Kommunalwahlen in Tschechien: Babiš’ Wohnmobil hat nicht gereicht
Bei den Kommunalwahlen fährt das Bündnis des Ministerpräsidenten viele Niederlagen ein. Auch Babiš bleibt hinter seinen Zielen zurück.

Vor allem die fünf Parteien der Regierungskoalition hatten befürchtet, die Krisen des vergangenen Jahres, von Corona über den Ukraine-Krieg und steigenden Energiepreisen bis hin zu eigenen Korruptionsaffären und einem eher ratlos anmutenden Kabinett, könnten sich bei diesen Wahlen rächen.
Die Opposition, die in Form des Ein-Mann-Politunternehmens ANO (Ex-Ministerpräsident Andrej Babiš) und der Direkten Demokratie, kurz SPD (Tomio Okamura) mehr oder weniger aus Populisten besteht, hatte sich im Vorfeld der Kommunalwahlen Mühe gegeben, diese zu einer Art Volksabstimmung über die Regierung von Ministerpräsident Petr Fiala hochzujazzen.
Dessen konservativer Bürgerpartei ODS gelang es trotz aller Unkenrufe, sich Prag zurückzuerobern: Zusammen mit ihren Koalitionspartnern auf Regierungsebene, der progressiven TOP 09 und den Christdemokraten, stehen sie in der Hauptstadt mit einer einfachen Mehrheit gut im Kurs und wollen mit Hilfe der Piraten und der Bürgermeisterpartei regieren. „Für Prag ist solch eine Koalition die einzige mögliche Lösung. Wir brauchen eine enge Zusammenarbeit mit Regierung und Parlament, deshalb wären wir froh, wenn die Koalition sich am Grundriss der Regierung orientieren würde“, erklärte Bohuslav Svoboda. Der 78-Jährige hatte schon zwischen 2010 und 2013 das Amt des Prager Oberbürgermeisters inne und vertritt seine Partei auch im Parlament.
Auch die rechte SPD feiert Erfolge
Eine Kooperation mit der ANO, die zweitstärkste Kraft der Hauptstadt wurde, hat Svoboda als „extrem unwahrscheinlich“ bezeichnet. Die Bewegung von Ex-Ministerpräsident Babiš, der sich derzeit vor dem Prager Stadtgericht wegen Betrugsvorwürfen verantworten muss, feiert sich derweil selbst als landesweiten Wahlsieger. In den Regionen hat die ANO in 8 von 12 Kreisstädten eine Mehrheit erobert.
Im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2018 hat ANO allerdings leicht an Stimmen verloren. Und das obwohl Babiš seit Jahresbeginn in seinem Wohnmobil die Republik bereist und unter dem Slogan „Unter Babiš war es besser“ hybriden Wahlkampf betreibt. Nicht nur mit Blick auf die Kommunal-, sondern auch auf die Präsidentschaftswahlen im Januar 2023.
Einen Triumph feiert auch Tomio Okamura, Chef der Partei der direkten Demokratie (SPD), die vor allem auf Protestwähler zielte. Zum ersten Mal wird die SPD ihre Vertreter in allen Kreisstädten des Landes haben.
„Eigentlich haben alle gewonnen“, kommentierte das Nachrichtenportal Seznam.cz. den Wahlausgang. Zum einen, weil es hätte schlimmer ausgehen können. Zum anderen, weil es sich gezeigt hat, dass in vielen Städten und Gemeinden kommunale Themen doch entscheidender waren als die Ängste, die von den Oppositionsparteien geschürt worden waren.
Denn die eigentlichen Wahlsieger sind die kleinen unabhängigen KandidatInnen und Listen, die in den meisten Städten und Gemeinden Kommunalpolitik machen. Im nordböhmischen Liberec (Reichenberg) dürfte eine unabhängig geführte Koalition ins Rathaus einziehen. Im südmährischen Örtchen Pohořelice wiederum hat der ehemalige Elitepolizist Robert Šlachta einen überraschenden Wahlerfolg hingelegt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Wahlkampf in Deutschland
Rotzlöffeldichte auf Rekordniveau
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA entwerfen UN-Resolution zum Krieg in der Ukraine ohne jede Kritik an Russland
+++ Die USA unter Trump +++
Trump entlässt den Generalstabschef der US-Streitkräfte
Regierungsbildung nach Österreich-Wahl
ÖVP, SPÖ und Neos wollen es jetzt miteinander versuchen
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen