Konflikt unter Griechenlands Linken: Syriza zerfleischt sich selbst
Der neugewählte Parteichef Kasselakis legt sich mit den Alten der Partei an. Eine Spaltung wird wahrscheinlicher, Ex-Parteichef Tsipras schweigt.
Bei den drei in Ungnade gefallenen Syriza-Leuten handelt es sich um Panos Skourletis (61), Nikos Filis (63), sowie Dimitrios Vitsas (67). Sie haben nicht nur gemeinsam, Partei-Urgesteine zu sein, die mit Syriza auf dem Weg von einer Kleinpartei über den kometenhaften Aufstieg in den Zehnerjahren bis zu einer Regierungspartei durch dick und dünn gegangen sind. Und alle drei sind Ex-Minister. Bei der jüngsten Parlamentswahl am 25. Juni brach Syriza auf 17 Prozent ein und muss sich nun für vier zusätzliche Jahre mit der Oppositionsrolle gegen die alleine weiterregierende konservative Regierung unter Premier Kyriakos Mitsotakis begnügen. Die drei schafften es damals nicht, ins Athener Parlament einzuziehen. Seit der Kasselakis-Wahl sparen sie nicht an Kritik an dem neuen Parteichef.
Der greift hart durch. Öl ins Feuer hatte zuvor die linke Athener Tageszeitung Efsyn gegossen. Die hatte Beiträge des damaligen Kolumnisten Kasselakis im US-Blatt National Herald ausgegraben. 2007 sprach sich Kasselakis beispielsweise dafür aus, dass Griechenland „für einige Jahre eine Wirtschaftspolitik nach dem Vorbild von Ronald Reagan guttäte“.
Fünf Jahre später, auf dem Höhepunkt der desaströsen Griechenlandkrise, befand Kasselakis, die vom damaligen Minister und heutigen Premier Mitsotakis verantworteten 15.000 Beamtenentlassungen seien „viel zu wenige“. Ferner sei die Herabsetzung des Mindestlohns – auf damals 586 Euro brutto – eine „positive Sache“, so Kasselakis, die „die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft verbessern“ würde.
Kasselakis wurde in den USA zum Multimillionär
Bereits in der vorigen Woche hatte Kasselakis bekannt gegeben, den Polit-Oldie Stefanos Tzoumakas – einen seiner vier Widersacher in der ersten Runde der Wahl zum Parteichef – nach einer Reihe abschätziger Äußerungen gegen ihn aus der Partei herauswerfen zu wollen.
Obendrein erklärte der Europaabgeordnete Stelios Kouloglou, der kein Syriza-Mitglied ist, die Gruppe der Syriza-Abgeordneten im Europaparlament verlassen zu wollen. Kouloglou ätzte dabei gegen die exzessive Zurschaustellung des Privatlebens vonseiten Kasselakis’, der in diesen Tagen im US-amerikanischen New York seinen Lebenspartner heiratete.
Das Band zwischen Kasselakis, der mit 14 Jahren in die USA zog und dort zum Multimillionär aufstieg, und der innerparteilichen Opposition, die dessen überfallartige Machtübernahme nicht verdauen kann und will, ist zerschnitten. Der nächste Crashtest steht Kasselakis und seinen Verbündeten Mitte November bevor, wenn das Zentralkomitee der Syriza tagt. Der ursprünglich für November anvisierte Syriza-Parteitag wurde auf Kasselakis’ Wunsch auf Ende Februar verschoben.
Die unter dem Namen Ombrella („Schirm“) firmierende innerparteiliche Opposition, der auch Ex-Finanzminister Euklid Tsakalatos angehört, ließ mit einer Kampfansage aufhorchen. In einem nun veröffentlichten Text sehen Tsakalotos und Co. eine voraussichtliche Spaltung von Syriza voraus und greifen Kasselakis und die von ihm verfolgte Taktik frontal an. Unter dem neuen Parteichef verwandele sich Syriza zu einem „Instrument für Kapital und Unternehmer“, poltert Ombrella.
Mitsotakis kann unbehelligt durchregieren
Die Politbeobachter in Athen sind sich einig: Syriza steuert schnurstracks auf eine Spaltung zu. „Die Situation bei Syriza ist außer Kontrolle. Keine der beiden Seiten, ob das Team Kasselakis oder seine zahlreichen innerparteilichen Kritiker, haben eine klare Strategie, wie es weitergehen soll“, urteilt die Athener Politanalystin Vasiliki Siouti angesichts der jüngsten Eskalation im Gespräch mit der taz. Und was tut der Ex-Premier Alexis Tsipras, der nach dem Wahldebakel Ende Juni nach gut fünfzehn Jahren an der Parteispitze bitter enttäuscht das Handtuch warf? Tsipras hüllt sich in Schweigen.
Derweil kann Premier Mitsotakis unbehelligt durchregieren. Erstmals seit dem Ende der Obristendiktatur 1974 sieht sich eine Regierung in Athen faktisch keiner parlamentarischen Opposition ausgesetzt. Doch zu früh sollte er sich nicht freuen. Seinen Aufstieg zum Parteichef der damaligen konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) sowie die ab 2019 folgenden ND-Wahltriumphe schaffte Mitsotakis maßgeblich als die ultimative Verkörperung des Anti-Tsipras. Syrizas Selbstzerfleischung zum Trotz: die Frage könnte hierzulande schon bald lauten: „Was macht Mitsotakis ohne Tsipras?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles