Krieg in Nahost: Kein Gaza-Abkommen in Sicht

Die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas über einen Geisel-Deal sind festgefahren. Türkei stellt Handel mit Israel ein.

Mann bereitet in einem großen Topf Essen zu

Palästinensische Mitarbeiter bereiten Mahlzeiten in der World Central Kitchen (WCK) in Rafah zu Foto: dpa

TEL AVIV/GAZA dpa | Die indirekten Verhandlungen über einen Geisel-Deal im Gaza-Krieg sind Medienberichten zufolge an einem kritischen Punkt angelangt. Die Führung in Israel gehe davon aus, dass die islamistische Hamas das jüngste Angebot für ein Abkommen über die Freilassung israelischer Geiseln und eine Waffenruhe offiziell ablehnen wird, zitierte die Zeitung Times of Israel am späten Donnerstagabend einen Regierungsbeamten.

Zuvor war im Hauptquartier des israelischen Militärs in Tel Aviv das Kriegskabinett zusammengetreten, um über einen möglichen Beginn der umstrittenen Bodenoffensive in Rafah im Süden des abgeriegelten Gazastreifens zu beraten. Währenddessen demonstrierten draußen Dutzende von Familienangehörigen israelischer Geiseln und ihre Unterstützer und forderten der Zeitung zufolge Regierungschef Benjamin Netanjahu auf, einer Vereinbarung zuzustimmen, die die Freilassung der Geiseln in Gaza sicherstellt – egal, wie hoch der Preis dafür sei.

In Bezug auf das aktuelle Verhandlungsangebot verlange der Anführer der Hamas in Gaza, Jihia al-Sinwar ein garantiertes Ende des Kriegs, sagte eine dem Hamas-Anführer nahestehende Quelle dem israelischen Fernsehsender Channel 12 am Donnerstagabend. Israel lehnt dies bislang ab. Sinwar will den Angaben zufolge eine schriftliche Verpflichtung für ein „bedingungsloses Ende der Kämpfe“.

Er fordere außerdem, dass den palästinensischen Häftlingen, die Israel im Austausch für israelische Geiseln aus Gefängnissen entlassen müsste, nicht die Rückkehr ins Westjordanland verwehrt werde. Israel will diejenigen, die lebenslange Haftstrafen absitzen, laut dem jüngsten Entwurf für einen Deal in den Gazastreifen oder ins Ausland schicken.

Hamas-Delegation nach Gaza

Weiterhin verlangt Sinwar demnach nähere Informationen zu Materialien, die Israel für den Wiederaufbau nicht in das abgeriegelte Küstengebiet liefern lassen will. Der Sender Channel 12 mutmaßt, das Sinwar somit sicherstellen wolle, dass die Hamas ihre Tunnel wieder aufbauen kann.

In Mitteilungen, die der militärische Flügel der Hamas an die arabischen Vermittler weitergeleitet habe, habe Sinwar angedeutet, dass die Zeit auf seiner Seite sei, schrieb das Wall Street Journal am Donnerstag weiter. Denn der internationale Druck auf Israel nehme zu, je länger er warte.

Sinwars Terrororganisation hatte am Donnerstag mitgeteilt, noch einmal eine Delegation nach Ägypten zu schicken, um die indirekten Verhandlungen über einen Geisel-Deal fortzusetzen. Dem staatsnahen ägyptischen Fernsehsender Al-Kahira News zufolge soll eine Hamas-Delegation innerhalb der nächsten zwei Tage in der Hauptstadt Kairo eintreffen. Die ägyptischen Vermittler versuchten nun mit US-Unterstützung, die Uneinigkeiten zwischen Israel und der Hamas zu überwinden, berichtete der TV-Sender Channel 12.

Die israelische Regierung hat einen raschen Beginn der Offensive in Rafah angekündigt, sollte es nicht zu einer Einigung kommen. Verbündete wie die USA haben Israel wiederholt vor einem großangelegten Angriff auf Rafah gewarnt, weil sich dort Hunderttausende palästinensische Binnenflüchtlinge aufhalten. Die Stadt ganz im Süden Gazas gilt nach rund sieben Monaten Krieg als einzige in dem Küstengebiet, die noch vergleichsweise intakt ist.

Hilfslieferungen abgefangen

Die US-Regierung wirft der Hamas vor, erstmals in größerem Umfang Hilfsgüter für den Gazastreifen abgefangen zu haben. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, sagte am Donnerstag in Washington, es handele sich um eine Lieferung, die von Jordanien über den neu geöffneten Grenzübergang Erez in das Küstengebiet gebracht worden sei.

„Sie wurde dann von einer humanitären Organisation zur Verteilung im Gazastreifen abgeholt, und diese Hilfe wurde von der Hamas vor Ort im Gazastreifen abgefangen und umgeleitet“, sagte Miller. Nach seinem Verständnis seien die Güter inzwischen wieder freigegeben und zurück an die humanitäre Organisation übergeben worden. „Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es sich um einen inakzeptablen Akt handelt.“

Miller sagte, dies sei der erste größere Fall der Umleitung von Hilfsgütern durch die Hamas. Er warnte die Gruppe, durch solche Aktionen Hilfslieferungen für die palästinensische Zivilbevölkerung in Gaza generell zu gefährden, und rief dazu auf, dies nicht zu wiederholen.

Die humanitäre Lage in dem abgeriegelten Gazastreifen ist katastrophal. Die Menschen dort sind dringend auf die Lieferung von Nahrungsmitteln und Medikamenten angewiesen. Auf internationalen Druck hin, vor allem aus den USA, hatte Israel am Mittwoch den Grenzübergang Erez im Norden Gazas geöffnet. Der Norden des Küstengebietes ist besonders von Lebensmittelknappheit betroffen.

Türkei stellt Handel mit Israel ein

Unterdessen beschloss die Türkei, wegen der israelischen Angriffe im Gazastreifen die Aus- und Einfuhr aller Produkte mit Bezug zu Israel auszusetzen. Das teilte das türkische Handelsministerium am Donnerstagabend auf der Plattform X, vormals Twitter, mit. Die neuen Maßnahmen würden strikt umgesetzt, bis die israelische Regierung den ununterbrochenen Fluss humanitärer Hilfe nach Gaza erlaube. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte Israels Militäreinsatz im Gazastreifen wiederholt scharf kritisiert und Israel „Völkermord“ vorgeworfen.

Israels Außenminister reagierte empört auf den Handels-Stopp. „Erdogan bricht Vereinbarungen, indem er Häfen für israelische Importe und Exporte blockiert“, schrieb Israel Katz auf X. „Auf diese Weise verhält sich ein Diktator, die Interessen des türkischen Volkes und der Geschäftsleute missachtend.“ Zudem ignoriere Ankara internationale Handelsabkommen, wetterte Katz.

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