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Kommune im Harz sieht sich überfordertKurort fürchtet Flüchtlingsstress

Die Landesaufnahmebehörde plant in Bad Sachsa eine Außenstelle des Lagers Friedland. Bürgermeister und Rat der Stadt befürchten eine Überforderung.

Bad Sachsa, durch den Rahmen eines fehlenden Ortsschilds betrachtet Foto: Swen Pförtner/dpa

Bad Sachsa taz | Gut 7.000 Menschen leben in der kleinen Stadt Bad Sachsa am Südrand des Harzes. In den nächsten Monaten kommen voraussichtlich einige Hundert dazu. Denn in dem Kurort entsteht eine Außenstelle des Grenzdurchgangslagers Friedland für rund 500 Geflüchtete.

Die Mehrheit, etwa 400 Menschen, sollen in der ehemaligen Paracelsus-Klinik unterkommen, erläutert die Sprecherin der niedersächsischen Landesaufnahmebehörde, Hannah Hintze. Das frühere Reha-Krankenhaus war in finanzielle Turbulenzen geraten und steht nach mehrmaligem Besitzerwechsel seit einiger Zeit leer.

Gegenwärtig laufen dort noch Bauarbeiten, konkret geht es dabei Hintze zufolge um letzte Maßnahmen für die Sicherung des Brandschutzes. Der eigentlich für den Beginn dieses Jahres geplante Einzug der ersten Be­woh­ne­r:in­nen ist nun für das zweite Quartal geplant. Die Landesaufnahmebehörde hat das Gebäude für zunächst zehn Jahre angemietet – mit einer vereinbarten Option für zehn weitere Jahre.

Weitere 100 Plätze für Flüchtlinge sollen in einem benachbarten Gebäude entstehen, hier verhandelt die Behörde allerdings noch über einen Mietvertrag. Wie in Friedland sollen die Geflüchteten nach ihrer Ankunft in Deutschland zunächst ungefähr zwei Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung in Bad Sachsa bleiben. Dort werden sie registriert, können Integrations- und Sprachkurse besuchen und die ersten bürokratischen Hürden für ein mögliches Bleiberecht überwinden. Anschließend werden sie auf andere Kommunen verteilt.

Ähnlich wie im „Mutterhaus“ steht die neue Unterkunft in Bad Sachsa Behördensprecherin Hintze zufolge grundsätzlich geflüchteten Menschen aus allen Ländern und mit unterschiedlichem Flüchtlingsstatus offen. Wegen des Sonderstatus von Geflüchteten aus der Ukraine, die ihren Wohnsitz grundsätzlich frei wählen können, würden voraussichtlich aber keine oder nur wenige aus diesem Land stammende Menschen in Bad Sachsa aufgenommen.

15 Prozent der Bevölkerung wären Geflüchtete

Bei den Verantwortlichen in Bad Sachsa stößt das Vorhaben auf Skepsis. Bürgermeister Daniel Quade (FDP) verweist auf Anfrage darauf, dass die Stadt derzeit bereits etwa 300 Geflüchtete beherberge, davon 200 aus der Ukraine. Die Bürger in Bad Sachsa hätten „viel mehr getan als andere Kommunen“ – sie hätten Schutzsuchende direkt an der Grenze abgeholt, Wohnraum zur Verfügung gestellt, Freizeitangebote organisiert und Spenden gesammelt.

Bei 500 weiteren Personen würde der Anteil der Flüchtlinge an der Bevölkerung in der Kernstadt 15 Prozent betragen, rechnet Quade vor: „Wir dürfen die Hilfsbereitschaft der Einwohnerinnen und Einwohner nicht überstrapazieren.“

Der Bürgermeister verweist auch darauf, dass die Stadt fast ausschließlich vom Tourismus lebe. Dieser bringe jährliche Bruttoumsätze von mehr als 46 Millionen Euro ein, mehr als 900 und damit 55 Prozent aller Arbeitsplätze hingen am Fremdenverkehr. „Die Menschen haben Angst vor negativen Auswirkungen auf den Tourismus und daraus resultierende Existenzängste. Das bekomme ich regelmäßig in Gesprächen mitgeteilt.“

Auch die im Stadtrat vertretenen Parteien teilen die Bedenken. Die Aufnahmeeinrichtung solle die Zahl an 150 Plätzen nicht überschreiten, heißt es unisono bei der SPD-Fraktion und den beiden anderen im Kommunalparlament vertretenen Gruppen – Grüne und FDP bilden eine solche Gruppe zusammen mit zwei Bürgerlisten, die CDU hat sich mit einem früher der AfD und später der Lucke-Partei „Alfa“ angehörenden Ratsherrn zu einer Gruppe zusammengetan.

Sie alle betonen ihre Bereitschaft, weiterhin Menschen in Not zu helfen. Das dürfe aber nicht zu einer Überforderung der Stadt führen, weder in der Verwaltung, noch in der Wirtschaft oder dem Ehrenamt. Zudem dürfe auch die Willkommenskultur an sich keinen Schaden nehmen – was leicht passieren könne, wenn die Menschen vor Ort das Gefühl bekämen, dass ihr Engagement zu sehr strapaziert werde.

Nährboden für gewisse Tendenzen

Die Kom­mu­nal­po­li­tik­er:innen verwahren sich zugleich dagegen, in eine rechte Ecke gedrängt zu werden. Eine „überdimensionierte“ Flüchtlingsunterkunft könne den Nährboden für gewisse Tendenzen in diese Richtung bieten, „auch das wollen wir mit aller Macht verhindern“. Ihre Position, sagen die Ratsmitglieder, sei schließlich auch im Sinne der Flüchtlinge. Deren Unterbringung solle menschenwürdig gestaltet sein. Niemand wolle, „dass die Menschen dort zusammengepfercht werden, das schürt nur neue Konflikte.“

Dass Bad Sachsa eine Flüchtlingsunterkunft bekommen soll, ist nicht neu. Bereits 2015 sollte in der ehemaligen Paracelsus-Klinik eine solche Einrichtung entstehen, damals für knapp 250 Personen. Umgesetzt wurde dieses Vorhaben letztlich nicht. Die damaligen Eigentümer planten, dort ein Seniorenheim oder wieder ein Krankenhaus zu errichten. Doch auch aus dieses Plänen wurde nichts.

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2 Kommentare

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  • "Der Bürgermeister verweist auch darauf, dass die Stadt fast ausschließlich vom Tourismus lebe."

    Und kein Tourist würde mehr einen Fuß in die Stadt setzten, wenn die Flüchtlinge da wären? Was soll der Quatsch?

    • @Herry Kane:

      Kommen Sie aus Bad Sachsa? Wenn der Bürgermeister dort dies äussert, wird er höchstwahrscheinlich seine Gründe dafür haben. Ich könnte mir vorstellen, dass er mit den Gegebenheiten von Bad Sachsa besser vertraut ist, als die meisten TAZ-Leser.