Kommentar zur GroKo-Klimapolitik: Hätte, hätte, Menschenkette
Unrealistische Ziele und weiche Kompromisse: Der Koalitionsvertrag von Union und SPD steht im Zeichen eines klimapolitischen Tiefschlafs.
W er das nächste Mal behauptet: „Ist doch eh egal, wer regiert“, muss als Strafarbeit die zwölf Seiten des Energiekapitels im Koalitionsvertrag auswendig lernen. Selbstverständlich kann niemand wissen, wie ein schwarz-grünes Bündnis ausgesehen hätte, aber beim Thema Klima und Energie hätten sich die Grünen mit einem dermaßen windelweichen Kompromiss wohl nicht nach Hause getraut.
Kann man über die Bremse für die Energiewende noch debattieren, fällt das Urteil über diese potenzielle Regierungskoalition mit Blick auf ihre Ambitionen beim Klimaschutz verheerend aus. Bei einer der wenigen konkreten Zahlen, die auf diesen wolkigen 185 Seiten stehen – Reduzierung der Treibhausgase um 40 Prozent bis 2020 –, wissen alle, dass sie so nicht zu erreichen ist.
Man kann das jetzt moralisch betrachten und sagen, die Große Koalition ruiniere die Zukunft unserer Kinder. Man kann es machtpolitisch sehen und den Einfluss der Lobbyisten beklagen. Oder analytisch erklären, dass bei den unterschiedlichen Sichtweisen zwischen Union und SPD (oder eher: zwischen Wirtschafts- und Ökoflügeln dieser Parteien) nicht mehr drin war.
Sicher wird die SPD-Basis wegen dieser Passagen den Vertrag nicht ablehnen, auch wenn mehr Engagement für die Zukunftsthemen Energiewende und Klimaschutz der Koalition insgesamt gutgetan hätten.
Der Koalitionsvertrag ist eine Herausforderung
Hätte, hätte, Menschenkette: Vor allem ist dieser Koalitionsvertrag eine Herausforderung für die Menschen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Umweltverbänden, denen die Zukunft nicht durch den Blick auf einen Schornstein verstellt ist. Er ist eine Aufforderung, sich in den nächsten vier Jahren vehement in die Energiepolitik einzumischen.
Da muss die Renaissance der Kohle verhindert werden. Da gilt es, wenigstens einiges in die Gesetze zu schreiben, was sinnvoll wäre. Die tatsächliche Klimapolitik von Schwarz-Rot wird nur durch Druck und Transparenz verbindliche Regeln für Wärmedämmung oder Effizienz, den Ausbau der Erneuerbaren oder den Emissionshandel bekommen.
Aber das wird nicht einfach. Klimaschutz und Energiewende sind unter dem Dauerfeuer der Lobbyisten zu Sorgenkindern geworden. Auf den Koalitionsvertrag können sich Klimaschützer kaum berufen. Sie müssen sich anderswo Verbündete suchen. Auf die zukünftige Regierung können sie da nicht zählen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei