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Krieg in GazaVerhärtete Fronten nach Resolution

Israel reagiert verärgert auf den Beschluss im UN-Sicherheitsrat – und ruft einen Großteil seines Verhandlungsteams aus Katar zurück.

Der UN-Sicherheitsrat erhöht mit der verabschiedeten Resolution den Druck auf Israel Foto: Craig Ruttle/ap

Jerusalem taz | Die Forderung des UN-Sicherheitsrats nach einer sofortigen Waffenruhe in Gaza und einer Freilassung aller Hamas-Geiseln scheint vorerst das Gegenteil bewirkt zu haben: Nachdem die Resolution 2728 unter Enthaltung der USA am Montag das wichtigste UN-Gremium passierte, wies die Hamas den jüngsten Vorschlag zu einer Einigung bei den Verhandlungen in Katar zurück. Israel rief daraufhin laut Medienberichten einen Großteil seines Verhandlungsteams zurück und kündigte an, die Offensive fortzusetzen.

Laut dem katarischen Außenministerium gehen die Gespräche nun offenbar in kleinerem Rahmen weiter, die Fronten zwischen den Konfliktparteien aber sind verhärtet. „Wir müssen weiterkämpfen“, sagte der israelische Präsident Izchak Herzog am Dienstag in Jerusalem. Außenminister Israel Katz sagte, die UN-Entscheidung würde vor allem Israel unter Druck setzen und die Hamas darin bestätigen, „dass sie sich nicht beeilen müssen“.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kritisierte, die Hamas sei „nicht an einer Fortsetzung der Verhandlungen über einen Deal interessiert“. Die Resolution werde Israel und den rund 130 in Gaza festgehaltenen Geiseln schaden. Den Verzicht auf ein Veto nannte Netanjahu einen „klaren Rückzug“ der US-Regierung.

Die Hamas begrüßte die UN-Entscheidung und teilte mit, für einen sofortigen Austausch von „Gefangenen“ bereitzustehen. Zugleich aber lehnte die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestufte Gruppe das jüngste Angebot in den Verhandlungen ab und zog sich auf ihre bereits zu Beginn gestellten Forderungen zurück. Diese seien „ein umfassender Waffenstillstand, ein Rückzug (Israels) aus dem Küstenstreifen, die Rückkehr der Vertriebenen sowie ein echter Gefangenenaustausch“.

Bei den Verhandlungen unter Vermittlung der USA, Ägypten und Katar in Doha bewegten sich die beiden Seiten zuvor aufeinander zu. Die Hamas hatte zuletzt angedeutet, ein dauerhaftes Ende der Kämpfe als Vorbedingung für einen Waffenstillstand aufzugeben. Israel hatte die Freilassung mehrerer hundert palästinensischer Gefangener im Austausch gegen 40 Geiseln in Aussicht gestellt.

Auch Macron hat Netanjahu gewarnt

Verteidigungsminister Joav Galant erklärte noch am Montag in Washington, die Kämpfe würden fortgesetzt, einschließlich eines Vorstoßes nach Rafah, wo derzeit rund 1,5 Millionen Menschen unter katastrophalen Bedingungen Schutz suchen. Die Forderung von UN-Generalsekretär António Guterres nach einer umgehenden Umsetzung der Resolution und die Warnung, ein „Scheitern wäre unverzeihlich“, dürften damit ungehört bleiben.

Ein möglicher Einmarsch in Rafah an der ägyptischen Grenze aber könnte Israel nach der Missachtung des völkerrechtlich bindenden UN-Entschlusses weiter isolieren. Selbst die engsten Verbündeten warnen vor einem Angriff auf die Stadt. Die USA haben mit ihrem Verzicht auf ein Veto am Montag bereits einen Bruch in ihrer Israel-Politik vollzogen. Erstmals sind die Mahnungen aus Washington über Worte hinausgegangen.

Mehrere Aussagen führender US-Politiker schüren zudem Spekulationen, dass auch die lange als unverrückbar gesehene US-Militärhilfe zur Debatte gestellt werden könnte, zumindest was offensive Waffen betrifft. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wies Netanjahu am Wochenende darauf hin, dass eine gewaltsame Umsiedlung der Menschen in Rafah ein Kriegsverbrechen sei.

Es fehlt der Plan für einen sicheren Ausweg

Doch der Premier zeigt sich von derartigen Appellen unbeeindruckt: „Israel wird seine legitimen Kriegsziele erreichen: die Zerstörung der militärischen und administrativen Kapazitäten der Hamas“ sowie die Befreiung aller Geiseln, so Netanjahu.

Ein Rafah-Vorstoß könnte dennoch weiter auf sich warten lassen. Israels Truppen in Gaza sind seit Wochen in immer wieder aufflammende Gefechten in nach eigenen Angaben bereits eroberten Gebieten verwickelt. Seit mehr als einer Woche kämpfen israelische Soldaten dabei erneut im Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt, in dem sich Hamas-Kämpfer verschanzt haben sollen.

Auch in zwei medizinischen Einrichtungen in Chan Junis werde gekämpft. Viele der zwischenzeitlich einberufenen Reservisten sind im sechsten Kriegsmonat außerdem längst wieder entlassen worden. Einer größeren Offensive dürfte eine weitere Einberufung vorausgehen. Auch ein Plan für einen sicheren Ausweg für die Menschen in Gaza fehlt bis heute.

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8 Kommentare

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  • Nicht zum ersten Mal haben die Unterstützer*innen der Palästinenser*innen sich durch Anrufung der UN selbst ins Knie geschossen. Das Signal an die Hamas lautet: Jetzt nicht nachgeben, dann geht die Unterstützung für Israel zurück. Stand man kurz vor einer Einigung, dürfte man die Bereitschaft der Hamas zu einer solchen durch die Resolution sicher nicht erhöht haben. Dabei muss gerade jetzt eine humanitäre Katastrophe verhindert werden. Es darf keinesfalls zugelassen werden, dass im Gazastreifen Menschen verhungern. Die Hamas hat allerdings kein Problem damit, dies zuzulassen, wenn sie dies ihren Zielen näherbringt.

    • @Agarack:

      "Das Signal an die Hamas lautet: Jetzt nicht nachgeben, dann geht die Unterstützung für Israel zurück."

      Dem stimme ich zu und die palästinensische/Hamas-Seite hat damit ja recht, wie bereits ziemlich früh auch von Fachleuten prognostiziert wurde.

      Bereits spätestens 14 Tage nach dem 07.10.23, ich erinnere mich, dass ich das hier irgendwo geschrieben habe, bröckelte die Solidarität mit der jüdischen/Israel-Seite bzw. wenn ich mir die Reaktionen von UN women ansehe, war sie von Anfang an nicht bei allen da.

      Bei mir sorgte das für Entsetzen und ich war maßlos enttäuscht, tröste mich aber damit, dass jüdische Menschen damit bereits seit Jahrhunderten leben müssen und darauf hoffentlich weniger "empfindlich" reagieren als ich und andere nicht-jüdische Menschen.

      Da ich davon ausgehe, dass bei der UN äußerst kluge Menschen tätig sind, frage ich mich, wer will was womit erreichen ... die vordergründigen Argumente werden teilweise durch Handlungen in ihr Gegenteil verkehrt, wie in Ihrem genannten Beispiel.

  • Selbst die schlauesten Verhandler ändern ja nichts an der Realität einer Vertreibung und Ungleichbehandlung und Besatzung - darauf hat Israel zwar kein Monopol weltweit, aber es sollte sich um des eigenen Karmas willen, rasch davon trennen.



    Vielleicht hilft wie bei Südafrika Druck von außen.

  • "Mehrere Aussagen führender US-Politiker schüren zudem Spekulationen, dass auch die lange als unverrückbar gesehene US-Militärhilfe zur Debatte gestellt werden könnte, zumindest was offensive Waffen betrifft."

    Ich hoffe und vermute, das ist kein realistisches Szenario, denn wenn die jüdische/Israel-Seite auch aus den USA keine Waffenhilfe mehr erhält (Kanada, Dänemark, ... haben ihre Unterstützung bereits eingestellt), wird es von der Landkarte getilgt und jedes jüdische Leben dort (und vielleicht auch woanders) ausgelöscht. Ein für mich unbeschreiblich furchtbarer Gedanke.



    Spätestens dann werden die jetzigen Unterstützer der palästinensischen/Hamas-Seite vielleicht verstehen, was sie getan haben oder es ist ihnen einfach egel. Mir hat der 07.10.23 gezeigt, dass die Gegner der jüdischen/Israel-Seite kein Erbarmen kennen.

    • @*Sabine*:

      Mit Verlaub, Israel wird (erfreulicherweise) nicht mehr verschwinden. Ein Land mit Atomwaffen wird sich immer verteidigen können. Zudem hat die Geschichte gezeigt, das Israel durchaus auch unter sehr viel größerem Druck, als heute realistisch wäre (denn Ägypten oder der Irak würden sicherlich keinen Krieg mit Israel mehr beginnen können und wollen), in der Lage ist, sich selbst zu schützen.

      • @Agarack:

        Danke. Auch wenn es vielleicht nicht von Ihnen beabsichtigt war, so entlasten Sie mich doch ein Stück weit. Ich versuche durch diverse Recherchen herauszufinden, inwieweit die jüdische/Israel-Seite von Waffen-Importen abhängig ist, aber ich finde keine eindeutigen Aussagen, anhand derer ich einschätzen könnte, ob Israel von gelieferten Waffen abhängig ist oder nicht. Israel exportiert auch u.a. Waffen, aber die Abhängigkeiten durchschaue ich nicht. (Mit Waffen meine ich auch Drohnen, Software, etc..)

        Grundsätzlich hoffe ich darauf, dass die Region mittelfristig befriedet ist und Konflikte ohne Waffen gelöst werden können. Kurzfristig wäre noch schöner.

    • @*Sabine*:

      Wie Sie der von Ihnen selbst zitierten Passage entnehmen können, geht es um "offensive Waffen"; sollten die USA ihre Lieferungen einstellen bzw. stärker reglementieren, würde das nicht das Ende jüdischen Lebens dort bedeuten, sondern höchstens ein Ende des Schreckens in Gaza - was inzwischen fast die ganze Welt mit guten Gründen fordert; ich erinnere Sie gern daran, dass palästinensische Leben nicht weniger wert sind.

      • @O.F.:

        "Wie Sie der von Ihnen selbst zitierten Passage entnehmen können, geht es um "offensive Waffen"; ..."

        Ich habe die Sorge, dass das nur der Anfang ist. Andere Länder haben ja bereits jegliche Waffenlieferungen eingestellt.

        "... sondern höchstens ein Ende des Schreckens in Gaza - ..."

        Der Schrecken in Gaza kann meiner Meinung nach nur mit der auch militärischen Entmachtung der kämpfenden Personen auf der palästinensischen/Hamas-Seite enden. Sie terrorisieren teilweise ja auch ihre eigenen Mitbürger und würden einfach wie bisher und vielleicht noch schlimmer weitermachen, wenn sie nicht festgenommen werden.

        Dass sich auch politisch auf beiden Seiten etwas ändern muss, sehe ich, aber so lange die palästinensische/Hamas-Seite kämpft, hat die jüdische/Israel-Seite meiner Meinung nach keine Wahl.

        "... ich erinnere Sie gern daran, dass palästinensische Leben nicht weniger wert sind."

        Selbstverständlich haben Sie Recht, aber das wissen Sie ja.

        Danke, so eine Erinnerung finde ich wichtig und regt zum wieder und wieder Nachdenken über die Situation und den eigenen Standpunkt an.