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Konsumwochen vor WeihnachtenMilliarden im Müll

Der Onlinehandel boomt – und damit auch das Zurückschicken von Waren. Das Problem: Viele Retouren werden dann einfach vernichtet.

Konsumieren bis es quietscht – nicht nur am Black Friday (hier ein Amazon-Paketbote in New York) Foto: Jennah Moon/reuters

Berlin taz | Was passiert mit im Onlinehandel zurückgeschickten Waren – werden sie noch einmal verkauft, gespendet oder vernichtet? Rund um die besonders konsumintensiven Vorweihnachtstage inklusive Black Friday und Cyber Monday hat Ralf Kleber, Deutschlandchef von Amazon, Vorwürfe der massenhaften Retourenvernichtung zurückgewiesen.

„Bei der Ware, die uns gehört, liegt dieser Anteil im Promillebereich“, erklärte er gegenüber dem Handelsblatt. Er räumte allerdings ein, dass das bei Händlern, die ihre Produkte über den Amazon Marketplace verkaufen, anders aussehen könne. Ursache dafür sei, dass die Händler, wenn sie ihre Produkte spenden, Umsatzsteuer zahlen müssen – bei der Entsorgung aber nicht.

Der Umgang mit Retouren steht seit Jahren in der Kritik. Laut einer Schätzung der Universität Bamberg wurden im vergangenen Jahr 315 Millionen Pakete zurückgeschickt, ein Plus von 4,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wie viel davon vernichtet wurde, wird nicht erfasst.

Es ist allerdings eine Näherung möglich: Im Jahr 2018 haben Onlinehändler in Deutschland laut den Bamberger For­sche­r:in­nen 7,5 Millionen zurückgeschickte Produkte entsorgt, obwohl diese noch hätten verwertet werden können. Das entspreche 3,9 Prozent der zurückgeschickten Sendungen.

Auch Ware aus stationären Geschäften wird vernichtet

Doch nicht nur der Onlinehandel ist ein Problem. Denn auch die stationären Einzelhändler bleiben auf Teilen ihrer Ware sitzen. In der Pandemie ist dieser Berg durch die Schließung von Läden gestiegen: Handelsverbände schätzten ihn alleine für die vergangene Herbst-Winter-Saison auf bis zu 500 Millionen Kleidungsstücke. „In Deutschland wird jährlich neuwertige Ware im Wert von 7 Milliarden Euro zerstört“, sagt Philipp Sommer, Experte für Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) – die Vernichtung durch Online- und stationäre Händler zusammen betrachtet.

Die neue Ampelkoalition hat das Problem in ihrem Koalitionsvertrag kurz erwähnt: „Die Retourenvernichtung werden wir reduzieren“, heißt es da. Das hatte bereits die noch amtierende Umweltministerin Svenja Schulze versprochen. Im vergangenen Herbst trat das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz in Kraft. Doch um eine Wirkung zu entfalten, fehlt es noch an einer entsprechenden Rechtsverordnung.

Auch Amazon trägt als Plattform dazu bei, dass es für Händler häufiger attraktiver ist, Ladenhüter zu vernichten, als sie noch länger aufzubewahren. Für „Einheiten, die länger als 365 Tage in einem Amazon-Logistikzentrum gelagert werden“, fallen laut Amazon zusätzliche Langzeitlagergebühren an. Der Aufschlag entfällt, wenn „vor der Erhebung der Gebühr eine Entfernung oder Entsorgung der Einheiten angefordert wurde“.

„Das ist ein starker Treiber dafür, Waren vernichten zu lassen“, sagt Sommer. Er fordert neben einem Wegfall der Umsatzsteuer für das Spenden solcher Waren auch umfangreiche Prüf- und Dokumentationspflichten für Unternehmen, wenn sie neuwertige Waren zerstören wollen. Behaupte ein Unternehmen etwa, dass Ware nicht gespendet werden könnte, müsse es beispielsweise belegen, dass gemeinnützige Organisationen die Ware mangels Verwendbarkeit abgelehnt hätten. Mit Transparenzpflichten würde das Ausmaß der Zerstörung bekannt – und für Firmen im Online- wie in stationären Handel ein Anreiz gesetzt, alternative Wege und ein umweltfreundlicheres Verhalten zu wählen.

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6 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Die Rücksendung einfach kostenpflichtig machen! Schon halbieren sich die Sendungen!



    Aber wahrscheinlich muss erstmal das Grundgesetz geändert werden, hahahaha. In diesem Land wird alles zerredet bis zur Handlungsunfähigkeit.

  • "Ursache dafür sei, dass die Händler, wenn sie ihre Produkte spenden, Umsatzsteuer zahlen müssen – bei der Entsorgung aber nicht."

    Das ist aber auch komplett bescheuert.

    Waren die zur Entsorgung bestimmt sind sollten eine feste Zeit zwischengelagert werden,. In dieser Zeit sollten gemeinnützige Organisationen und/ oder bedürftige bei Bedarf Zugriff auf diese haben. So sinken die Entsorgungskosten und dem Unternehmen kann nicht vorgeworfen werden "Scheinspenden" zu machen.

    Lagerung und Abholung wären ein zentrales Problem und ein Kostenfaktor für die Unternehmen. Ein Systhem mit zentraler Lagerung (je stadt oder Kreis wo es sich lohnt), durch ein staatlich finnaziertes Unternehmen betrieben könnte eine Lösung sein. Der nicht Müll wird separat wie der Müll abgeholt und dort gelagert und sortiert.

    kliene Transporter gibt es mit Elektroantrieb, ließe sich also durchaus auch halbwegs Co2 neutral gestalten.

  • "Im Jahr 2018 haben Onlinehändler in Deutschland laut den Bamberger For­sche­rn 7,5 Millionen zurückgeschickte Produkte entsorgt, obwohl diese noch hätten verwertet werden können."

    "Auch die stationären Einzelhändler bleiben auf Teilen ihrer Ware sitzen. In der Pandemie ist dieser Berg durch die Schließung von Läden gestiegen: Handelsverbände schätzten ihn alleine für die vergangene Herbst-Winter-Saison auf bis zu 500 Millionen Kleidungsstücke."

    Der stationäre Einzelhandel vernichtet in einer "Saison" also eine halbe Milliarde Kleidungsstücke, der Onlinehandel in einem ganzen Jahr nicht mal 10 Millionen. Hochgerechnet liegt der Onlinehandel also bei knapp einem Prozent. Wieso wird dann so getan, als wäre der Onlinehandel, der eigentlich ja sowieso viel nachhaltiger ist, das Problem? Müsste die Politik da nicht eher überlegen, wie online gegenüber stationären Läden ausgeweitet werden kann?

  • In diesem Zusammenhang kommt das zunehmende Bewusstsein für nachhaltigen Umgang mit Energie und Ressourcen schlichtweg wie ein Segen.



    Und ich bin mir ganz ganz sicher; niemand wird diese Materialschlacht vermissen, alle werden nur erleichtert sein wenn es damit endlich vorbei ist.

  • Wie war noch die Geschichte vom Schlaraffenland?

  • Grundsätzlich eine Katastrophe, dass wir uns jedes Jahr unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Brauchs in die Konsumschlacht treiben lassen.