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Politikwissenschaftler über Islamophobie„Es gibt hier einen Clash of Ideas“

Farid Hafez hat eine Studie zu Hass auf Muslime veröffentlicht. Im Interview erklärt er, warum nicht nur Rechte Rassisten sein können.

Kopftuchverbot? Islamophob, sagt Farid Hafez. Diese Demonstrantin in Paris dürfte wohl zustimmen Foto: dpa
Interview von Fabian Goldmann

taz: Herr Hafez, was bedeutet es eigentlich, islamophob zu sein?

Farid Hafez: Grob gesagt gibt es drei Zugänge, um das Problem zu fassen. Zum einen über die Vorurteilsforschung. Wir fragen: „Wie sind die Einstellungen der Menschen zum Thema Islam und Muslime?“ Dann gibt es die Perspektive, Islamophobie als Rassismus und damit als Machtfrage zu verstehen. Außerdem gibt es die post- und dekoloniale Perspektive. Da versucht man, das Problem in eine globale Geschichte eines rassistischen Verhältnisses zu bringen. Dieser Zugang ist im deutschsprachigen Raum eher weniger verbreitet.

Gibt es noch andere deutsche Besonderheiten?

Wir haben mit dem Holocaust eine ganz besondere Geschichte des Antisemitismus durchlebt. Das bringt uns dazu, Antisemitismus sehr provinziell zu sehen, statt ihn als ein globales Phänomen zu betrachten. Oft wird versucht, Antisemitismus als überwunden darzustellen, oder man will ihn als Ausdruck völkischen rechten Denkens ausmerzen. Was man nicht tut – und das ist problematisch –, ist, Antisemitismus als Teil eines globalen rassistischen Verhältnisses zu verstehen. Das Gleiche gilt auch für Islamophobie. Deshalb tun wir uns sehr schwer, die tieferen Ursachen von antimuslimischem Rassismus anzuschauen.

Ihr gerade veröffentlichter „European Islamophobia Report“ erscheint unter dem Dach des türkischen Thinktanks Seta, der enge Verbindungen zum türkischen Establishment pflegt. Kritiker werfen Ihnen deshalb fehlende Unabhängigkeit vor. Wie stehen Sie dazu?

Wie so oft werden Dinge als große Verschwörung betrachtet. Am Ende des Tages kann ich eine ganz einfache Geschichte erzählen, wie das zustande kam: Ich habe einen ehemaligen Studienkollegen. Der hat zehn Jahre lang Politikwissenschaft mit mir in Wien studiert und ist dann in die Türkei gegangen. Später haben wir uns wieder getroffen und gemeinsam die Idee für den Report erarbeitet. Der Mitherausgeber arbeitet bei Seta und die haben es angenommen.

Das beantwortet nicht die Frage nach möglicher Einflussnahme.

Ich finde es sehr problematisch, 39 Akademikern, die über 34 Länder schreiben, zu unterstellen, sie würden eine Agenda verfolgen, die von außen aufoktroyiert ist. Ich hab für viele Thinktanks gearbeitet, zum Beispiel für Brookings, einen der wichtigsten US-amerikanischen Thinktanks. Da wird mir auch nicht unterstellt, ich würde das US-amerikanische Imperium verteidigen, auch wenn Brookings nahe am Establishment ist. Man kann ruhig kritisch gegenüber Seta sein, das stört mich überhaupt nicht. Aber die Kritik geht häufig vorbei an der eigentlichen Sache. Es gibt keine Beeinflussung von niemandem. Ich habe volle Autorität darüber, was da drinsteht.

Im Interview: Farid Hafez

37, lehrt und forscht an der Abteilung Politikwissenschaft der Universität Salzburg. Zudem ist er Senior Research Fellow an der Georgetown University. Von 1998 bis 2007 war er in der Muslimischen Jugend Österreichs aktiv.

Nun ist nicht jede Kritik „verschwörerisch“. Auch die Stiftung Wissenschaft und Politik schreibt, Seta stehe der türkischen Regierung nahe. Haben Sie sich damit auseinandergesetzt, bevor Sie auf Ihre Kommilitonen zugegangen sind?

Als ich 2014 mit meinem ehemaligen Studienkollegen ins Gespräch gekommen bin, war die Welt der Türkei-EU-Beziehungen noch eitle Wonne. All die Probleme, die später aufgekommen sind, sind noch nicht dagewesen. Außerdem: Bei Seta waren Personen, die heute hohe Positionen im türkischen Establishment haben, wie auch Personen, die heute die AKP aus Protest verlassen haben. Es spricht eher für den Thinktank, dass dort gute Leute waren.

Aktuelle Texte auf der Seta-Website behandeln die Frage, warum die PKK eine Terrororganisation, der türkische Einmarsch in Syrien völkerrechtskonform und die türkische Militärindustrie so mächtig ist. Man kann zu diesen Ergebnissen sicherlich auch als unabhängige Institution kommen, aber die Dichte an Beiträgen, die voll auf Regierungslinie liegen, ist schon auffällig groß.

Nehmen wir das PKK-Beispiel. Diese Position wird über das ganze politische Spektrum geteilt und zudem von der EU. Es gibt hier eher einen Clash of Ideas zwischen dem angestammten türkischen Establishment insgesamt und dem, wie wir hier in westeuropäischen Ländern denken. Hinzu kommt: Wenn Sie sich die Website anschauen, dann sehen Sie das Seta von heute. Und Seta heute ist sicherlich nicht Seta von vor einigen Jahren.

Was bleibt, ist, dass das eigentlich lobenswerte Anliegen Ihres Reports häufig in ein problematisches Licht gerückt wird. Wozu braucht es die Zusammenarbeit überhaupt?

In Europa haben wir nicht so viele Institutionen, die uns erlauben, einen solchen Blick auf Islamophobie zu werfen, um auch das Revolutionäre daran herauszuarbeiten. Oftmals ist die Debatte im Wesentlichen eine über Islamophobie in Westeuropa. Wir waren der erste Report, der ganz Europa in den Blick genommen hat. Mit einem Vergleich von 34 Ländern und über vier Jahre. Das ist eine riesengroße Leistung. Hinzu kommt: Bei vielen Thinktanks habe ich mehr Einflussnahme erlebt als bei Seta.

Widmen wir uns dem Inhalt des Reports. Neben Rechtsextremisten tauchen dort auch Islamkritiker wie Ahmad Man­sour und Seyran Ateş auf. Kann man die wirklich in eine Reihe stellen?

Hier muss ich noch mal klarmachen: Der Islamophobie-Begriff, der hier verwendet wird, ist der des antimuslimischen Rassismus. Es geht also um die Reproduktion von Rassismus, Rassismus als Einstellung, Rassismus als Struktur. Oftmals denken Leute, wenn ich jemanden islamophob oder rassistisch nenne, würde ich alle in einen Topf werfen und gleichsetzen mit den Rechten. Daran sieht man das verkürzte Rassismusverständnis, das wir im deutschsprachigen Raum haben: Rassismus ist gleich die böse völkische Ideologe. Mir geht es aber um die Reproduktion von Denkweisen und Handlungen. Selbst wenn sich der heiligste Mufti für ein Kopftuchverbot einsetzen würde, wäre das islamophob.

Einige Kritiker werfen Ihnen vor, Ihr eigentliches Ziel sei es, Kritiker des politischen Islam mundtot machen zu wollen.

Also, die AfD ist nicht Seyran­ Ateş oder Ahmad Mansour. Das ist natürlich richtig. Aber dieser Vorwurf beschreibt eigentlich genau das, was die beiden machen: Beide betreiben die Ausgrenzung von muslimischen Akteuren auf dem politischen Feld. Ahmad Mansour ist Mitglied in der European Foundation for Democracy, die versucht, muslimische zivilgesellschaftliche Akteure auszugrenzen, indem sie sie als islamistisch markiert. Der Vorwurf, der hier hervorgebracht wird, ist in Wirklichkeit eine Projektion des eigenen Handelns auf andere Akteure, sonst gar nichts.

Und was haben Sie gegen Seyran Ateş?

Seyran Ateş hat eine europäische Bürgerinitiative ins Leben gerufen, in der sie, ähnlich wie im McCarthyismus, eine Liste von autorisierten religiösen muslimischen Einrichtungen haben will. Davon soll abhängen, welche Einrichtungen Fördergelder bekommen. Ich halte das für eine enorm autoritäre Maßnahme, die darauf abzielt, dass bestimmte Islamausformungen akzeptiert und andere kriminalisiert werden. Nicht zuletzt vertritt Seyran Ateş die Stadt Berlin beim Kopftuchverbot. Das ist für mich islamophob. Dass andere Akteure das nicht als islamophob betrachten, da kann ich nichts dafür.

Was ist daran islamophob?

Ein säkularer Staat darf überhaupt nicht zu dem Punkt kommen, zu definieren, was Islam ist und was ein guter Islam ist. Insbesondere in einem Staat wie Deutschland, wo anerkannte Religionsgemeinschaften eine innere Autonomie darüber haben, zu definieren, was ihre Religion ist. Aber dieses Spiel erlaubt sich der Staat, indem er einfach keine muslimische Religionsgemeinschaft anerkennt. Oder man macht es wie in Österreich, wo der Staat einfach sagt, dass er Muslime ungleich behandelt.

Zu Beginn haben wir einen Blick zurückgeworfen, werfen wir einen nach vorn: Gerade erschien Ihr zehntes „Jahrbuch für Islamophobieforschung“. Was glauben Sie, worum es im zwanzigsten gehen wird?

Ich bin kein großer Optimist, muss ich ehrlich gestehen. Wir leben in einer Zeit, wo wir noch ganz anderen Herausforderungen entgegensehen werden: der Frage der Ökologie, der Schere von Reich und Arm, den Migrationsströmen aufgrund von politischen und ökologischen Veränderungen. All das wird einen Einfluss darauf haben, wie Rassismus im Zusammenspiel mit Klasse und Gender strukturiert sein wird.

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17 Kommentare

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  • In der realen Welt leiden und sterben die meisten Muslime nicht durch anti-muslimischen Rassismus sondern durch konfessionelle Konflikte innerhalb des Islams.



    Die Opfer von Alkaida, IS, etc. etc. sind eben vor allem Muslime.



    Diese Opfer und Muslime üben oft und völlig zurecht Kritik an den Tätern und deren Ideologie.



    Ist man jetzt ein "Rassist" wenn man genau DIESE Kritik auch in Deutschland öffentlich vertritt ?

  • Die Kommentarspalte bietet hier doch gute Beispiele für anti-muslimischen Rassismus. Es scheint eine Art Lewis' Law für die kritische Auseinandersetzung mit anti-muslimischen Rassismus zu geben. Auch die gestellten Fragen zielen nur wenig auf eine kritische Auseinandersetzung mit Rassismus ab und suggerieren stattdessen, dass ein Förderung vom türkischen Establishment aber mehr Einflussnahme beinhalten müsste als zum Beispiel vom deutschen, europäischen oder amerikanischen Establishment (=rassistische Doppelstandards). Umso beeindruckender sind die erhellenden Antworten des Interviewten.

  • Politische Kontrahenten als 'phobisch' zu bezeichnen, pathologisiert diese - Phobien sind psychische Krankheiten .

    Das ist/war i.ü. die übliche Praxis totalitärer Systeme, die ihre Kritiker in geschlossene Anstalten einweisen ließen.

    Der Begriff 'Islamophobie' hat weder in einer seriösen Politikwissenschaft etwas zu suchen, noch in einer produktiven politischen Auseinandersetzung.

  • "Selbst wenn sich der heiligste Mufti für ein Kopftuchverbot einsetzen würde, wäre das islamophob."

    Also: Kritik am Islam ist ausgeschlossen!

    • @Mzungu:

      Es gibt einen Unterschied zwischen einer Förderung eines Verbots und ddr persönlichen Meinung ein Kopftuch nicht gutzuheißen.



      Sie können der Meinung sein, dass ein Kopftuch ihrer Hinsicht nach unnötig ist. Nichtsdestotrotz ist es zu respektieren, dass andere Menschen ein Koptuch tragen möchten. Da setzt man mit einem "Kopftuchverbot" die Maßstäbe anders, da die Muslime so sonder behandelt werden würden und diesbezüglich islamophob wären.



      Eine Kritik an Kopftüchern dürfen sie weiterhin äußern, keine Sorge, nur die Förderung zu stellen Kopftücher ablegen zu müssen, wären islamophob, weil sie gegen der individuellen Freiheit und der Religionsfreiheit, die wir in Deutschland haben, sprechen.

      • @Luffy99:

        In der Türkei selbst gab es ein Kopftuchverbot in Behörden. Das galt z.B. auch für Schülerinnen und Studentinnen bis 2008 (nachzulesen: de.wikipedia.org/w...tuchstreit#Türkei). Ist die Türkei damit über Jahrzehnte hinweg ein islamophober Staat gewesen?

      • @Luffy99:

        Ich halte es durchaus für legitim auch generell Kritik an jenen, meist traditionell-konservativen, Strömungen des Islam zu üben, welche sich auch durch das Kopftuch symbolisieren.



        Das Kopftuch als "religiöse Pflicht"wird grade auch von feministischer Seite aus kritisiert, da diese "Pflicht" kaum aus religiösen Schriften des Islam aber dafür umso mehr aus patriarchalischen Strukturen abzuleiten sei, so zumindest die Kritik, die man zulassen sollte.

  • "Insbesondere in einem Staat wie Deutschland, wo anerkannte Religionsgemeinschaften eine innere Autonomie darüber haben, zu definieren, was ihre Religion ist".



    Aha, und das GG? Wenn man die Vita des Autors betrachtet und dass diese Studie von der EU gefördert wurde, fällt mir nichts mehr ein. Ganz zu schweigen von dem pseudowissenschaftlichen Ergebnis, was eher unter unter Aktivismus und Propaganda eingeordnet werden kann. Das Ziel ist offensichtlich: jede Kritik in einer freien demokratischen Gesellschaft an den problematischen Dimensionen des Islam (rechtliche Stellung und Diskriminierung von Frauen, implizites Familien und Strafrecht etc.) wird als islamophob definiert und Kritiker denunziert (siehe oben). Diese Definition wird apodiktisch verbreitet, denunzierte Gegner sollen langfristig zermürbt werden. Hoffentlich hält diese beunruhigende Entwicklung unsere freiheitliche Grundordnung auf Dauer aus (insbesondere der Schulterschluss mit dem Twitterfeminismus zeigt , wo die Reise hingehen könnte)!

  • Das verstehe ich nicht: "politischen Islam" ???



    Viele Menschen weltweit glauben irgend etwas. Wenn sie den den Politikern und deren Versprechungen vor einer Wahl glauben, ist das naiv wie Lottospieler, die an einen Gewinn glauben.



    Wer die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen nachrechnet, hat in jeder Spielbank wesentlich höhere Gewinnwahrscheinlichkeiten. Das nennt man Statistik!

    Religionen, das bedeutet "wieder anknüpfen" an eine vermutliche Schöpfung. Da gibt es sehr viele Variationen: e.g. Re-Ligionen. Na und?

    Das muß nicht sein: „Es gibt hier einen Clash of Ideas“.



    Ich sage, es gibt unendlich viele Ideen zu glauben. Deshalb haben wir die Glaubensfreiheit: Jeder soll glauben, was er will! Er /sie sollen niemanden daran behindern! Jeder soll auf seine Art glücklich werden!

  • Herr Farid Hafez hat zehn Jahre lang in Wien Politikwissenschaft studiert und noch nichts von der Aufklärung gehört.



    Das ist eine ganz beachtliche Leistung. Wahrscheinlich ist er deswegen so totalitär gegen ein Kopftuchverbot an Schulen. Und totalitär ist er, wenn er die Menschen als Islamophob klassifiziert, die die Ansicht vertreten, dass Religion kein bestimmendes Element mehr im öffentlichen Raum sein darf. Und das ist eine unumstößliche Errungenschaft der Aufklärung. Herr Hafez, sie sind ein Wolf im Schafspelz.

  • Kommt da auch noch einmal ein 2. Teil, in dem der Inhalt des Reports vorgestellt wird?

  • "Ein säkularer Staat darf überhaupt nicht zu dem Punkt kommen, zu definieren, was Islam ist und was ein guter Islam ist."

    Was ein "guter" Islam ist, ist glaube ich nicht der Punkt. Aber wenn etwas zur Gesellschaft gehört, ist es doch normal, dass die Gesellschaft auch mitredet, welche Strömungen eher nicht erwünscht sind. Das gilt auch für die Industrie, NGOs, die Kirche, Parteien, .... alles eben.

  • Das ist ja sehr interessant. Und warum nicht bald auch mal ein Interview mit Herrn Kubitschek oder Bernd Hoecke... Man muss ja alle mal zu Wort kommen lassen.

    • @Neolith:

      Nicht das irgendwer meint ich hätte für einen der genannten Sympathien. Aus dem Interview nehme ich mit was eh klar sein sollte: Das nicht nur weiße Christen rechtsextrem sein können, sondern auch Menschen orientalischer Abstammung, wie der interviewte Herr.