Korruptionsverdacht im EU-Parlament: Eigentor in Brüssel
Die Korruptionsvorwürfe dürften nur die Spitze des Eisbergs sein. Strengere Transparenzregeln sind nötig – um gegen Orbán glaubwürdig zu bleiben.
E ine griechische und mehrere italienische EU-Abgeordnete stehen unter Korruptionsverdacht. Das „böse“ Katar ist offenbar der Geldgeber gewesen. So beginnt das Europäische Parlament die letzte Woche der WM in Katar. In dieser Stimmungslage beschäftigt sich die Europäische Union mit der bereits vertagten Entscheidung über das Einfrieren von Milliarden Euro EU-Geld für das korrupte Orbán-Ungarn, die spätestens diese Woche fallen soll. Ein schwieriger Zeitpunkt für Brüssel, um Überzeugungsarbeit in vorbildlicher Demokratie zu leisten – Eigentor in Brüssel.
Dass es sich um angebliche korrupte südeuropäische EU-Abgeordnete handelt, dürfte einige Bürger*innen beruhigt zurücklehnen lassen – „die üblichen Verdächtigen“ eben. Die fünf Festnahmen und die Absetzung einer der 14 Vizepräsident*innen des EU-Parlaments scheinen nur die Spitze eines Eisbergs zu sein, der weder links noch rechts, weder Nord- noch Südeuropa unterscheidet.
Der jüngste Korruptionsverdacht ist eine Gelbe Karte für die europäischen Institutionen und bedeutet einen Ruf nach mehr – ja, noch mehr! – Transparenz bei politischen Beschlüssen und der Lobbyarbeit. Die abgesetzte Vizepräsidentin Eva Kaili mag nun die „Katar-Diplomatin“ sein, doch es waren deutsche CDU/CSU-Politiker, die, nachdem Aserbaidschan in den Europarat aufgenommen wurde, an Luxusreisen nach Baku teilnahmen. Seit diesem Jahr gilt Aserbaidschan als „zuverlässiger“ Gaslieferant der EU – sagt die Kommissionspräsidentin.
Ursula von der Leyen dürfte auch nicht ruhig schlafen, denn die Staatsanwaltschaft ermittelt im Fall des Pfizer-Impfstoff-Deals; es geht um Unregelmäßigkeiten bei der Corona-Impfstoff-Beschaffung – die SMS von der Leyens mit Big Pharma sind angeblich unauffindbar. Eine Nähe zu Interessengruppen verwandelt sich in der EU leicht zu einem „Drehtürsystem“, wie im Fall von Ex-Kommissionschef José Manuel Barroso, jetzt Berater der US-Investmentbank Goldman Sachs. Das bedeutet keine gute Glaubwürdigkeitskarte für das europäische Demokratiehaus.
Die Veröffentlichung von Treffen zwischen Abgeordneten und Lobbyisten im Lobbyregister sollte Pflicht sein – nur etwa die Hälfte tun es jetzt freiwillig –, und Drittstaaten sollten in die Liste aufgenommen werden, bisher bleiben sie draußen. Eine Nebenverdienstobergrenze wäre ebenfalls längst fällig – ein Drittel der Abgeordneten bezieht regelmäßige andere Einkünfte.
Sonst wird die europäische Demokratie weiter geschwächt, für Bestechlichkeit empfänglich sein und Populisten wie der ungarische Ministerpräsident werden künftige Machtspiele gewinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind