Rus­s*in­nen an tschechischen Unis: Studieren unter Vorbehalt

Seit dem Krieg bleiben russischen Studierenden in Tschechien bestimmte Fächer verwehrt – und sie müssen ihre Antikriegshaltung beweisen.

Menschen mit einer Fahne.

Menschenkette zur Unterstützung der Ukraine in der Prager Altstadt am 24. August Foto: MilosxRuml/CTK Photo/imago

PRAG taz | Russlands Angriff auf die Ukraine sorgte bei Universitätsprofessor Martin Dlouhý für Gewissensbisse. Der Krieg würde ihn dazu bewegen, keine russischen Studierenden mehr zu unterrichten, zu prüfen oder mit ihnen zu forschen. „Ich weiß, dass das im Widerspruch zu meinen beruflichen Pflichten steht“, twitterte Dlouhý zu Kriegsbeginn.

Er ist stellvertretender Leiter des Fachbereichs Ökonometrie an der Prager Wirtschaftshochschule VŠE und Abgeordneter der proeuropäischen Regierungspartei TOP 09 im Stadtrat von Prag. „Aber Bürger eines feindlichen Staates zu unterrichten ist für mich aus moralischen Gründen in der gegenwärtigen Situation inakzeptabel“, appellierte der 52-jährige Wirtschaftsmathematiker an seine Vorgesetzten und Kollegen. Auch sie sollten ihren Beitrag leisten: „Ich bitte meinen Arbeitgeber um Verständnis und Unterstützung.“

Allerdings stieß Dlouhýs empörter Tweet im Dekanat der Hochschule im Prager Stadtteil Žižkov nicht auf offene Türen. Die Hochschule gehört mit 14.000 Studierenden zu den größten Bildungseinrichtungen in Tschechien. „Die VŠE hat dank der enormen internationalen Mobilität ihrer Studenten und Akademiker, einer engen Zusammenarbeit mit Partneruniversitäten weltweit wie auch ihrer Studenten aus dem Ausland schon immer intensive freundschaftliche Beziehungen zwischen allen Ländern und Nationen gefördert“, kommentierte die PR-Abteilung der Hochschule den Empörungs­tweet des Professors.

Außerdem unterrichte der Wissenschaftler gar keine Russen, sagte der Dekan der Fakultät für Informatik und Mathematik, unter die auch Dlouhýs Fachbereich fällt.

Gefundenes Fressen für Moskaus Propagandisten

Als am Tag darauf sogar Bildungsminister Petr Gazdík – der inzwischen nach einem Korruptionsskandal zurückgetreten ist – auf den „moralischen“ Appell Dlouhýs reagierte, hatte der seinen Tweet längst wieder gelöscht. Er war ihm dann wohl doch zu entlarvend. Er sei eben sauer gewesen, wollte aber keinesfalls den Anschein erwecken, dass er dem Prinzip der Kollektivschuld folge.

Die Forderung des Ministers war jedoch eindeutig: „Bitte lassen Sie nicht zu, dass die negativen Folgen der aktuellen Kriegsereignisse in das Bildungssystem einfließen. Wir sollten immer daran denken, dass Kinder nicht für das Verhalten von Erwachsenen verantwortlich sind und dass eine wichtige Aufgabe der Schulen darin besteht, gesunde Beziehungen in schwierigen historischen Zeiten zu fördern.“ Und Gazdíks Kritik ging noch weiter: „Schulen gehören nicht in den Graben zwischen uns und ihnen oder in kriegerische Auseinandersetzungen.“

Ganz anders fielen die Reaktionen im fernen Moskau aus. Dort kam der emotionale Tweet des Professors gerade richtig, um den russischen Desinformations- und Propagandaapparat zu füttern. Zwei Monate darauf beklagte sich eine angebliche Soziologiestudentin namens Liza im russischen Staatsfernsehen Russia Today bitter. Und zwar darüber, dass sie an der Prager Karls-Universität schikaniert und schließlich rausgeworfen worden sei, weil man dort keinen Platz für Russen habe.

Aber offenbar waren die Aussagen frei erfunden: „Durch unser Informationssystem kann ich bestätigen, dass im aktuellen Semester keine Studentin namens,Liza' an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Karls-Universität immatrikuliert ist“, teilte eine Sprecherin der Hochschule mit.

Strategische Fächer nicht für Rus­s*in­nen

Tschechien ist schon lange beliebt bei Studierenden aus Russland und Belarus. Das Land gilt als sicher, angenehm und die Preise sind bezahlbar. Ein tschechischer Studienabschluss ist zudem in der gesamten EU anerkannt. „Manche sehen den Abschluss als Tor in den Westen“, sagt Marek Příhoda, Dozent für Russistik an der Karls-Universität. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich die Zahl Studierender aus Russland in Tschechien verdreifacht: Insgesamt 7.526 Personen haben sich für das Studienjahr 2021/22 an tschechischen Universitäten immatrikuliert.

Russlands Krieg in der Ukraine macht es ihnen dort nun schwerer. Auch wenn viele sich privat wie öffentlich von Krieg und Putin-Regime distanzieren. Die Sanktionen haben nicht nur die Einreise- und Aufenthaltsbedingungen für russische Bürger verschärft. Für das kommende Studienjahr dürften Anwärtern aus Russland und Belarus kaum noch Studentenvisa ausgestellt werden.

Da die Sanktionen ein Verbot „direkter oder indirekter technischer Hilfe“ für Russland und Belarus beinhalten, wirken sie sich auch auf die Fächerwahl aus. Man könne ja nicht IT-Experten ausbilden, um Putin dann seine zukünftigen Hacker zurückzuschicken. Oder Kernphysiker könnten auch ein Problem werden – so lautet die einhellige Meinung. Strategische Fächer wie Informatik, Nanotechnologie, manche Ingenieursstudiengänge, Robotik oder Luftfahrt bleiben Russen und Belarussen bis auf Weiteres verwehrt.

Die größte und bekannteste Technische Universität des Landes in Prag, kurz ČVUT, hat sich einen besonderen Ansatz für Studierende aus beiden Ländern ausgedacht. Sie fordert von ihnen jetzt ein Motivationsschreiben. „Das kann, muss aber nicht etwaige Aktivitäten in der Ukrainehilfe enthalten, eine Haltung gegen den Krieg klarmachen oder darlegen, warum eine Rückkehr in die Heimat als Gefährdung gelten könnte“, heißt es in einer Anweisung des Rektorats der Hochschule. Die Leitung entscheidet dann auf Grundlage eines solchen Motivationsschreibens, ob ein weiteres Studium an der Uni möglich ist.

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