Konflikt in Kosovo: „Abschaum“ und „Krimineller“

Zwischen Belgrad und Prishtina stehen die Zeichen auf Sturm. Der Konflikt ist ein Schlagabtausch zwischen Serbiens Staatschef und Kosovos Premier.

Lastkraftwagen stehen quer auf einer Fahrbahn

Festgefahren: Straßenblockade in der Nähe der zwischen Serben und Kosovaren geteilten Stadt Mitrovica Foto: Florion Goga/reuters

BELGRAD taz | Das Kosovo, Brüssel und Washington sind wieder in Alarmbereitschaft: Protestierende errichteten erneut Straßenblockaden im mehrheitlich von Serben bewohnten Norden des Kosovo. Hintergrund der Aktion war die Verhaftung eines ehemaligen serbischen Polizeibeamten der kosovarischen Polizei – wegen „Terrorismus“. Wie alle anderen Serben in der Region hatte er Anfang November die Kosovo-Polizei verlassen, weil die Regierung in Prishtina die im Kosovo lebenden serbischen Pkw-Fahrer zwingen wollte, ihre Fahrzeuge mit kosovarischen Kennzeichen zu registrieren. Serbische Nummernschilder werden symbolisch als letzte institutionelle Präsenz des serbischen Staates im Kosovo empfunden.

Eine Kettenreaktion von ähnlichen – mehr oder minder gewalttätigen – Aktionen im und um das Kosovo lassen sich seit Jahrzehnten verfolgen. Es ist ein Dauerkonflikt in Europa, dessen Lösung nicht abzusehen ist.

Der Kernstreitpunkt: Kosovo will seine Unabhängigkeit vervollkommnen, Serbien die Selbstständigkeit seiner „südlichen Provinz“ keinesfalls anerkennen. Belgrad beruft sich auf das Völkerrecht und die Resolution des UN-Sicherheitsrats 1244, die das Kosovo als Bestandteil Serbiens unter internationalem Protektorat definiert. Das sehen auch fünf EU-Staaten so.

Serbien beharrt auch auf der Gründung eines Bundes von vier mehrheitlich von Serben bewohnten Gemeinden im Norden des Kosovo, was Kosovos Premier Albin Kurti als „Instrument der Destabilisierung“ ablehnt, allerdings sein Vorgänger im Rahmen des „Brüsseler Abkommens“ noch vor Jahren unterzeichnet hatte. Das Scheitern der Umsetzung zeigt die Ohnmacht der EU, was wiederum eine antieuropäische Stimmung in Serbien provoziert.

Serbische Narrative, kosovarische Narrative

Die Lektüre serbischer Zeitungen erweckt den Eindruck, dass ein Kriegsausbruch im Kosovo unmittelbar bevorsteht: Serbische Streitkräfte befinden sich in erhöhter Bereitschaft, der Chef der Kosovo-Kanzlei der serbischen Regierung Petar Petković spricht vom Plan des kosovarischen „Quasi-Ministerpräsidenten“ Albin Kurti, das Kosovo von Serben „ethnisch zu säubern“. Serbiens Staatschef Aleksandar Vučić bezeichnet Kurti als „terroristischen Abschaum“. Alle Entscheidungsträger versprechen den Serben im Kosovo, „ihren Staat“ vor der „Vernichtung“ zu bewahren.

Kosovo

Auf der anderen Seite spricht Kurti vom serbischen Staatschef als „Anführer krimineller Banden“ und „Wladimir Putins Mann auf dem Balkan“. Serbien sei das einzige Land Europas, das mit seiner „brüderlichen“ Beziehung zu Moskau prahle, Sanktionen gegen Russland ablehne, aber versuche, seine Außen- und Sicherheitspolitik mit der EU in Einklang zu bringen. So bekommen Gut und Böse mit Kurti und Vučić ein Gesicht.

Die EU, die USA, die Mission der EU im Kosovo Eulex, die internationale Friedenstruppe im jüngsten Staat Europas Kfor, die Nato, diverse Sondergesandte, spezielle Beauftragte, Vermittler, die amerikanische und britische Botschaft in Belgrad und Prishtina in einer koordinierten Aktion, Deutschland und Frankreich mit einem, bislang geheimen gemeinsamen Plan für eine Konfliktlösung: Sie alle rufen zur Deeskalation im Kosovo auf und üben Druck auf Vučić und Kurti aus, sich an den Verhandlungstisch zu begeben.

Bislang vergebens. Beide Konfliktparteien sehen sich im Recht, beide wollen nicht nachgeben. Und so bewegt sich die jüngste Eskalation im Kosovo Schritt für Schritt unaufhaltsam auf eine gewalttätige Auseinandersetzung zu, und dass alles während des russischen Kriegs gegen die Ukraine – eine der größten Krisen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg.

Dabei begann alles mit Kfz-Kennzeichen: Zuerst erkannte Serbien jahrelang nicht die Kennzeichen des „falschen Staates Kosovo“ an, auf denen „RKS“ – Republik Kosovo – steht, dann führte Prishtina Gegenmaßnahmen ein. Schließlich einigte man sich auf eine beiderseitige Anerkennung, doch dann sollten die Serben im Kosovo nur noch mit kosovarischen Kfz-Zeichen fahren, worauf sich alle Serben aus allen kosovarischen Institutionen zurückzogen. So landete man dort, wo man eben heute ist: Zehn Jahre Verhandlungen unter der Vermittlung der EU sind in wenigen Wochen zunichte gemacht. Der Ballast der unbeglichenen historischen Rechnungen hängt wie ein Klotz am Westbalkan.

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