Kommunikation und Kinderspiele: Der Zwang zum moralisch Richtigen
Soll man was tun müssen, was man nicht mag. Auch wenn es was Gutes ist? Das ist eine Abwägung zwischen Autonomie und Vorbildfunktion, sagt der Ethikrat.
K ürzlich stand ich im Tierfuttergeschäft, als ich den Ethikrat in der Abteilung „Hundesnacks und -leckerlis“ stehen sah. Der Ethikrat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Hinweise in Fragen praktischer Ethik geben. Vor dem Regal stand der Vorsitzende und eines der Ratsmitglieder, die in der Regel schweigen. Aber als ich mich umwandte, sah ich das andere Mitglied vor der Tür stehen. Es hielt drei dickliche schwarze Pudel an der Leine, die erwartungsfroh zu ihm hochschauten.
„Arbeiten Sie jetzt als Hundesitter?“, fragte ich und bereute die Frage direkt, weil sie die prekären Finanzen des Ethikrats in den Vordergrund rückte.
Der Ethikrat war unbeeindruckt. „Wir verbinden hier ein Nebeneinkommen mit der mentalitätsgeschichtlichen Untersuchung eines moralisch bedeutsamen Konzepts“, sagte der Ratsvorsitzende. „Oh ja“, sagte ich, „welches ist es denn?“ „Die Treue“, sagte der Ratsvorsitzende. Er hielt eine Tüte mit der Aufschrift „Hühnerbrust-Kaurolle“ in die Höhe. „Wir evaluieren die Faktoren, die für eine Verlagerung des Zugehörigkeitsgefühls sorgen.“ Die Pudel betrachteten die Tüte interessiert.
„Ist das nicht deprimierend?“, fragte ich. Vielleicht war das nicht die einzig mögliche Sichtweise, aber mir schienen die Zeiten trostlos und der Bedarf an weiteren Ernüchterungen gering. „Ich weiß nicht“, sagte ich, „gerade scheint mir, dass man nicht weiß, was man tun soll in diesem Meer von Unglück. Man versucht, ein paar geringfügig richtige Dinge zu tun und dann sind selbst die zweifelhaft.“ „Hätten Sie da ein Beispiel?“, fragte der Ratsvorsitzende, der ein Feind unpräziser Argumentation ist.
Ich dachte an die Geburtstagsfeier des jüngeren Kindes, die ich ohnehin fragwürdig fand, weil sie mit einem Besuch eines Jump Houses verbunden war. Das lag daran, dass das größere Kind auch dorthin gedurft hatte, aber das zeigte nur, dass wir an dieser Stelle falsch abgebogen waren. Und zwar zu jener Gattung Kindergeburtstag, die ohne Not einen Eventstandard einzieht, den man sich leisten können muss. Aber was mich noch mehr beschäftigte, war die Tatsache, dass ich das Kind gedrängt hatte, eine aus der Ukraine geflüchtete Klassenkameradin einzuladen.
„Ich mag sie nicht besonders“, hatte mein Kind gesagt und ich hatte geantwortet, dass es für das ukrainische Kind bitter sein müsse, nie zu Geburtstagen eingeladen zu sein, und dass mein größeres Kind bei dem Fest die Betreuung übernehmen könne. „Es ist doch sinnvoller, wenn unser Kind in den Pausen mehr mit ihr spielt, statt sie jetzt unfreiwillig einzuladen“, hatte mein Freund eingewandt. Das stimmte und war zugleich wirklichkeitsfremd, denn warum sollte unser Kind mit dem ukrainischen Mädchen spielen, wenn es es nicht mochte?
Das ukrainische Kind wurde eingeladen. Mein eigenes, großes Kind war krank und fiel als Betreuung aus, das kleinere kümmerte sich ein bisschen; im Großen und Ganzen wirkte der ukrainische Gast ganz zufrieden. Die Mutter blieb beim Abholen noch ein bisschen und unterhielt sich über Google Translator mit einer anderen Mutter. Und doch war unübersehbar: Es war nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen den Kindern.
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„Ist es richtig, das eigene Kind im Sinne des Richtigen zu übertölpeln?“, fragte ich den Ratsvorsitzenden. „Wir müssen hier zwischen Vorbildfunktion und Autonomie abwägen“, sagte er und schien meine unwissenschaftliche Frage mit einer echten Antwort würdigen zu wollen. Aber da entrissen ihm die Pudel die Hühnerbrust-Kaurolle und drängten zu einer winzigen Frau mit silbernen Locken, die ihnen vor der Scheibe des Ladens zuwinkte.
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