Aktivistinnen über Krieg in Nahost: „Radikal für Frieden sein“

Das Bündnis Palestinians and Jews for Peace demonstriert in Deutschland gegen die Gewalt in Nahost. Kristina Bublevskaya und Nadine Migesel sprechen über ihre Motivation dafür.

Zeichen der Solidariät in Halle für "Palestinians & Jews for Peace"

Die Osterzeit ist Friedensdemozeit Foto: instagram

taz: Frau Bublevskaya und Frau Migesel, ihr Bündnis Palestinians and Jews for Peace organisiert seit Oktober gemeinsame Kundgebungen und Demonstrationen. Was fordern Sie?

Kristina Bublevskaya: Aus dem Gefühl der Einsamkeit heraus hat sich nach dem 7. Oktober unser Bündnis Palestinians and Jews for Peace (PJFP) gebildet. Wir hatten das Gefühl, dass es keinen Raum für die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Gefühlen wie Wut und Trauer, im Kontext des Israel-Palästina-Konflikts gab. Wir erlebten, dass man sich für ein Team entscheiden musste und dadurch eine Entmenschlichung des anderen Teams stattfand.

Nadine Migesel Nadine Migesel, 29, ist Tätowiererin und Deutsch-Palästinenserin mit israelischem Pass.

Kristina Bublevskaya Kristina Bublevskaya, 31, ist Studentin an der Kunsthochschule der Medien in Köln und Jüdin.

Darauf wollten wir antworten und dafür steht auch unser Motto „Rehumanzing“: Dafür, dass wir einander zuhören und gucken, woher der Schmerz und die Angst des anderen kommen. Es gibt so viele verschiedene Perspektiven und Realitäten, die alle eigentlich Platz haben sollten.

Nadine Migesel: Wir stellen konkrete Forderungen wie „Ceasfire now“ (Waffenstillstand jetzt; d. R.) und „Release of the hostages now“(Befreit die Geiseln jetzt; d. R.). Die Hauptbestrebung unserer Initiative ist vor allem, die Narrative hier in Deutschland zu verändern. Wir wissen, dass nicht von heute auf morgen Friede Freude Eierkuchen in Israel–Palästina entstehen wird. Wir versuchen, das in unserer Macht Stehende zu tun, um hier für einen differenzierten Austausch zu sorgen. Dadurch sollen Multiperspektiven auf diesen Konflikt sichtbar und einseitige Narrative eines konkreten Feindbilds aufgebrochen werden.

taz: Was genau meinen Sie mit einseitigen Narrativen?

Migesel: Für mich als Deutsche, als Israelin und als Palästinenserin ist es untragbar, dass Deutschland so lange gezögert hat, sich öffentlich für einen Waffenstillstand auszusprechen. Es ist wichtig, dass Israel ein Recht auf Verteidigung hat. Ich finde jedoch diese uneingeschränkte Unterstützung der deutschen Regierung für die israelische Regierung absolut problematisch.

Nach der anhaltenden Gewalt und dem Leiden in Gaza ist aus meiner Sicht zwar ein Shift in der deutschen Zivilbevölkerung wahrnehmbar – jedoch nicht bei den Entscheidungsträgern. Gleichzeitig finde es sehr unreflektiert, wie viele Leute in pro-palästinensischen, linken und in migrantischen Communitys teilweise über den Krieg reden – als hätte der Angriff der Hamas am 7. Oktober gar nicht stattgefunden.

Wie bringen Sie unterschiedliche Menschen bei so einem emotionalisierenden Thema zusammen?

Bublevskaya: Allein, dass wir existieren, bringt sehr vielen Menschen viel: Wir zeigen, dass es auch anders geht. Es ist möglich, einen Raum zu schaffen, den man sich selber kreiert, wo es Platz für Gleichzeitigkeiten und Empathie für viele gibt. Durch unsere Veranstaltungen und Demos können diejenigen ins Gespräch kommen und sich zusammentun, die sich nicht nur „für eine Seite“ entscheiden wollen.

taz: Wie sieht Ihre Arbeit aus?

Migesel: Zum einen organisieren wir Demonstrationen und Mahnwachen, zum anderen machen wir beratende Bildungsarbeit. Wir geben Interviews, haben ein Filmevent mitorganisiert oder nehmen an den Trialogen von Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann teil, einem Bildungsformat für Schüler:innen. Die größten Herausforderungen ist es, dabei nicht unsere eigenen Kapazitäten überzustrapazieren und unsere mentale Gesundheit zu schützen. Die andere große Herausforderung ist, in der deutschen Öffentlichkeit nicht gecanceled zu werden. Es ist momentan sehr radikal, sich für Frieden einzusetzen.

Bublevskaya: Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist, einen Empowerment-Raum zu schaffen. Mittlerweile haben wir eine Routine in unsere Arbeit gebracht: Einmal in der Woche treffen wir uns in einer Runde von etwa 15 Personen, planen und tauschen uns aus. Obwohl wir alle Vollzeitjobs haben, nehmen wir uns die Zeit und gehen meistens gestärkt aus den Meetings.

taz: Sie sagen, sich für Frieden einzusetzen, sei aktuell radikal. Haben Sie überhaupt Hoffnung, dass Dinge sich zum Besseren wenden können?

Bublevskaya: Mir geben Menschen vor Ort Hoffnung, die selbst mega betroffen sind, die Angehörige verloren haben und sich trotzdem dafür entscheiden, zusammenzukommen und darüber zu reden. Sie zeigen, dass das der einzige nachhaltige Weg für Frieden ist.

Migesel: Auf der persönlichen Ebene geben mir mein Team und meine Freunde von PJFP Hoffnung. Hoffnung gibt mir aber auch Projekte wie das von Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann und meine jüdisch-israelische beste Freundin. Dass wir noch befreundet sind und miteinander sprechen, ist leider in den aktuellen Zeiten überhaupt nicht selbstverständlich. Ich habe viele Freundschaften verloren und den Kontakt abgebrochen. Auf der strukturellen Ebene habe ich aktuell nicht so viel Hoffnung. Ich wünsche mir für die Zukunft radikalen Mut und radikale Empathie, damit politische Entscheidungen getroffen werden, die auf Menschlichkeit beruhen.

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