Krieg im Libanon: Leben retten zwischen Straßen voller Trümmer
Sanitäter haben derzeit im Libanon einen gefährlichen Job, gerade im Süden des Landes. Unser Autor hat eine Rettungsstelle besucht.
In der Funkzentrale des Libanesischen Roten Kreuzes laufen die Drähte heiß. Ein halbes Dutzend Mitarbeiter nimmt Anrufe an und verfolgt die Routen von über 300 Krankenwagen, die landesweit im Einsatz sind. Vor ihnen befindet sich ein großer Bildschirm auf dem jedes einzelne Fahrzeug per GPS-Sender auf der Karte des Libanon erscheint. Dazu Fahrzeugnummer, Autotyp und die aktuelle Geschwindigkeit.
Der Libanese Alexy Nehme ist der Einsatzleiter und der Herr über das piepsende Chaos: Wie ein Fels in der Brandung steht er zwischen den sich über den Bildschirm bewegenden Fahrzeug-Ikonen, und nimmt ständig Anrufe entgegen – auf vier verschiedenen Handys. Die Fernsehnachrichten laufen stumm daneben.
Für ein kurzes Gespräch legt er die Handys auf einen Tisch und lässt sie vor sich her summen und vibrieren. „Alle unsere Rettungsoperationen werden von hier aus koordiniert. Hier stehen wir mit all unseren Krankenwagen im ganzen Libanon in Kontakt“, erklärt er. Neben den Festangestellten arbeiten über 5000 Ehrenamtliche im Rettungsdienst des libanesischen Roten Kreuzes, darunter 300 im Südlibanon. Die verrichten derzeit den gefährlichsten Job.
Der Krieg stelle sie vor alle möglichen Herausforderungen. Oft sind die Straßen voller Trümmer oder Stahlträgern, die dann die Reifen der Ambulanzen punktieren, erzählt er. „Ein anderes Problem ist, die Krankenhäuser zu erreichen. Vor allem im Süden sind die meisten geschlossen. Das bedeutet viel längere Anfahrtswege, auf denen dann mehr Gefahren lauern.“ Die israelischen Angriffe haben viele Krankenhäuser, gerade im Süden, gezwungen zu schließen.
Sanitäteralltag im Libanon
Bei all dem wüsste keiner, wann und wo die nächste israelische Rakete einschlägt. Am Tag zuvor, erzählt er, seien sie in den südlibanesischen Ort Srebbine gefahren, wo ein Haus getroffen worden war. Die Rettungskräfte versuchten die Verletzten herauszuholen.
Doch dann sei in der Nähe eine zweite Rakete eingeschlagen. „Die Rettungskräfte waren nicht das direkte Ziel, aber sie waren so nah dran, dass einige unserer Fahrzeuge zerstört wurden und einige unserer Crew durch Splitter, herumfliegende Zementbrocken und die Druckwelle verletzt wurden“.
Derweil hatte das Libanesische Rote Kreuz bisher relativ Glück. Es hat bisher nur sechs Verletzte zu verzeichnen. In der Sanitäter-Statistik des Libanon grenzt das an ein Wunder. Laut libanesischem Gesundheitsminister Firas Abiad sind bisher über 150 Sanitäter und Mitarbeiter medizinischer Einrichtungen seit Beginn des Krieges umgekommen, die allermeisten in den letzten drei Wochen. Mehr als 130 Rettungsfahrzeuge wurden seinen Angaben zufolge zerstört. Der Gesundheitssektor des Libanon werde von Israel systematisch angegriffen, so Abiad.
Die meisten Toten haben die Rettungskräfte der sogenannten Islamischen Gesundheits-Kommittees (IHC) zu verzeichnen, bislang über 80. Das IHC gehört nicht zum bewaffneten, sondern zum zivilen Arm der Hisbollah, wird also von der Hisbollah finanziert. Für hunderttausende Menschen im Süden des Libanon stellt der IHC den wichtigsten Gesundheitsdienstleister dar. Aufgrund von Klientelismus und der Wirtschaftskrise sind im Libanon private Einrichtungen für die medizinische Versorgung verantwortlich.
„Medizinisches Personal darf kein militärisches Ziel sein“
Ihre Verbindung zur Hisbollah macht sie nicht automatisch zu einem legitimen militärischen Ziel. „Medizinisches Personal, egal von welcher Partei, darf laut Genfer Konvention kein Ziel sein und Angriffe gegen Krankenwagen stellen ein Kriegsverbrechen dar“, meint Ramzi Kaiss dazu, der für Human Right Watch in Beirut die Angriffe auf medizinische Einrichtungen und Krankenwagen beobachtet.
Israel beschuldigt die Hisbollah dagegen, Krankenwagen zum Transport von Kämpfern und Munition zu verwenden. Damit, argumentiert die israelische Armee, seien sie ein legitimes Ziel. Dies bestreitet die Hisbollah vehement. Überprüfen lassen sich die Vorwürfe nicht.
Das libanesische Rote Kreuz steht bei all dem Außen vor. Und dennoch ist der Frust des Leiters der Funkzentrale nicht zu überhören. Er weiß nie, ob die von ihm losgeschickten Krankenwagen auch ankommen. Deswegen schickt er in den Süden von Beirut, der als Hisbollah-Hochburg gilt und der regelmäßig von Israel bombardiert wird, immer gleich zwei Wagen los. Einer fährt vorne, der andere hinterher, falls der erste ausfällt.
Doch oft kommt es gar nicht soweit. „Unser Job ist es, Leben zu retten. Aber manchmal ist es zu gefährlich zu den Orten der israelischen Angriffe zu fahren“, beschreibt er. Schließlich könne er keine Crews in Gefahr bringen, die dann selbst getötet oder verletzt würden.
„Wir müssen immer erst eine sichere Route finden. Wenn es keine gibt, dann könne wir die Verletzten einfach nicht erreichen“. Das ist die libanesische Realität: Im Zweifel für die Sanitäter, auch wenn dann die Verletzten in den Trümmern ihrer zerstörten Häuser verbluten müssen. Denn ohne Sanitäter wird überhaupt niemand abgeholt.
Plötzlich hören Handys Nehmes am Tisch überhaupt nicht mehr auf zu summen. In der Zentrale wird es hektisch. Auf dem Fernsehbildschirm kommt eine Eilmeldung. Auf das Dorf Aitou, in den mehrheitlich von Christen bewohnten Bergen im Norden von Beirut, habe es einen israelischen Angriff gegeben. Nehme entschuldigt sich höflich. Da weiß er noch nicht, dass seine Rettungskräfte 23 Tote aus einem Gebäude bergen werden, darunter auch Frauen und Kinder. In dem Gebäude lebten zwei Familien, die zuvor aus dem Süden in das vermeintlich sichere Dorf geflohen sind.
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