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Kopftuchverbot für Schülerinnen in NRWKopftücher bleiben erlaubt

In NRW wird es kein Kopftuchverbot für Schülerinnen geben. Die NRW-Regierung beerdigt Pläne für ein Verbot bei Schülerinnen unter 14 Jahren.

In Nordrhein-Westfalen wird es kein Kopftuchverbot für Schülerinnen geben Foto: Wolfram Kastl/dpa

Berlin taz | Serap Güler (CDU), die Integrations-Staatssekretärin von Nordrhein-Westfalen, hat das Thema aufgebracht und durfte es jetzt auch wieder beerdigen: In NRW wird es kein Kopftuchverbot für Schülerinnen geben. „Wir haben uns entschieden, auf ein Verbot zu verzichten“, sagte sie in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. Stattdessen sollen Aufklärungsarbeit und Elterninformation in Kitas und Grundschulen systematisch verbessert werden.

Ausgangspunkt der Diskussion war der Plan der österreichischen ÖVP-FPÖ-Regierung, ein Kopftuchverbot für Grundschulen einzuführen. Güler begrüßte dies im April 2018 auf ihrer Facebook-Seite und sprach von einem „guten Vorhaben“. Kopftücher seien bei ganz jungen Mädchen „keine Religionsausübung“, sondern „pure Perversion“, weil die Mädchen dadurch „sexualisiert“ würden.

Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) wurde durch den Vorstoß seiner Staatssekretärin überrascht, unterstützte sie dann jedoch ebenso wie Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Stamp sagte, die Landesregierung werde „prüfen, das Tragen des Kopftuchs bis zur Religionsmündigkeit, also bis zum 14. Lebensjahr, zu untersagen“. Tatsächlich besteht auch aus streng muslimisischer Sicht erst ab der weiblichen Pubertät die religiöse Pflicht, ein Kopftuch zu tragen.

Der Vorstoß Gülers löste allerdings auch Widerspruch aus. Eine solches Verbot könne dazu beitragen, „dass sich Schülerinnen ausgegrenzt und diskriminiert fühlen“, sagte etwa Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Keine Lust auf Rechtsstreit

Für Güler gaben jetzt verfassungsrechtliche Argumente den Ausschlag. „Es ist rechtlich umstritten, ob ein Kopftuch-Verbot als Eingriff in die Religionsfreiheit und in Elternrechte vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben würde“, sagte sie der WAZ. Ein langer Rechtsstreit helfe aber niemandem weiter.

Für die Organisation „Terre des Femmes“ hatte der konservative Verfassungsrechtler Matin Nettesheim im August 2019 ein Gutachten geschrieben, wonach Kopftuchverbote für junge Mädchen keine Grundrechte verletzten. Bis zum 14. Lebensjahr verfügten Kinder gar nicht über die intellektuellen Fähigkeiten für ein „glaubensorientiertes Leben“. Außerdem entnahm Nettesheim dem Grundgesetz eine Pflicht, Kinder „zur Freiheit“ zu erziehen.

Bisher hat das Bundesverfassungsgericht nur über Kopftücher bei Lehrerinnen und Erzieherinnen entschieden. Hier seien generelle Verbote unzulässig. In den nächsten Monaten wird Karlsruhe über das Kopftuch bei Richterinnen urteilen. Kopftuchverbote bei Kindern waren bisher kein Thema, weil es in Deutschland noch kein derartiges Verbot gibt.

Wie viele Schülerinnen und Kita-Kinder in NRW überhaupt ein Kopftuch tragen, konnte die Landesregierung im Vorjahr auf Anfrage der Grünen nicht sagen.

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11 Kommentare

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  • Warum Frau Güler einen Rückzieher gemacht hat, darüber können wir nur spekulieren. Den Nutzen haben jedenfalls die fundamentalistischen Vertreter des Islam. Ihnen wird mit der Erlaubnis zum Kinderkopftuch die Indoktrination immer jüngerer Kinder auf dem Silbertablett serviert. Den Schaden haben die Kinder – und auch wir als Gesellschaft, denn mit den islamischen Auffassungen vom Wohlverhalten der Mädchen und Frauen wird ein patriarchalisches Weltbild reanimiert.



    Wie Frau Lüders zu der Auffassung kommt, ein Verbot des Kinderkopftuchs könne dazu beitragen, „dass sich Schülerinnen ausgegrenzt und diskriminiert fühlen“, bleibt ihr Geheimnis. Ausgegrenzt werden die Mädchen, die unter das Kopftuch gezwungen werden und sich nicht wie andere Mädchen ihres Alters frei bewegen und entwickeln können. Oft genug dürfen sie darüber hinaus auch nicht zum Schwimmunterricht oder auf Klassenfahrt. Sie sind gehandicapt im Namen der „Religionsfreiheit“ – aber nicht ihrer eigenen, sondern der ihrer Eltern oder der über sie herrschenden Community!



    Es ist wichtiger, dass die Zivilgesellschaft sich um die Kinder kümmert, die in ihr aufwachsen, statt jenem Teil der Gesellschaft Raum zu geben, der unter Religionsfreiheit versteht, die eigene Religion auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen.

  • Die "Linke" hat lange darum gekämpft den Einfluß der konservativen christlichen Kirchen auf die Gesellschaft und den Staat zu begrenzen und deren Anspruch auf Durchsetzung "kirchlicher Regeln" zu brechen.



    Es ist irritierend, daß bei nicht minder konservativen und patriarchalischen islamischen Strukturen hier nicht das gleiche Engagement zu sehen ist, wie man es insbesondere bei der katholischen Kirche auf linker Seite gezeigt hat.

  • Ich glaube, ich hatte Bilder aus meiner Grundschulzeit (bis 1970), auf denen einzelne Maedchen Kopftuecher getragen haben. Allerdings nicht auf die heute bei Musliminnen in Deutschland vebreitete Weise mit beulenfoermigem Umfang.

  • Da hier scheinbar alle Kommentare ins gleiche Horn blasen, hier ein Kontra: nein, ich bin nicht mit dem Autoritarismus im Islam besonders warm (wie auch nicht mit dem im Christentum).

    Aber es ist nicht der Job der Zivilgesellschaft, den Menschen ihre Kleiderordnung vorzuschreiben.

    Wer sich mit den Religionen und ihren Folgen ernsthaft auseinandersetzen will sollte sich etwas mehr Mühe geben als nur nach Gesetzen zu schreien, die Kleider vorschreiben oder verbieten. So einfach ist es nicht.

    • @tomás zerolo:

      Sie wissen doch genau, dass es sich hier nicht einfach um eine Art Mode - und Bekleidungsvorschrift handelt (wäre sonst doch sehr naiv). Nah der von Ihnen geforderten Auseinandersetzung sieht das nicht aus. Es geht hier um Teilhabe, Einhaltung von Rechten von Mädchen und Menschenrechte, hier hart erkämpft wurden. Letztlich geht es darum abzuwägen (oder auch juristisch abzuklären), ob unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit und Elternrechte diese preisgegeben werden. Eigentlich immer auch ein "Job" der Zivilgesellschaft hier nicht wegzuschauen und sich damit auseinanderzusetzen aber schon erstaunlich, dass gerade im linken Spektrum weggeschaut wird, bis es knirrscht. Ich vermute Sie sind nach Ihrem Namen nach männlichen Geschlechts, Frauenrechte waren da den Erfahrungen nach der 2. Welle der Frauenbewegung nie Priorität. Also letztlich nichts neues.

      • @Pommes_Fritz:

        "Sie wissen doch genau, dass es sich hier nicht einfach um eine Art Mode - und Bekleidungsvorschrift handelt [...]"

        Klar weiss ich das. Mir ist bewusst, wie komplex das Problem ist -- einerseits die ursprüngliche, religiöse Ebene, dann noch die hinzugekommene identitäre, die durch konfrontative Ansätze eher verstärkt wird.

        Ich halte deshalb nichts von Verboten, weil sie diese zweite, identitäre Ebene verstärken.

        Wird das Kopftuch in der Öffentlichkeit zurückgedrängt, dann führt das eher dazu, dass manche Frauen gar nicht mehr in die Öffentlichkeit kommen. Dass manche Mädchen sich zwischen ihrer Familie und ihrer Freiheit entscheiden müssen.

        Verbote sollten hier immer ultima ratio bleiben.

  • Vielleicht wäre es für viele, die diese Gesellschaft gestalten und sich dem GG bzw. der Universalität der Menschenrechte (und Frauenrechte) verbunden fühlen mal Zeit etwas genauer mit den Prämissen des hier gelebten Islam bzw. dessen nicht verhandelbaren Prämissen zu befassen. Im Islam sind Rechtsfragen, insbesondere Familien- und strafrechtlichen Dimensionen eng verwoben. Wie bei allen monotheistischen (patriachalischen) Religionen beinhaltet dies ein Regelwerk von Verhaltensweisen, ganz besonders von Frauen. Obwohl das Kopftuch für kleine Mädchen nicht obligat ist, bahnt sich hier eine Entwicklung in unserer Gesellschaft an, die angesichts der demografischen Entwicklung beunruhigend ist. Dieses Scheinargument der Ausgrenzung ( deshalb ja zum Kopftuch) ist letztlich eine Resignation und eine Konfliktvermeidungsstrategie, sich nicht mit den Verbänden und Moscheen anzulegen, die diese Entwicklung fördern. Das Kopftuch schränkt kleine Mädchen motorisch und in ihrer Bewegungsfreiheit massiv ein. Diese Prozesse werden einfach sich selbst überlassen, dann die Selbstberuhigung mit der Präventionsankündigung. Das Einknicken bei problematischen Fragen zur Religionsfreiheit, insbesondere wenn es den Islam betrifft hat System.

    • @Pommes_Fritz:

      Ja, finde ich auch. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie befremdlich und wie einschränkend ein Kopftuch in der Grundschule ist. Die Mädchen schämen sich bereits nach kurzer Zeit, es abzunehmen, selbst, wenn sie es "dürften".

  • "Tatsächlich besteht auch aus streng muslimisischer Sicht erst ab der weiblichen Pubertät die religiöse Pflicht, ein Kopftuch zu tragen."

    Schade, mit dem Gesetz hätte man extremistische Strömungen im Islam, hierzulande besser eindämmen können. Habe manchmal den Eindruck , dass viele Politiker die Zeichen der Zeit nicht deuten können.

    Gibt es eigentlich ein Gesetz, dass die Freistellung vom Sportunterricht für Mädchen verbietet, bzw. und wenn ja , wird es umgesetzt???

    • @lulu schlawiner:

      Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an Fakten.

      Die Moderation

  • RS
    Ria Sauter

    Hätte mir gewünscht, die Regierung in NRW hätte das durchgezogen.



    Vielleicht hätte dies etwas mehr Unterstützung für diese Kinder bedeutet.



    Wenn alle kein Kopftuch tragen, wieso sollten sie sich diskriminiert fühlen?



    Das Gegenteil wäre der Fall. Sie würden endlich dazugehören.

    Da bin ich mal gespannt ob Richterinnen Kopftücher tragen dürfen.



    Mit viel Engagement wurden die christlichen Symbole verboten.



    Es gibt doch eine Trennung von Kirche und Staat.