Kanzlerreise auf den Balkan: Kosovo will für die EU kandidieren

Olaf Scholz tourt durch fünf Balkanländer. Eine Wohlfühlreise ist der Ausflug nicht, eher ein Besuch in einer verkrachten WG.

Scholz reicht Albin Kurti die Hand, im Hintergrund ein Flugzeug und ein Mann in Uniform

Zu Besuch bei Freunden: Olaf Scholz (rechts) wird von Kosovos Regierungschef Albin Kurti begrüßt Foto: Michael Kappeler/dpa

PRISTHINA/BELGRAD taz | Fünf Länder in zwei Tagen – Olaf Scholz braust über den Balkan, als plane er einen neuen Rekord im Länderhopping. Der Bundeskanzler will mehr Bewegung in die festgefahrenen Beitrittsprozesse der West­balkanländer zur EU zu bringen. „Es ist an der Zeit, neues Zeichen der Zuversicht zu setzen, dass dieser Beitrittsprozess von der EU gewollt ist“, sagte Scholz am Freitag bei seiner ersten Station im Kosovo.

Die offiziellen Beitrittskandidaten – Albanien, Montenegro, Serbien und Nordmazedonien – stecken seit Jahren im Kandidatenstatus fest, mit unklarer Perspektive. Grund sind ungeklärte Konflikte vor Ort, aber auch eine erweiterungsmüde EU. Zwei Kandidaten – Serbien und Nordmazedonien – liegen auf der deutschen Reiseroute, dazu kommen Bulgarien Griechenland und Kosovo. Dort landet Scholz am Freitagmorgen.

Seit Freitag steht fest, dass es bald noch einen fünften EU-Kandidaten geben könnte: Der kosovarische Premierminister Albin Kurti kündigte an, dass sein Land noch in diesem Jahr den Status als Beitrittskandidat beantragen wolle. Dabei hofft er auf die deutsche Unterstützung. Scholz’ Besuch nannte er „historisch“, seit 14 Jahren sei das erste Mal wieder ein deutscher Bundeskanzler zu Besuch. „Sie sind herzlich willkommen.“

Scholz gab die Komplimente zurück – Kosovo sei ein verlässlicher Partner, der eng an der Seite der EU stehe. Der SPD-Politiker versprach, den Berliner Prozess, ein von Angela Merkel ins Leben gerufenes Format, das die Annäherung der sechs Länder des Westbalkans an die EU fördern soll, wiederzubeleben. Im Herbst werde er die Westbalkanstaaten zu einer Konferenz nach Berlin einladen.

Außerdem versprach Scholz in punkto Visaliberalisierung ein gutes Wort für die Kosovaren einzulegen, vor allem bei Frankreich. Die 1,7 Millionen Bür­ge­r:in­nen des Kosovo sind nämlich die einzigen des westlichen Balkans, die für die Einreise in den Schengen-Raum nach wie vor ein Visum brauchen.

Dass Scholz Kosovo als erstes Land auf seiner Balkantour besucht, kann man durchaus als Statement verstehen. Dort ist mit Kurti nicht nur ein sozialdemokratischer Ministerpräsident im Amt. Hier findet auch die längste und bislang wohl erfolgreichste Auslandsmission der Bundeswehr statt. Seit 23 Jahren ist sie Teil der Nato-Gruppe KFOR, die Sicherheit und Ordnung garantieren soll. Scholz besuchte das mittlerweile 62. Einsatzkommando, nahe Prishtina stationiert.

Die Sol­da­t:in­nen begrüßten Scholz mit einem zackigen „Tag, Herr Bundeskanzler.“ Auch wenn zwei Drittel der aktuell 65 Bun­des­wehr­sol­da­t:in­nen mittlerweile mit Stift und Notizbuch und nicht mehr mit Schutzwesten und Helm bewaffnet sind – verzichten will man im Kosovo auf sie und die übrigen 3800 Nato-Soldaten nicht. Ihre Anwesenheit sei nach wie vor nötig, betonte Kurti und zwar so lange bis das Kosovo Mitglied der Nato sei.

Das Problem mit dem Nachbarn

Die Zeitenwende, sie ist auf dem Balkan angekommen. Noch immer gibt es allerdings das Problem mit dem nördlichen Nachbarn. Seit 2008 ist die frühere serbische Provinz Kosovo offiziell unabhängig, was Serbien bis heute nicht akzeptiert. Zudem gilt Serbien als russischer Vorposten. Das Land pflegt traditionell enge Beziehungen zu Russland, bezieht 90 Prozent seines Gases zum Freundschaftspreis von dort und hat als fast einziges Land Europas keine Sanktio­nen nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine verhängt. Das sorgt in der EU für Ärger.

Am Nachmittag landete Scholz in Belgrad, mit Flaggen entlang der Strecke empfangen. Scholz brachte eine klare Ansage aus Pristina nach Belgrad mit: „Der Weg nach Europa, ist der Weg nach Europa“, hatte er dort gesagt. Und war in Belgrad noch deutlicher geworden: Wer jetzt EU-Mitglied würde, müsste die Sanktionen umsetzen. Sprich: Serbien muss sich entscheiden.

Hektische, rote Flecken

Nachdrücklich verlangte Scholz auch, dass Serbien und Kosovo ihre Beziehungen normalisieren und den Konflikt beilegen. Dabei benutzte eine Formulierung, die beim serbischen Staatspräsidenten hektische rote Flecken im Gesicht verursachte: Zwei Staaten, die sich gegenseitig nicht anerkennen, könnten nicht Mitglieder der EU werden.

Das war für die Serben, die per Verfassung darauf bestehen, dass das Kosovo zum eigenen Territorium gehört, ein Affront. „Wir reagieren nicht auf Druck, wenn man uns droht“, warnte der serbische Präsident Aleksandar Vucic.

Ansonsten versuchte Vucic die Stimmung wieder zu heben. Deutschland habe Serbien umfassende Unterstützung angeboten, etwa im Energie- und Gesundheitsbereich. Außerdem verlasse man sich darauf, dass wenn der deutsche Bundeskanzler sich für die Beschleunigung der europäischen Integration einsetze, er das auch ernst meine. Serbien, werde seine Aufgaben erledigen und mehr Fortschritte etwa auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit machen. Ob das allein reicht, darf allerdings bezweifelt werden.

Am Samstag will Scholz nach Nordmazedonien und Bulgarien weiterfliegen. Auch hier warten ungelöste Konflikte, Bulgarien blockiert die Aufnahme Nordmazedoniens in die EU. Eine Wohlfühlreise ist Scholz’ Ausflug nicht, eher ein Besuch in einer verkrachten WG.

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