Konflikt um Indiens Rindfleischproduktion: Kein Steak von Ihrer Heiligkeit
Rindfleisch vom Subkontinent ist weltweit beliebt, auch weil es von freilebenden Tieren stammt. Radikale Hindus wollen den Handel nun stoppen.
NEU-DELHI taz | Sundeep tritt mit voller Wucht auf die Bremse, die Reifen quietschen, sein Taxi rutscht über den Asphalt – und kommt wenige Zentimeter vor der Kuh zum Stehen. In Delhi heißt es, Unfälle mit Menschen seien zwar schlimm, aber nach einem Unfall mit einer Kuh werde man nie mehr glücklich. „Glück gehabt“, sagt Sundeep. Kühe werden in Indien als heilig verehrt.
Doch die Kuh spaltet inzwischen die indische Gesellschaft. Indien ist nach Brasilien zum zweitgrößten Rindfleischexporteur der Welt aufgestiegen. Rund 2 Millionen Tonnen Fleisch werden pro Jahr ausgeführt, Tendenz steigend. Das Geschäft mit dem Rindfleisch wird vor allem von Indern muslimischen Glaubens betrieben. Radikale Hindus wollen dem ein Ende setzen. Sie überfallen Viehtransporte und blockieren landesweit Schlachthöfe.
Im vergangenen Monat haben die Übergriffe enorm zugenommen, berichtet die Polizei. Zwar handelt es sich meist um Büffel, die im Gegensatz zur Kuh nicht als heilig gelten. Doch vielen Hindu-Gruppen scheint das egal zu sein. Im Unionsstaat Maharashtra untersagte die neu gewählte Hindu-Regierung kürzlich sogar die Schlachtung, den Verkauf und den Verzehr von Rindfleisch. Bei Verstößen können bis zu fünf Jahre Haft verhängt werden.
In Indien leben rund 115 Millionen männliche Rinder, das ist knapp die Hälfte des weltweiten Bestands. Weil die Muslime das Fleisch „halal“ schlachten können, ist es in Nordafrika und den Golfstaaten sehr beliebt. Doch vor allem die Nachfrage aus China steigt rapide an. Indien exportiert in 65 Länder, die Einnahmen belaufen sich auf rund 4,35 Milliarden Dollar jährlich. Offiziell wird nur Büffelfleisch exportiert, allerdings vermuten Fachleute, dass zunehmend auch Fleisch von Kühen ausgeführt werde.
Die indische Export-Agentur Apeda hat strenge Richtlinien erlassen: Firmen müssen nachweisen, dass ihr Fleisch von offiziell zugelassenen Schlachthöfen stammt. Davon gibt es in Indien rund 3.600, wohingegen die Zahl illegaler Schlachthöfe auf knapp 30.000 geschätzt wird. Die Nachfrage nach indischem Rindfleisch ist auch so groß, weil es meist von freilebenden Tieren stammt. Allein in Delhi treiben sich etwa 40.000 Kühe frei herum. Die Kuh tritt schon in den ältesten Hindu-Schriften in Erscheinung. Hindus sehen in ihr die große Mutter, die sich um alle kümmert. In der Mythologie wird sie als „kamandhenu“ bezeichnet, als Wunschkuh. Sie ist das Tier, das den Menschen alle Wünsche erfüllt.
Es mutet wie Rauschgifthandel an
Der Wunsch von Anuj Agrawal lautet: medium. So wünscht er sich sein Rindersteak im Restaurant. Auch für Anuj ist die Kuh heilig – weil sie das Fleisch gibt, das ihm so gut schmeckt. Anuj gehört einer neuen Generation von Indern an. Sie sind jung, gebildet und leben in den Metropolen. Ein saftiges Steak ziehen sie einer religiösen Vorstellung vor, die aus ihrer Sicht überholt ist.
Telefonnummern illegaler Lieferanten machen die Runde. Nicht selten mutet das wie Rauschgifthandel an: Mehrfach verpackte Kisten, umwickelt mit neutralem Klebeband, werden heimlich zugestellt. Anuj versteht die ganze Aufregung nicht. Nirgendwo in den religiösen Schriften stehe eindeutig geschrieben, dass man Kühe nicht essen dürfe.
Für Hindus wie den Taxifahrer Sundeep kommen solche Ansichten einer Gotteslästerung gleich. Allerdings ist der Verzicht auf Fleisch auch für Hindus kein Dogma. Besonders für Dalits, die niedrigste Kaste der indischen Gesellschaft, ist Rindfleisch eine wichtige Nahrungsquelle. In den vergangenen Jahren ist der Fleischkonsum unter den Armen um 14 Prozent gestiegen.
So ist in Indien ein brisanter Konflikt um die Kuh entstanden. Im Wahlkampf buhlte der damalige Oppositionsführer Narendra Modi um die Stimme der religiösen Hindus. „Unsere nächste Generation bekommt nicht genug Milch, und diese Regierung will Kühe umbringen.“ Einen solchen Wahnsinn müsse man aufhalten. Inzwischen ist Modi Indiens Ministerpräsident. Und um sein Ziel des wirtschaftlichen Aufschwungs zu erreichen, muss er wohl auch auf die Interessen der bedeutenden Rindfleischindustrie Rücksicht nehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit