Kommentare Vorratsdatenspeicherung: Von Anfang an verhunzt
Die Vorratsdatenspeicherung kommt. Die taz hat die Debatte über Monate kommentiert. Eine Chronologie.
N un ist sie wieder da: die Vorratsdatenspeicherung, wenn auch unter einem anderen Namen. Polizei und Behörden können anlasslos und verdachtsunabhängig Daten über die digitale und mobile Kommunikation aller Bundesbürger speichen – Verbindungsdaten zehn Wochen lang, Standortdaten vier. Mit der Vorratsdatenspeicherung lässt die Bundesregierung alte, bereits gescheiterte, Gesetze wieder aufleben. Die taz hat sich daher entschieden, auch ihre Kommentare zur Vorratsdatenspeicherung zu recyclen und hier in Auszügen zusammenzustellen:
Die Sicherheitspolitiker sind nach den Anschlägen von Paris ratlos und verunsichert. Halt suchen viele von ihnen – vor allem diejenigen der CDU/CSU – in eingeübten Routinen. Hierzu gehört der Ruf nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Alle Telefon- und Internet-Verkehrsdaten aller Bürgerinnen und Bürger sollen mindestens sechs Monate lang gespeichert werden, damit die Polizei im Bedarfsfall darauf zugreifen kann.
Allerdings haben die verunsicherten Sicherheitspolitiker in ihrem spontanen Bedürfnis übersehen, dass die Anschläge ja in Frankreich stattfanden und es dort seit Jahren schon eine derartige Vorratsdatenspeicherung gibt. Besser kann man kaum illustrieren, dass die Massenüberwachung kein effizientes Mittel ist, um solche furchtbaren Anschläge zu verhindern.
Die SPD hat in dieser Frage keine Linie und keine nachvollziehbare Position. Stets hängt sie ihr Fähnchen in den Wind, reagiert auf Ereignisse oder versteckt sich hinter Gerichtsurteilen, die dann doch nicht so eindeutig sind wie behauptet.
Im Koalitionsvertrag mit der Union stimmte man der Vorratsdatenspeicherung [...] zu. Als der Europäische Gerichtshof die EU-Richtlinie letztes Jahr kippte, profilierte sich SPD-Justizminister Maas als Gegner der Vorratsdatenspeicherung. Nach den Charlie-Hebdo-Attentaten in Frankreich sprach sich Parteichef Gabriel wieder dafür aus.
Für die SPD nur Kanonenfutter
Sigmar Gabriel hat sich in der SPD durchgesetzt, die generelle Speicherung von Telefon- und Internetdaten soll kommen. Will die Union so, wollen die Geheimdienste so. Die SPD-Mitglieder und die Bürger wollen sie eigentlich nicht, diese Vorratsdatenspeicherung. Aber im Zweifel geht die gefühlte Sicherheit vor und Umfragen zeigen: Es ist kein wirklich wichtiges Thema für die Wähler und damit klassisches Kanonenfutter, um den Koalitionspartner zu besänftigen.
Die Symbolik war eindeutig. Justizminister Heiko Maas (SPD) trat für ein kurzes Statement vor die Presse, ließ drei Fragen zu und ging. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nahm sich dagegen dreimal so viel Zeit und erläuterte das Vorhaben ausführlich. De Maizière ist zwar nicht federführend, aber er hat sich überwiegend durchgesetzt. Überwachungskritiker Maas hatte eine schwache Position, weil ihn SPD-Chef Gabriel zum Einlenken verdonnert hatte.
Sich Zeit [mit einem Gesetzentwurf] zu nehmen wäre [...] hilfreich: Denn ob das Vorhaben überhaupt verfassungsgemäß ist, ist nicht so eindeutig, wie es die zuständigen Ministerien gern darstellen. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Vorratsdatenspeicherung, wenn auch in deutlich umfassenderer Form, schließlich schon einmal gekippt.
Weiter ging der Europäische Gerichtshof, der im vergangenen Jahr die entsprechende EU-Richtlinie verwarf. Und dass es keinen Beweis für bahnbrechende Ermittlungserfolge durch die Überwachungsmaßnahme gibt, ja eher Belege dafür, dass Strafverfolger trotz Vorratsdatenspeicherung im Dunkeln tappten, scheint auch noch nicht bei jedem Abgeordneten angekommen zu sein.
So denkt ein Überwachungsstaat
Die Regierung will, dass die Telefon- und Internet-Verbindungsdaten von 80 Millionen Menschen in Deutschland vorsorglich zehn Wochen lang gespeichert werden, die Standortdaten aller Handys vier Wochen lang. Und das alles nur für den Fall, dass die Polizei die Daten vielleicht brauchen könnte. Erst sollen also anlasslos Daten von allen Bürgern gesammelt werden und dann schaut man, was wirklich relevant ist. So denkt ein Überwachungsstaat. [...]
Nun heißt es, zehn Wochen seien doch nicht so schlimm. Die kurze Speicherfrist sei ein Erfolg der SPD. Dank Sigmar Gabriel darf sich die SPD also wieder Mal als kleineres Übel präsentieren. Doch NSA und russischen Geheimdiensten dürften auch zehn Wochen genügen, die Daten abzugreifen.
Auch Daten über netzinterne und über Flatrate abgerechnete Kommunikation, die derzeit teilweise noch zeitnah gelöscht werden, würden dann verpflichtend gespeichert werden müssen. Eine verhältnismäßig kleine Lücke im Überwachungspuzzle. Und eine, die das offizielle Hauptargument für eine Vorratsdatenspeicherung – eine höhere Aufklärungsquote bei Verbrechen – noch unplausibler macht.
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