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Kommentar von Eric Bonse über den schmutzigen Flüchtlingsdeal mit der TürkeiMerkels schockierende Wende

Die EU hat sich unter Führung Deutschlands von der Türkei abhängig gemacht

Die Windungen und Wendungen der EU-Flüchtlingspolitik sind atemberaubend. Beim Türkei-Gipfel in Brüssel hat Kanzlerin Angela Merkel die Europäer nun zu einem besonders gewagten Manöver verführt. Plötzlich soll nicht nur die Balkanroute für Flüchtlinge geschlossen werden, wie es die Hardliner fordern; nein, ganz Europa wird zur krisenfreien Zone erklärt. Die Landtagswahlen fest im Blick, hat Merkel eine schockierende Wende vollzogen.

Wenn ihr neuer Plan umgesetzt wird, dann wird die EU ihre Asylpolitik in die Türkei auslagern. Für jeden „illegalen“ Migranten, den Griechenland zurückschickt, soll ein „legaler“ aus der Türkei nach Europa kommen. Das klingt gut, ist aber fatal. Das sogenannte Eins-zu-eins-Prinzip bedeutet nämlich einen Bruch mit dem Asylrecht. Bisher war es ein Individualrecht, nun soll es mit Massenabschiebungen ausgehebelt werden. Das ist juristisch fragwürdig, moralisch ist es unerträglich.

Völlig zu Recht warnen Pro Asyl und das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR denn auch vor diesem schmutzigen Deal. Er wäre nicht nötig gewesen, wenn sich die EU an ihre eigenen Pläne gehalten und nur offensichtlich unberechtigte Asylbewerber in die Türkei zurückgeschickt hätte. Doch das passte Merkels „Schlüsselpartner“ Ahmet Davutoğlu nicht in den Kram. Er wollte den ganz großen Deal – und scheint ihn auch zu bekommen. Neben neuen Milliardenhilfen verspricht die EU die Streichung der Visumpflicht für Türken – und Beitrittsgespräche im Sauseschritt. Und das kurz nach dem Coup gegen die Pressefreiheit!

Es ist völlig unverständlich, wieso sich Merkel auf diese abenteuerlichen Forderungen eingelassen hat. Damit bringt sie nicht nur CDU und CSU in Erklärungszwang, die bisher strikt gegen einen EU-Beitritt der Türkei waren: Sie drängt ganz Europa auf die schiefe Ebene.

Zwar wurden Beschlüsse vertagt, sie sollen erst beim nächsten EU-Gipfel in einer Woche fallen. Doch die Europäer haben sich unter Führung Deutschlands von der Türkei abhängig gemacht. Die EU ist schwach und erpressbar geworden. Aber vielleicht besinnen sich die EU-Granden ja eines Besseren. Noch lässt sich der Deal korrigieren. Italien hat schon aufgemuckt. Auch Frankreich und die Benelux-Staaten sollten den Mut haben, den Salto mortale zu stoppen und den drohenden Ausverkauf zu verhindern.

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