Kommission will Sammelklagen: EU bald mit Verbraucherschutz?
Reaktion auf Dieselgate: Die EU will Entschädigungen für geprellte Konsumenten ermöglichen. Allerdings müssen die Mitgliedsstaaten zustimmen.
Mit ihrem Vorschlag, der noch von den EU-Mitgliedern und dem Parlament verabschiedet werden muss, reagiert Jourova auf den Betrugsskandal um Dieselfahrzeuge von Volkswagen und anderen Autokonzernen. „Dieselgate“ war vor zweieinhalb Jahren von US-Behörden aufgedeckt worden – die eigentlich zuständigen EU-Behörden hatten versagt.
Während Verbraucher in den USA mit Milliardenbeträgen entschädigt wurden, gingen die meisten KonsumentInnen in der EU leer aus. Nur in zwei EU-Ländern seien insgesamt 5,5 Millionen Euro ausgezahlt worden, sagte Jourova. Um diesen Missstand zu beheben, sollen Gesetzesverstöße künftig strenger geahndet werden. Verbraucherschutzorganisationen sollen Strafzahlungen von bis zu 4 Prozent des Jahresumsatzes der betroffenen Unternehmen in dem jeweiligen Land verhängen können. „Es darf nicht billig sein, zu betrügen“, begründet Jourova den Vorschlag.
Die wichtigste Neuerung betrifft die Sammelklagen. „Qualifizierte Institutionen“ wie Verbraucherverbände sollen künftig das Recht erhalten, stellvertretend für die geschädigten Verbraucher auf Unterlassung und auf Schadenersatz zu klagen. Auch außergerichtliche Einigungen sollen möglich sein.
„Wir schaffen ein eigenes EU-Modell“
Bisher gibt es kollektive Klagerechte nur in fünf EU-Ländern. Das deutsche Recht sieht diese Möglichkeit nicht vor. Mit ihrem Vorschlag wolle sie keine Klageindustrie wie in den USA schaffen, sondern für Fairness sorgen. „Wir schaffen ein eigenes EU-Modell“ sagte die Kommissarin.
Die Autolobby und die Wirtschaftsverbände schenken diesen Worten jedoch keinen Glauben. Sie laufen Sturm gegen die Initiative, die die EU-Kommission wegen des Widerstands immer wieder verschoben hatte. Der Bundesverband der Deutschen Industrie wählte die ganz große Keule: Brüssel gefährde den „Rechtsfrieden“ in Europa. Sammelklagen würden das (deutsche) Rechtssystem schädigen und die Unternehmen massiv benachteiligen, warnt der BDI.
Vera Jourova, EU-Kommissarin
Auch der europäische Dachverband Business Europe fährt schweres Geschütz auf. Die EU-Kommission präsentiere eine Lösung, obwohl es gar kein Problem gebe, hieß es.
Kritik kommt auch aus dem Europaparlament. Sammelklagen erhöhten nicht zwangsläufig das Schutzniveau der Verbraucher, sagte der CDU-Abgeordnete Andreas Schwab. Der Vorschlag werfe Fragen auf, sagte Schwab im Namen der konservativen EVP-Fraktion, die den Ton im Parlament angibt. Demgegenüber begrüßten Sozialdemokraten und Grüne den Vorstoß.
Wer den Verbraucherschutz stärkt, stärke auch die EU, sagte der grüne Europaabgeordnete Claude Turmes. Er will sich dafür einsetzen, dass Sammelklagen auch bei Schäden für Gesundheit und Umwelt sowie Verletzung von Arbeitnehmerrechten möglich werden. Im nun vorgelegten Entwurf ist das nicht vorgesehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid