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Komponistin über elektronische Musik„Es ist, als würdest du einen neuen Stern entdecken“

Für das Porträt der Dichterin Sor Juana: Das Marsyas Baroque Ensemble hat bei der Komponistin Dorothée Hahne elektronische Intermezzi in Auftrag gegeben.

Gedichtet hat Juana Inés de Asbaje y Ramírez de Santillana früh. Berühmt wurde sie unter dem Nonnennamen Sor Juana Inés de la Cruz Foto: GabrielSampaio27/wikimedia CC BY-SA 4.0

Interview von

Benno Schirrmeister

taz: Frau Hahne, ging das Projekt Sor Juana vom Marsyas Baroque Ensemble aus?

Dorothée Hahne: Ja, absolut. Ich kannte das Ensemble vorher gar nicht. Sie haben mir einfach geschrieben, dass sie gerne bei mir Musik in Auftrag geben würden. Das sind natürlich immer die schönsten E-Mails! Wir haben uns dann online darüber ausgetauscht, um abzuklären, welche Vorstellungen und Erfahrungen sie haben. Denn zeitgenössische Musik ist das eine, aber mit Elektronik zu spielen, ist für In­stru­men­ta­lis­t*in­nen meistens noch einmal sehr speziell.

taz: Ja, davor schrecken auch viele zurück, die sich sonst gerne mit Gegenwartsmusik konfrontieren.

Hahne: Ja. Deshalb habe ich mich auch darauf spezialisiert, Elektronik gerade für klassisch ausgebildete Mu­si­ke­r*in­nen besonders zugänglich zu machen: Ich möchte, dass sich die Leute primär mit der Musik und nicht mit der Technik beschäftigen.

Bild: Foto: privat
Im Interview: Dorothée Hahne

Jahrgang 1966, Komponistin, kombiniert klassische Instrumente mit Elektronik. Immer wieder greift ihr Werk historische Figuren wie Mercator, die Kaiserin Theophanu und die legendäre Heilige Ursula auf.

taz: Reagiert Ihre Komposition auf die Alte Musik, die das Marsyas Baroque Ensemble in der Produktion interpretiert, oder auf die Lyrik der mexikanischen Dichterin Juana Inés de la Cruz (1648–1695), die porträtiert wird?

Hahne: Sie geht primär von den Texten aus: Das Ensemble hat Passagen aus dem Primero Sueño von de la Cruz ausgewählt. Seine zwei spanischsprachigen Musikerinnen haben die Texte für mich eingesprochen, sodass ich mit dem Klang der Sprache arbeiten konnte, mit dem vorgelesenen Wort. Man liest diese Texte von vor circa 400 Jahren und es ist, als würdest du durch ein Teleskop gucken und einen neuen Stern entdecken, von dem du zugleich weißt: Der ist alt. Das ist neu und doch alles Vergangenheit, was du da siehst. So einen Eindruck hatte ich von dieser Dichtung.

taz: Die Produktion wird als „Musiktheater Portrait“ angekündigt: Wie szenisch ist Ihre Musik?

Hahne: Nur minimal. Ich habe drei Intermezzi geschrieben und in einem davon gibt es eine Stelle, an der die Interpretinnen acht Takte lang nur ihre Instrumente putzen sollen. Das macht zwar vielleicht auch Geräusche, aber die sind sekundär: Es geht da um die Geste, die sich mit meinen elektronisch bearbeiteten Klängen verbindet. In diesem Fall sind das Aufnahmen aus meinem Bienenstock. Dieser Klang von den an die 60.000 Tieren in ihrer matriarchalen, natürlichen Struktur, weckt sehr viele Assoziationen. Ich wollte dabei auch mit dem Stereotyp spielen: Frauen sind dafür da, um sauber zu machen. Deshalb sollen sie jetzt mal so tun, als würden sie ihre Instrumente zwischendurch schnell auf Hochglanz bringen. Das ist wie ein Zeitfenster, in dem das Klischee ausbricht.

taz: Und die anderen Stücke?

Hahne: Das erste basiert auf den Sprachaufnahmen, die ich in einen elektronisch simulierten Raum versetzt habe. Da entsteht eine abstrakte Klanglandschaft, in der von der Sprache nur noch der Fluss und die Dynamik übrig bleiben.

Sor Juanas Traum – visionäres Musiktheater über die rebellische Seele einer barocken Feministin, Marsyas Baroque Ensemble, Zentrum für Kunst, Hermann-Ritter-Str., Bremen, 14. 11., 20 Uhr und 15. 11., 19.30 Uhr sowie Tonali Saal, Kleiner Kielort, Hamburg, 16.11., 18 Uhr

taz: Also eher eine Kulisse als selbst eine Aktion?

Hahne: Es ist quasi ein Klangteppich, über den sich die Musikerinnen mit dem dichterischen Text bewegen können. Im zweiten Intermezzo ging es mir um den Druck: Heute lesen wir ja oft nur noch vom Bildschirm ab, aber dass Menschen gedruckt haben, war unendlich wichtig. Es hat ja auch dazu geführt, dass Juanas hochemotionale und intelligente Gedankenwelt erhalten geblieben ist. Zu der habe ich auf dem Feld des Drucks nach dem absoluten Gegensatz gesucht.

taz: Und das wäre …?

Hahne: Ein Kontoauszugsdrucker.

taz: Oh. Ja, klar.

Hahne: Mein Konto wird vollständig online bedient. Also hatte ich meine Mutter gebeten, ein paar Monate keine Auszüge zu holen, um eine Sequenz aufnehmen zu können, die drei Minuten am Stück dauert. Dann bin ich nachts um 4 Uhr in die Sparkasse, habe diesen Drucker von allen Seiten mikrofoniert und aufgenommen. Der hat einen unglaublich zwingenden Rhythmus: Eine Einheit entsteht erst in dem Moment, in dem sich die Musikerinnen dem anpassen.

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