Krieg, Zeitenwende und Fake News: Gebt das Geld der Ukraine
Mit Ansichten zum Ukrainekrieg rücken Hardliner der Linken nahe an die AfD heran. Und die USA bekommen endlich ihr „wehrhaftes“ Deutschland.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Programmhinweis und Werbung zwischen zwei Ukraine-Blocks machen mich irre.
Und was wird besser in dieser?
Gebt das Geld der Ukraine.
Eine Woche Zeitenwende – haben Sie sich schon eingelebt?
Ich richte mich auf Jahrzehnte ein. Die jüngsten 30 Jahre sind schlagartig zur Insel geschmolzen.
Könnten sie gut schlafen, wenn Manuela Schwesig nicht die Regierungschefin von Mecklenburg-Vorpommern wäre, sondern die der Bundesrepublik?
Deutschland hat sich mit seiner Rüstungs-Offensive und Waffenlieferungen als Vermittler aus dem Spiel genommen. Moralisch nachvollziehbar. Doch nun dürfen wir bei „Vermittlung“ auf Israel hoffen, wo viele Russen und Ukrainer leben, Erdoğan und schließlich auf China. Was Schwesig im Dorfbürgermeistergroove an der Ostseeküste treibt, ist sensationell egal.
CDU-Chef Friedrich Merz hält einen Eingriff der Nato in den Ukraine-Krieg für möglich, wenn es gezielte Angriffe auf Atomkraftwerke geben sollte. Ist das einfach ein klassischer Merz oder müssen wir darüber reden?
Die Memme! Springer-Chef Matthias Döpfner dagegen schlägt in Feldpost (früher: Bild) einen dritten Weltkrieg vor, weil sonst der dritte Weltkrieg komme. Die Frage, ob die Nato eingreifen solle, übersieht die Frage, ob die Nato bereits eingreift. Auch deutsche Einheiten hören russischen Funk ab, Nato-Drohnen, Flugzeuge und Satelliten klären den russischen Feldzug auf. Die Jokerfrage ist, ob sie ihre Erkenntnisse der ukrainischen Seite weitergeben. Russland unterstellt: Ja. Das würde etwa die lausige Fehlplanung der ersten Kriegswoche erklären: Russland schaltete die ukrainische Luftwaffe aus – doch, Überraschung, die Ukraine war nicht blind. Am ersten Kriegstag musste eine BND-Spezialeinheit ihren Chef Kahl aus Kiew schmuggeln. Kurz: Merz wäre gut beraten, nichts zu eskalieren, was schon riskant genug ist. Und Döpfner ist als Verlegerpräsident untragbar.
Die USA und Russland kooperieren weiterhin beim Unterhalt der Internationalen Raumstation ISS und bei Flügen dorthin. Wie beurteilen Sie die Haltung der USA im aktuellen Konflikt?
Sie können ihr Glück nicht fassen, dass Putin in einer Woche schafft, was sie den Trödeldeutschen 20 Jahre einzuhämmern versucht haben. 2-Prozent-Ziel, Waffenlieferungen, große Wehrertüchtigung. Nord Stream 2 ist weg, während Präsident Biden zaudert, sein Russen-Öl abzubestellen. Russland in enger Zusammenarbeit mit Europa ist für Amerika eine Bedrohung. Schlimmer als Russland alleine.
Gregor Gysi hat sich über „die völlige Emotionslosigkeit“ beschwert, die Mitglieder seiner Partei in einer Erklärung zum russischen Überfall auf die Ukraine zum Ausdruck gebracht hätten. Hat er da den richtigen Punkt und Zeitpunkt gefunden?
Den Touretteflügel der Linken kann man – von Migrationspolitik bis Ukrainekrieg – gratlos an die AfD schweißen. Die SPD trägt mal wieder Staat, für die Linke wäre eine Lücke als „Herberge zum ollen Willy Brandt“ frei. Das verstolpert sie gerade und Gysi sieht das.
Das russische Parlament hat hohe Strafen für „Fake News“ über russisches Militär beschlossen. Ist das ein Fake-Parlament oder spiegelt es die Stimmung in der Bevölkerung wider?
Das Regime wird dazu ein paar Fake-Umfragen zur Hand haben. Fast 78 Prozent der Bevölkerung stimmten 2020 zu, dass Putin bis 2035 Präsident bleiben könne. Im Februar steigen seine Beliebtheitswerte auf 70 Prozent, nach einem Niedergang bei einer Erhöhung des Rentenalters und unter Corona. Verantwortungsbewusste Medien ziehen ihre Mitarbeiter ab, wo saubere Arbeit strafbewehrt wurde; umgekehrt sollten wir russischen Propagandaschlamm ertragen, wie wir erwarten, dass das Regime westliche Medien toleriert. Besser mit gutem Beispiel voran- als mit schlechtem hinterhergehen.
Dirigent Waleri Gergijew, Sängerin Anna Netrebko – ist das Einforden von distanzierenden Statements von russischen Künstler:innen Cancel-Culture pur oder schlicht eine moralische Selbstverständlichkeit?
Wir sollten versuchen, Putin im Kampf gegen Putin nicht allzu ähnlich zu werden.
Und was machen die Borussen?
Die Bundesliga zeigt viele Solidaritätsaktionen mit der Ukraine. Keine Ahnung, ob das ehrenwert ist, die Reichweite zu nutzen, oder geheuchelt, weil´s Business weitergeht.
Fragen: waam
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört