Konsequenzen nach AfD-Geheimtreffen: „Cancel Culture“-Vorwurf gegen Weidel
Die aufgedeckten Deportationspläne haben Folgen: AfD-Chefin Weidel trennt sich von ihrem Referenten Hartwig. Höcke ist auf der Flucht nach vorn.
Am Mittwoch will sich ein neues Bündnis aus 120 Organisationen in Berlin vorstellen, das unter dem Motto „Wir sind die Brandmauer“ firmiert und am 3. Februar eine Menschenkette um den Bundestag plant. In München rufen über 90 Organisationen zu einer Großdemo am Sonntag auf.
Hintergrund ist das von Correctiv aufgedeckte Potsdamer Geheimtreffen im November 2023 zwischen Unternehmern, AfD-Politiker*innen und Neonazis, bei dem Pläne für millionenfache Deportationen auch von Deutschen mit Migrationshintergrund diskutiert wurden.
Der rechtsextreme Ideologe Martin Sellner hatte diesen vermeintlichen „Masterplan“ in einer Potsdamer Villa am Lehnitzsee vorgestellt. Die Idee unter dem verharmlosenden Stichwort „Remigration“ sei wohlwollend diskutiert worden – auch von anwesenden Mitgliedern der CDU und der Werteunion.
Konsequenzen in der AfD sind vielschichtig
Während die Union Ordnungsmaßnahmen und Parteiausschlussverfahren gegen Teilnehmer*innen durchsetzen will, sind die Konsequenzen bei der AfD vielschichtiger: Weite Teile der AfD, darunter auch Bundestagsabgeordnete, bekräftigen erst recht Forderungen unter dem Label „Remigration“ und damit schon länger in der Partei und im neonazistischen Vorfeld diskutierte Konzepte.
Bekannt geworden ist mittlerweile, dass Parteichef Tino Chrupalla bei einem ähnlichen Treffen des rechtsextremen Zahnarztes Gernot Mörig dabei gewesen sein soll. Ebenso gibt es Hinweise, dass das Geheimtreffen in Potsdam eine regelmäßige Runde war.
Björn Höcke und weitere Fraktionsvorsitzende aus den völkisch dominierten östlichen Landesverbänden nutzten die Aufmerksamkeit für eine Offensive, indem sie Wesentliches von Sellners Deportationsplänen und der neurechten Verschwörungslegende vom Bevölkerungsaustausch wiederkäuten.
In einem am Dienstag vorgelegten Statement forderten sie wie zum Trotz eine „großangelegte Rückführungsinitiative“ sowie „Assimilationsdruck auf nichtintegrierte Ausländer“. Das Staatsangehörigkeitsrecht müsse zurückgedreht werden – kurzum: „Deutschland muss wieder deutscher werden.“
Weidel trennt sich von Hartwig
Die Parteispitze war demgegenüber unter großem öffentlichen Druck aber auch um Schadensbegrenzung bemüht: Alice Weidel hat sich am Dienstagabend von ihrem persönlichen Referenten Roland Hartwig getrennt – „mit sofortiger Wirkung und in gegenseitigem Einvernehmen“, wie es hieß. Hartwig hatte am Treffen teilgenommen und sollte zugesagt haben, dass er die Ergebnisse – also die verfassungswidrigen Deportationspläne – in die Parteispitze tragen wolle. Der 69-Jährige ist seit 2013 in der AfD, saß letzte Legislatur als Abgeordneter im Bundestag und war früher Chefjurist der Bayer AG.
Weidels persönlicher Sprecher wollte der taz gegenüber keine nähere Begründung für die Trennung abgeben. Schon im Bundesvorstand am Montagabend hatte sich abgezeichnet, dass eine für beiden Seiten gesichtswahrende Lösung gesucht werde – gut möglich also, dass Hartwig trotz allem weiter in der AfD eine Rolle spielt.
Aus Vorstandskreisen wird teils ein „Verlust für die Partei“ beklagt. Auch ist zu hören, dass Hartwig möglicherweise „bestimmte Projekte“ weiter betreuen solle. Der in der AfD wirkmächtige rechtsextreme Stratege Götz Kubitschek schrieb: „Weidels Entscheidung ist Altparteienverhalten“, und warf der Parteichefin „Cancel Culture“ vor.
Konsequenzen zumindest von außerhalb der Partei drohen auch Ulrich Siegmund, dem AfD-Fraktionsvorsitzenden aus Sachsen-Anhalt. Weil er beim Treffen dabei war, droht ihm die Abwahl als Vorsitzender des Sozialausschusses im Landtag. Ein fraktionsübergreifender Antrag der anderen Fraktionen ist in Vorbereitung. Siegmund soll sich allerdings noch gegenüber dem Ältestenrat erklären. Die Abwahl wäre erst in einigen Wochen möglich und erfordert eine Zweidrittelmehrheit.
Keine Konsequenzen für Bundestagsabgeordnete Huy
Zunächst keine ernsten Folgen drohen der AfD-Bundestagsabgeordneten Gerrit Huy, einer ehemaligen Managerin unter anderem von Daimler-Benz, die ebenfalls in der Potsdamer Villa dabei war. Ihr parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, nahm sie am Dienstag bei einer Pressekonferenz im Reichstag in Schutz: „Gemeingemacht hat sie sich mit nichts. Das hat nicht die geringste Konsequenz für irgendwas.“
Baumann war sichtlich darum bemüht, die Recherche herunterzuspielen, und tat so, als würde er Sellner nicht kennen, kaum etwas über das Treffen wissen, und sprach von einer „Kampagne“ und einem „Tiefpunkt des Journalismus“. Er selbst nannte die Zusammenkunft ein „normales Privattreffen“, betonte aber gleichzeitig, dass er selbst nicht teilgenommen hätte.
Huy werde sich nun in der Fraktionssitzung erklären, so Baumann. Ansonsten war er darum bemüht, die AfD als Rechtstaatspartei zu inszenieren. Für ihn gelte: „Wer einen deutschen Pass hat, ist Deutscher, mit allen Rechten und Pflichten.“
Huy selbst sieht das offenbar anders: Beim Geheimtreffen hat sie laut der Correctiv-Recherche betont, dass sie das von Sellner skizzierte Ziel schon länger verfolge. Sie habe gar ein „Remigrationskonzept“ mitgebracht, als sie vor sieben Jahren in die Partei eingetreten sei.
Deswegen argumentiere die AfD nicht mehr gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, weil man dann die deutsche Staatsbürgerschaft wieder wegnehmen könne – so könnte man Zuwanderer mit einem deutschen Pass in eine Falle locken, wie Correctiv Huy von dem Treffen zitiert.
Juristische Organisationen verurteilen Pläne scharf
Das öffentliche Entsetzen über die verfassungswidrigen Pläne beim Potsdamer Treffen ist weiter groß: Am Dienstag gaben sieben juristische Organisationen von Bundesrechtsanwaltskammer und Juristinnenbund, über Deutschen Richterbund bis zum Republikanischen Anwält*innenverein RAV eine gemeinsame Stellungnahme ab, in der sie den rechtsextremistischen „Masterplan“ aufs Schärfste verurteilten.
Was im kleinen Kreis nahe Potsdam entworfen worden sei, sei ein „Angriff auf die Verfassung und den liberalen Rechtsstaat“. Massenhafte Deportationen von Menschen aus Deutschland dürften nie wieder Realität werden, die gesetzliche Legitimation solcher Fantasien müsse mit allen juristischen und politischen Mitteln verhindert werden – „dieses Treffen darf sich in der Rückschau nicht als ‚zweite Wannseekonferenz‘ entpuppen“, so die juristischen Organisationen einhellig.
Auch werden Forderungen lauter, die im Grundgesetz angelegten Instrumente der wehrhaften Demokratie einzusetzen: Es gibt viele Stimmen, die ein AfD-Verbot fordern. Eine Petition unter dem Stichwort „Höcke stoppen!“ verlangt, dem Thüringer Landesvorsitzenden und Kopf der völkischen Strömung Grundrechte und damit die Wählbarkeit zu entziehen. Die Petition hat vor allem nach der Correctiv-Veröffentlichung binnen kurzer Zeit sehr viele Unterstützer*innen gefunden und kommt nun, Stand Dienstagmittag, auf knapp eine Million Unterzeichnende.
Distanzierungen bei VDS und Pottsalat
Andere Teilnehmer*innen des Potsdamer Treffens abseits der AfD haben bereits drastischere Konsequenzen zu spüren bekommen: Das Vorstandsmitglied des Vereins Deutsche Sprache (VDS), Silke Schröder, hatte in einem sprachlich etwas holprigen Statement ihren Rücktritt erklärt.
Auch teilnehmenden CDU-Mitgliedern, teils aus der Werteunion, drohen Konsequenzen und der Parteiausschluss. Die Universität Köln will den Status des Juristen Ulrich Vosgerau als Privatdozent prüfen – der hatte ebenfalls am Treffen teilgenommen.
Hans-Christian Limmer, ein rechter Investor, der die Einladung zum Treffen unterschrieben hat, aber selbst nicht dabei war, ist mittlerweile aus mehreren Unternehmen geflogen: Der Salat-Lieferdienst Pottsalat hat angegeben, dass Limmer nicht mehr Miteigentümer sei. Ähnlich ist es bei der Burger-Kette Hans im Glück, wo Limmer ebenfalls Gesellschafter war. Auch Backwerk, das Limmer mitgründete, hat sich von rechtsextremen Inhalten und dem ehemaligen Gründer distanziert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin