monat.

    COGAT gab an, dass an Lebensmitteln nach Gaza abgefertigt wurden



    im Juni 87.582 t



    im Juli 94.996 t



    im August 80.143 t



    im September 75.898 t

    • @Socrates:

      Die Lieferungen gelangen nicht in den Norden. Darüber mehr auf englischsprachigen Nachrichtenseiten.



      Auch wenn Sie es nicht wahrhaben möchten, zur Umsetzung von Eilands Plan mehr beispielsweise bei Haaretz:



      www.haaretz.com/is...-adfe-fed6ccb90000

  • Oxfam hatte mit 37 anderen Organisationen vor der katastrophalen Lage in Nordgaza gewarnt, gerade auch was die Krankenhäuser anging weil die keine Möglichkeiten hatten alle Leute sicher zu evakuieren. www.oxfam.org/en/p...s-must-act-now-end



    Das Welternährungsprogramm hat fast 100.000 Tonnen Nahrung in Ägypten, Jordanien und Israel nur wie bei vielen anderen Hilfsorganisationen wurde vieles abgelehnt. 83% der Nahrungsmittelhilfe blockiert und das sagt nicht nur die UN, sondern auch zahlreiche andere Organisation: www.nrc.no/news/20...-new-data-reveals/



    Und hier echauffieren sich manche das der ICC Haftbefehle u.a. wegen des Einsetzens von Hunger als Waffe beantragt hat. Was soll das sonst sein. Der ICJ hatte im Januar mehrere rechtlich verbindliche Maßnahmen angeordnet u.a. Hilfslieferungen. Es scheint sich ja in Europa auch niemand besonders darüber aufzuregen, nicht mal ineffektive Abwürfe aus der Luft werden gestartet. Menschen die nicht evakuieren (können) sind laut Völkerrecht nicht automatisch Terroristen!

  • "Seit drei Wochen verhindert Israel Hilfskonvois nach Nordgaza. Der Plan des Militärs sieht vor, den Norden auszuhungern, Menschen gewaltsam zu vertreiben und eine militärische Sperrzone zu erklären. Der verantwortliche General, Giora Eiland, sagte, Menschen, die blieben, würden als Terroristen betrachtet. Sie sollten, so Eiland, entweder fliehen oder verhungern."



    100.000 Menschen befinden sich laut Artikel noch in dem Gebiet. Die IDF kündigt hier ganz offen ein weiteres kollosales Kriegsverbrechen an und auch dafür werden die Apologeten der Rechtsextremen sicherlich Rechtfertigungen finden. Herr Eiland, der schon vor Jahrzehnten mit genozidalen Aussagen auf sich aufmerksam gemacht hat liefert der Anklage vor dem ICJ immer neue Beweise und bewirbt sich persönlich für eine Zelle neben Netanjahu und Galant.



    Ein weiteres Beispiel seiner grenzenlosen Menschenverachtung:



    „Schließlich werden schwere Epidemien im Süden des Gazastreifens den Sieg näher bringen und die Zahl der Todesopfer unter den IDF-Soldaten verringern.“



    de.wikipedia.org/wiki/Giora_Eiland



    Hunger und Epidemien als Kriegswaffen, der Mann ist ein Aushängeschild für die moralischste Armee der Welt

    • @Residente:

      Solche Zitate werden in der Öffentlichkeit immer als Ausrutscher Einzelner abgetan. Diese Ansichten Eiland fanden aber auch ihren Niederschlag im Generalplan der IDF.

      Zum von Eiland als Vorsitzender des Nationaler Sicherheitsrat ausgearbeiteten Generalplan Israels, in dem das Vorgehen beschrieben ist, gibt es in der englischen Wikipedia einen Artikel. Der Plan würde die vollständige Evakuierung des nördlichen Gazastreifens erzwingen , indem alle verbliebenen Zivilisten als militärische Ziele eingestuft und der Zugang zu Versorgungsgütern wie Lebensmitteln und Medikamenten in das Gebiet blockiert würde. Der Der Plan wurde demnach von der israelischen Regierung geprüft und - wenn auch nicht vollständig- angenommen.