Konsens beim Sex: Männer wollen nicht immer
Frauen machen sich zu wenig Gedanken darüber, ob sie Grenzen bei Männern überschreiten. Auch Männer haben nicht immer Lust auf Sex.
E s ist noch ein langer Weg, doch in meinem Umfeld begegne ich immer mehr Männern, die sich Gedanken darüber machen, die Grenzen von Frauen beim Sex nicht zu überschreiten. Dass Frauen, die mit Männern schlafen, sich die gleichen Gedanken machen, nehme ich hingegen kaum wahr. Beim Thema Konsens scheint auch in feministischen, linken Kreisen oft noch ein traditionelles Männerbild zu herrschen: Männer wollen doch eigentlich immer Sex, es ist fast unmöglich, dass wir als Frauen ihre Grenzen überschreiten.
Das ist natürlich Bullshit. Doch ich gebe zu, dass dieses Denken auch in meinem Kopf noch tief verankert ist. Das musste ich erst kürzlich schmerzhaft feststellen. Mein Sexpartner und ich hatten beide sehr viel Lust aufeinander, doch als ich ihn in mich aufnehmen wollte, sagte er: „Vielleicht warten wir damit lieber noch ein bisschen?“
Ich weiß, dass er auf diese Weise manchmal schnell kommt. Ich dachte, er sagte es meinetwegen, er wollte mir die Möglichkeit geben, zuerst zu kommen. Daran, dass er sich gerade einfach nicht bereit für Penetrationssex oder Ejakulation fühlte, dachte ich nicht. Auch seine vorsichtig formulierte Frage nahm ich nicht als Nein ernst. Dabei sollte ich als Feministin eigentlich wissen: Nur Ja heißt Ja. „Vielleicht später“ heißt nein. Auch wenn es von einem Mann kommt.
Ich überschritt seine Grenze. Auch wenn er unseren Sex in dem Moment genoss, fühlte er sich im Nachhinein unwohl, verletzlich, nicht gesehen. Das tat mir zutiefst leid. Ich kenne ähnliche Gefühle nach dem Sex allzu gut. Gerade deshalb erschrak ich vor mir selbst: Wie konnte mir das so leicht passieren? Und wie oft war es mir vielleicht schon mit anderen Sexpartnern passiert?
Ich weiß, dass die patriarchale Gesellschaft, in der wir leben, sexuelle Grenzüberschreitungen durch Männer begünstigt: Männer lernen oft früh, sie hätten ein Anrecht darauf, über weibliche Körper zu verfügen. Sexualisierte Übergriffe dienen oft dazu, männliche Macht zu demonstrieren und zu erhalten. Es ist kein Zufall, dass die überwältigende Mehrheit der Sexualstraftäter Männer sind. Ich habe das alles am eigenen Leib erfahren.
Doch das Patriarchat hält durchaus auch Botschaften bereit, die die Überschreitung männlicher sexueller Grenzen begünstigen. Wir alle lernen, dass es zu Männlichkeit dazugehört, immer Sex haben zu wollen und zu können. Interviews, die ich in der Vergangenheit zu diesem Thema geführt habe, haben mir gezeigt, wie schwer es Männern dadurch manchmal fällt, ihre Grenzen zu artikulieren.
Keinen Sex zu wollen, stellt schnell ihre Männlichkeit infrage. Oft kommt es vor, dass wir als Frauen eher denken, es liegt an uns, wenn ein männlicher Partner keinen Sex will, als dass er vielleicht … einfach keinen Sex will. Um uns wirklich vom Patriarchat zu emanzipieren, müssen wir anerkennen, dass auch Männer Grenzen haben – und sie ernst nehmen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen