Komponistin Eleni Karaindrou: Spröder als griechischer Wein
Ihre Musik kennt man aus Theo Angelopoulos' Filmen: In diesen Tagen wird die Komponistin Eleni Karaindrou 80 Jahre alt. Ein Porträt.
Formbewusst, ohne streng anzumuten, phasenweise verspielt und in seltenen Momenten explizit eine volksmusikalische Grundierung betonend. Dabei keinem bestimmten Genre verpflichtet, federleicht ins Ohr gehend: Die Filmmusiken von Theo Angelopoulos, stets komponiert von der griechischen Künstlerin Eleni Karaindrou, konfrontierten das internationale Publikum in den 1980er Jahren mit einer gänzlich unbekannten Form von griechischer Musik, anders, als man diese primär von Mikis Theodorakis Songs her bereits zu kennen glaubte.
Enggeführt mit der mehrdeutigen Regie des „zeitreisenden Landvermessers“ (Wolfram Schütte über Angelopoulos) und dem seismografischen Blick von dessen Kameramann Giorgos Arvanitis nahmen die Soundtracks von Karaindrous widerstandslos Besitz von den Hörer:innen. Der spätere Heimathafen von Eleni Karaindrous Kompositionen, das Münchner Jazz- und E-Musiklabel ECM, ließ sich schon früh erahnen.
Als Kind sei sie von der Geräuschkulisse der Natur gebannt gewesen, hat Karaindrou häufig betont, vom Sturm genauso wie von der Stille. In die mischten sich die polyphonen Gesänge der Erwachsenen, und schon bald sang sie byzantinische Kirchenmelodien mit. Als ihre Familie vom Bergdorf Tichio in Mittelgriechenland in die Hauptstadt Athen zog, tat sich ein neuer Echoraum mit viel Gewusel und Getöse auf, in dem das junge Mädchen jedoch schnell entscheidende Entdeckungen machte: das Radio und ein Freiluftkino direkt unter der Wohnung und außerdem – das Klavier.
Sie studierte das Instrument 14 Jahre, belegte Musiktheorie dazu sowie Geschichte und Archäologie an der Universität. Nebenher begann Eleni Karaindrou autodidaktisch zu komponieren und konnte bald erste Lieder verkaufen.
Exil in Paris
Der faschistische Militärputsch 1967 trieb Eleni Karaindrou, inzwischen Mutter eines Sohnes, wie so viele ihrer Landsleute ins Exil. In Paris schrieb sie sich für Musikethnologie an der Sorbonne und für Komposition an der Schola Cantorum ein – und hielt endlich den großen Schlüssel in der Hand, der noch so viele Türen öffnen sollte.
Zurück in Griechenland stürzte sie sich Mitte der 1970er Jahre in den kulturellen Neuaufbruch, komponierte Auftragswerke für Theater und Film und veröffentlichte 1975 ihr Debütalbum unter eigenem Namen: „I Megali Agrypnia“ („Die große Mahnwache“, nach einem Zyklus des zeitgenössischen Lyrikers K. Ch. Myri). Das Werk machte auch dank der Mitwirkung der führenden Theodorakis-Sängerin Maria Farantouri Furore und seine Musik klingt noch heute abenteuerlich.
Der Karaindrou-Sound fußt in der ländlichen Volksmusiktradition genauso, wie sie die Errungenschaften von Manos Hadjidakis fortführt, dem anderen großen Komponisten im modernen Griechenland, der etwa für den Soundtrack von Jules Dassins Film „Sonntags nie“ bekannt ist. Mit der „Agrypnia“ ging Karaindrous Stern auf, zumal ihr die Melodien nun nach eigenem Bekunden nur so zuflogen, und 1982 begann ihre Zusammenarbeit mit Theo Angelopoulos, die 30 Jahre bis zu dessen jähem Unfalltod 2012 währte.
Theo Angelopoulos
Dieser großartige Regisseur brauchte für seine Filme bekanntlich wenig Worte, ließ Raum für lange Bildeinstellungen, schälte das Elementare heraus – für die Musik von Karaindrou der Nährboden schlechthin. Schon bei den ersten Schauplatzrecherchen, wenn mehr als ein Exposé noch gar nicht stand, war sie immer zugegen. Was später als Drehbuch Gestalt annahm, veränderte den Soundtrack dann gar nicht mehr entscheidend. Oft genügt Karaindrou ein einziges Ausgangsmotiv, ja eine musikalische Floskel, um ihren Part am Ende vollumfänglich auszufüllen.
„Parade“ zum Beispiel ist zu einer ihrer Signaturen geworden, eine Kennmelodie, die direkt ins Blut geht und sofortiges Mitsummen provoziert. Das gerade zweieinhalb-minütige Stück für Klavier und Chor von ihrem ersten ECM-Album „Music for Films“ (1991) wird fälschlicherweise oft als Thema eines Angelopoulos-Films zugeschlagen.
Es stammt aber aus dem Soundtrack zu Lefteris Xanthopoulos' „Happy Homecoming, Comrade“, den kein Mensch hier je gesehen hat – ein schönes Paradox als Beweis dafür, dass Karaindrous vermeintliche Zuarbeit von Anbeginn ein autonomes Eigenleben behauptete, wie das ähnlich schon Nino Rota und Ennio Morricone gelungen war.
Asketisch, jeder Virtuosität entkleidet, aber weit entfernt von den wolkigen und esoterischen New Age-Anwandlungen, die zeitgleich im Westen um sich griffen – so suchte und fand Karaindrous Musik ihre Gestalt. Das intuitive Komponieren kurzer Skizzen, deren Melodien oft um ein simples Bordunmotiv kreisen, ist ihr Markenzeichen geblieben.
Mal sind nur zwei Instrumente beteiligt, mal ist es eine Großbesetzung mit Chor und Orchester, aber in denkbar sparsamem Einsatz. So war das bei Angelopoulos' „Bienenzüchter“ und so ist das bei ihrer neuesten Produktion „Tous des Oiseaux“ mit der Sängerin Savina Yannatou und großem Ensemble.
Jazzsaxofonist Jan Garbarek
Die hohe Empfänglichkeit für Karaindrous Musik hatte anfangs auch mit der überraschend prominenten Rolle zu tun, die dem norwegischen Jazzsaxofonisten Jan Garbarek zukam. Außerdem spielte der ausgezeichnete Gitarrist Giannis Spathas von der Progrock-Band Socrates mit, und hier lohnt sich ein kleiner Ausfallschritt: Wer oder was außer Syrtaki und Farantouri war eigentlich sonst noch an Musik aus Griechenland ins kollektive Gedächtnis eingesickert?
Eine Ahnung von Rembetiko vielleicht. Nana Mouskouri. Die jesusmäßige Schlagersängerexistenz eines Demis Roussos, einst Gründer von „Aphrodite’s Child“, zusammen mit Vangelis Papathanassiou, der danach mit den Artrockern von Yes reüssierte, eine unsterbliches Duowerk mit Irini Papas aufnahm und den Blade Runner-Soundtrack schuf.
Jenseits unserer Wahrnehmung, aber fast so produktiv wie Theodorakis und Hadjidakis, wirkten die Komponisten Yannis Markopoulos und Manos Loizos, keinesfalls darf man den zappaesken Paradiesvogel Dionysis Savvopoulos unterschlagen und auch nicht die anderen großen Stimmen: Dimitra Galani, Eleftheria Arvanitaki, Giorgos Dalaras.
Sie alle brachten mitreißende, entschieden freiheitliche und explizit auch so getextete Musik unters Volk, und zwar buchstäblich: oft umsonst und draußen (with a little help from Andreas Papandreous PASOK), vor städtischen und dörflichen Menschenmengen aus Drei-Generationen-Familien, es waren die langen Sommer der Erholung von jahrzehntelangem politischem Ungemach.
Bouzoukisound
Parallel boomte der touristische Bouzoukisound, umgekehrt wurden wie vielerorts am Mittelmeer mit leichter Verspätung Discofunk und Metal importiert und adaptiert, es gab gut aufgestellte Labels, Studios, Clubs und versierte Musiker zuhauf.
In Eleni Karaindrous wechselnden Ensembles spielten und spielen die besten von ihnen, etwa der Oboist Vangelis Christopoulos, dazu stießen internationale Stars wie die Bratschistin Kim Kashkashian. Karaindrous Werk ist inzwischen auf einem runden Dutzend Alben für ECM dokumentiert. Nie hat sie es sich in einer Nische gemütlich gemacht, ist aber auch nicht in Richtung l’art pour l’art abgebogen.
Ihre jüngste Veröffentlichung „Tous des oiseaux“, enorm suggestive Musik zu einem Theaterstück des libanesisch-kanadischen Autors Wajdi Mouawad und einem Film des iranischen Regisseurs Payman Maadi, ist der lebendige Gegenbeweis. Eleni Karaindrous Terrain der Themen und Variationen bleibt unerschöpflich, und ihr Drang nach reinen Klangfarben ebenso.
Bei ihr begreift man körperlich, wie ein Fagott, wie eine Oboe, eine Zither klingt, wie der Bogen eine Lyra- oder Cellosaite zum Schwingen bringt. Und das Klavierspiel dieser großen Komponistin mutet noch immer so unschuldig an, als würde ein Kind zaghaft einzelne Tasten anschlagen und dann staunen, dass es mit drei Fingern der rechten Hand ein ganzes Sinfonieorchester hinter sich herziehen kann.
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