Krankenschwester über Pflegestreik: „Sie versuchen, uns zu erpressen“
In den Asklepios-Kliniken in Brandenburg wird seit Juni gestreikt. Der Konzern zeigt sich kaum kompromissbereit. Ein Gespräch mit einer betroffenen Krankenschwester.
taz: Frau Niedenführ, Sie kommen gerade von Ihrer Frühschicht. Wie war Ihr Tag?
Bärbel Niedenführ: Stressig, einfach stressig. Es wird immer mehr Arbeit.
Warum?
Es kommt immer mehr Arbeit dazu. Das geht beim Geschirrspülerbestücken los, dazu kommt sämtliche Küchenarbeit, sämtliche Servicetätigkeiten, Betten putzen und der Transport von Patienten zur Diagnostik. Wir Krankenschwestern machen das alles nebenbei in der Klinik, in der ich bin. Und das bei einer ziemlich ziemlich dünnen Personaldecke. Wir haben auch keine offizielle Notaufnahme, also Rettungsstelle. Das gibt es bei uns nicht, aber es erfolgt die Einweisung entweder über den Rettungsdienst oder den Hausarzt als Notfall.
Das heißt, es gibt in Ihrer Klinik offiziell keine Notaufnahme, zu Ihnen kommen aber trotzdem Notfälle?
61 Jahre alt, arbeitet seit 1991 als Krankenschwester im Klinikum Lübben. Seit 2003 ist sie in der Stroke Unit tätig, in der sie Schlaganfall-Patient:innen versorgt.
Ja. Es kommen auch immer mehr Patienten, die an der Pforte auftauchen und sagen, sie haben neurologische Probleme. Die werden nicht weggeschickt. Das ist auch okay, ist alles richtig.
Wie gehen Sie damit um?
Wir haben ein Zimmer, das praktisch eine Notaufnahme ist. Meistens gibt es da nicht mal ein Bett. Das muss erst organisiert werden, und die ganze Dokumentation muss auch noch erledigt werden. Das ist eigentlich zusätzlich zu meiner eigentlichen Arbeit. Es bleibt alles komplett auf den Schwestern- und Arzt-Schultern hängen. Wir hatten mal eine Stationssekretärin. Die gibt es nicht mehr, weil die Krankenkassen gesagt haben, sie bezahlen praktisch nicht mehr aus ihrem Krankenkassenfonds die Sekretärinnenarbeit. Das muss Asklepios selbst machen aus seinem Gewinn. Aber Asklepios zahlt das nicht.
Das klingt sehr unübersichtlich.
Ja. Es gibt eigentlich einen Personalschlüssel, aber der wird damit umgangen, dass es offiziell keine neurologische Früh-Rehastation ist. Es läuft offiziell als neurologische Station. Dabei sind jetzt auch zunehmend Covid-Patienten zur Reha aus Berlin bei uns, die wieder auf die Füße gebracht werden müssen. Die brauchen umfangreiche medizinische Betreuung.
Nun sind Sie aber auch schon seit Juni im Streik. Sie haben schon einige Probleme genannt – was wollen Sie mit dem Streik durchsetzen?
Seit wann wird gestreikt?
In Brandenburger Kliniken wird bereits seit Juni dieses Jahres gestreikt. Mitglieder von Verdi, die in Asklepios-Fachkliniken in Brandenburg, Lübben und Teupitz und in 16 Tageskliniken arbeiten, streiken für bessere Arbeitsbedingungen und einen Tarifvertrag, der sich dem des öffentlichen Dienstes annähert. Der Unterschied zwischen einer Pflegefachkraft, die auf der psychiatrischen Station in Brandenburg an der Havel angestellt ist, und einer, die nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) angestellt ist, beträgt zwischen 350 und 440 Euro monatlich.
Tarifvertrag oder nicht?
Der letzte Tarifvertrag der Asklepios-Fachkliniken in Brandenburg wurde 2013 ausgehandelt, 2006 wurden die Kliniken vom Land an die Asklepios AG verkauft, unter der es sieben Jahre lang keinen Tarifvertrag gab. Der Tarifvertrag von Asklepios in Hamburg ist auf Höhe des TVöD. Andere Asklepios-Kliniken in Deutschland haben gar keinen Tarifvertrag.
Wir streiken für bessere Arbeitsbedingungen in den Asklepios-Kliniken in Brandenburg. Wir wollen, dass der Konzern mehr Arbeitskräfte einstellt. Mehr Schwestern, aber vor allen Dingen auch auf unserer Station mehr Therapeuten. Ich arbeite auf der Stroke Unit, in der Schlaganfall-Patienten behandelt werden. In der Psychiatrie fehlen seit Jahren auch Psychologen. Es ist alles mit der heißen Nadel gestrickt. Der springende Punkt ist nicht das Geld.
Aber Sie streiken auch für mehr Geld, richtig?
Ja, unser Tarifvertrag soll sich an dem des öffentlichen Dienstes orientieren. Wenn wir keinen vernünftigen Lohn zahlen, fängt bei uns niemand mehr an, zu arbeiten. Pflegeberufe sind ja doch ziemlich stressig. Deshalb müsste man sie attraktiver machen. Das fängt immer beim Gehalt an. Wenn ich woanders mehr Geld verdiene, gehe ich da hin.
Wie viel verdient man in den Asklepios-Kliniken?
Das ist auch ein Grund, warum wir streiken: Der Lohn ist überall unterschiedlich. Ich arbeite im Krankenhaus in Lübben. Aber in Kliniken wie Cottbus, Königs Wusterhausen, Spremberg, Senftenberg, wo es keine Asklepios-Kliniken sind, verdient man mehr als in Lübben. Die Kollegen in Brandenburger Asklepios-Kliniken haben alle denselben Grund zu streiken: In Hamburg verdient man noch mal mehr in den Asklepios-Kliniken als hier in Brandenburg, teilweise gibt es einen Unterschied von 21 Prozent. In Hamburg bekommt man in Asklepios zu 100 Prozent das Gehalt des öffentlichen Dienstes. Ob das Personal da so viel besser ist als bei uns hier, entzieht sich meiner Kenntnis.
Gestreikt wird ja auch nicht von allen nichtärztlichen Mitarbeiter:innen. Wie steht es um Reinigungsfirma und anderes nichtmedizinisches Personal?
Die sind schon lange ausgegliedert. Die Reinigungsfirma ist eine hundertprozentige Tochter von Asklepios und nicht gewerkschaftlich organisiert. Nachdem sie ausgegliedert wurden, sind sie zu klein für eine gewerkschaftliche Organisation. 2013 haben sie noch gestreikt.
Sie streiken seit über 20 Tagen – zehrt das nicht an den Nerven?
Ja, wir wollen das ja eigentlich nicht. Wir haben Asklepios letzte Woche angeboten, unseren Tarifvertrag so auszurichten, dass es 95 Prozent vom Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes sind. Nicht mal hundert. Aber dann wollten die das auch nicht. Das heißt, wir streiken weiter.
Wie fühlen Sie sich damit?
Wir hätten uns gewünscht, dass da Bewegung reinkommt. Es ist nicht unsere Hauptaufgabe, zu streiken. Wir sind alle viel lieber Therapeuten und Krankenschwestern und würden uns viel lieber unserer eigentlichen Arbeit widmen. Dass wir weiterstreiken, wird schwierig umsetzbar sein bei manchen Kollegen.
Inwiefern?
Es gibt eine Menge Kollegen, die finden, das sei nicht notwendig.
Wie begründen diese Personen das?
Manche sagen, ihnen reicht, wie viel sie verdienen. Ich sage aber, wenn das Personal auch an Tagen nicht reicht, an denen wir nicht streiken, muss sich was ändern. Andere sagen, das haben die Patienten nicht verdient. Ich sage, wenn wir an manchen Tagen ohne Streik besser als im Streik besetzt sind, muss man ja mal was ändern!
Was meinen Sie, wie kam es zu dieser Situation?
Geld regiert die Welt. Wir sind einfach zu teuer. Asklepios ist ein Konzern, der sich am Gewinn orientiert und nicht an der Gesundheit der Menschen. Sie sind an der Börse notiert. Die müssen Gewinn ausschütten am Jahresende, und Personal ist der teuerste Kostenpunkt. Es gibt keine Deckelung, was sie an Gewinn wieder ins System zurückbringen müssen. Das ist von staatlicher Seite nicht vorgegeben.
Haben Sie ein Beispiel?
Es gibt eine variable Sonderzahlung im Sommer, die ist umsatzgebunden. Dieses Jahr hieß es im Juni, zwei Tage bevor die Zahlung fällig wurde: Wir haben unser Ziel nicht erreicht, der Umsatz war zu niedrig, deshalb gibt es die Sonderzahlung dieses Jahr nicht.
Sind Sie dagegen vorgegangen?
Wir wollten wissen, wie viel der Staat für die leerstehenden Betten gezahlt hat für die Coronazeit. Da sagte Asklepios: Betriebsgeheimnis. Dann hatten wir Pech. Denn das Ministerium in Brandenburg hat gesagt, dass sie circa 15 Millionen Euro gezahlt haben für Bettenleerstand. Das haben die so verteilt im Konzern mit Rücklagenbildung, dass sie uns Angestellte einfach aus der Gewinnbeteiligung rausgeworfen haben. Weil sie 9 Millionen Rücklagen gebildet haben davon. Hätten sie nur 7 Millionen Rücklagen gebildet, hätten sie uns das prompt zahlen müssen.
Stellt Asklepios in Aussicht, dass es eventuell doch noch gezahlt wird?
Es ist alles nicht durchsichtig, man kann es nicht nachvollziehen. Sie behaupten in einem Interview, dass sie uns 18 Prozent Lohnerhöhung anbieten, aber das wird in Tarifverhandlungen nicht angeboten. Die Schere zwischen TVöD und Asklepios wird immer größer. Jetzt versuchen sie, uns zu erpressen: Wenn wir ihren wackeligen Tarifvertrag unterschreiben, zahlen sie uns die variable Sonderzahlung doch noch.
Das kommt aber nicht infrage?
Sie sagen, dass sie uns ja so gerne einen Coronabonus zahlen würden, aber weil wir die Tarifverhandlungen nicht so führen, wie sie das wollen, geht das nicht. Aber das hat mit den Tarifverhandlungen eigentlich nichts zu tun.
Eine Coronaprämie haben Sie also auch noch nicht bekommen?
Wir haben Coronapatienten versorgt, aber wir haben bislang noch nichts an Geld dafür gekriegt. Mal sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Israelis wandern nach Italien aus
Das Tal, wo Frieden wohnt