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Kommentar Wahl in ÖsterreichTodesstoß für die Nachkriegsordnung

Ralf Leonhard
Kommentar von Ralf Leonhard

Erstmals seit 1945 geraten SPÖ und ÖVP ins Wanken: Die Präsidentschaftswahl zeigt die Wut der Wähler über die Ratlosigkeit der Regierung.

Der Wink eines vermeintlich sanften Herrn kann schwer treffen Foto: dpa

D er Aufstieg der FPÖ scheint unaufhaltsam. Niemand, nicht einmal die Optimisten in der eigenen Partei, hätten mit einem solchen Wahlergebnis gerechnet. Norbert Hofer, in den Umfragen zuletzt an zweiter Stelle, konnte sich mit mehr als 35 Prozent bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in Österreich als Sieger feiern lassen. Mehr haben die Erben Jörg Haiders auf Bundesebene noch nie erreicht: Österreichs Landkarte ist blau eingefärbt.

Marine Le Pen und Geert Wilders gehörten zu den ersten Gratulanten. Was da auf Samtpfoten daherkommt, ist ein autoritäres Staatsverständnis, das auf direkte Demokratie setzt, um Europa zu schwächen und die Grenzen wieder dicht zu machen. Hofer spielte erfolgreich die Angst vor dem Islam und Überfremdung aus.

Ob die Österreicherinnen und Österreicher sich wirklich einem Mann an dir Brust werfen, dessen politische Heimat eine rechte bis rechtsextreme Führerpartei ist, wird sich erst am 22. Mai zeigen. In jedem Fall bedeutet diese Wahl vom Sonntag den Todesstoß für das politische System der Nachkriegsordnung, in dem SPÖ und ÖVP alle relevanten Posten untereinander aufteilten. Ein System, dessen Stabilität auch durch die Sozialpartnerschaft garantiert wurde: die Einigung von Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbänden vor einer Entscheidung im Parlament.

Auch wenn weder die Rekordarbeitslosigkeit noch die internationalen Fluchtbewegungen der Regierung anzulasten sind, so präsentiert sie doch ein Bild der Ratlosigkeit. Und bei Zukunftsthemen wie Bildung und Energiewende blockieren die Koalitionspartner einander seit Jahren. Es war eine Wutwahl: je weiter weg von den Regierungsparteien, desto besser. Auch wenn man das Ergebnis vom Sonntag nicht in Parteipräferenzen für eine Nationalratswahl übersetzen kann, so ist doch klar, dass ein Damm gebrochen ist.

Die Kandidaten des Regierungslagers haben miteinander kaum mehr Stimmen gewinnen können, als der zweitplatzierte Van der Bellen. Man muss kein großer Prophet sein, um vorauszusagen, dass sich in beiden Regierungsparteien bald jene Leute durchsetzen werden, die eher bereit sind, für die FPÖ den Juniorpartner zu spielen.

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Ralf Leonhard
Auslandskorrespondent Österreich
*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.
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15 Kommentare

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  • Wenn wir endlich den Mut finden, die Banken vernünftig zu regulieren, brauchen wir uns um den Aufstieg der Rechtspopulisten keine Sorgen mehr zu machen. Wenn wir auf die Geschichte der letzten 150 Jahre schauen, dann liegt genau im Bereich der ungelösten Finanzkrise der Hase im Pfeffer:

    http://www.spiegel.de/wirtschaft/aufstieg-der-rechtspopulisten-liegt-an-der-finanzkrise-kolumne-a-1087139.html

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Der Faymann-SPÖ wurde jetzt mal so richtig ans Bein gepisst.

    Erst den Merkelversteher spielen und so tun, als wolle man das Flüchtlings"problem" europäisch lösen und Tage später den Schwanz einziehen und mit den Osteuropäern die nationale Karte ausspielen.

    Dass die Ösis wahrscheinlich jetzt ein rechtes FPÖ-Nationalisten-Original in ein hohes Amt wählen werden, ist nachvollziehbar.

    Überlegt's euch nicht anders bis zum 22.5., eure "Volksparteien" gehören per Stichwahl nachhaltig abgewatscht.

  • "Auch wenn [..] die Rekordarbeitslosigkeit [...] nicht der Regierung anzulasten [ist]."

     

    Ach nein? Wer, wenn nicht die österreichische Regierung, macht denn in Österreich Wirtschaftspolitik? So weit wie in Griechenland (wo die Arbeitslosigkeit trotzdem der Regierung anzulasten ist), ist Wien doch noch nicht.

    • @BigRed:

      Ach seit wann denn das?

      Das würde ja bedeuten italienische Wirtschaft ist ein italienisches Problem, spanische Arbeitslose ein spanisches Problem und griechische Renten ein ....

      ... griechisches Problem.

      • @Thomas_Ba_Wü:

        Die griechischen Renten stellen - abgesehen davon, dass sie zu niedrig sind - kein Problem dar. Die griechischen Arbeitslosen, genauso wie die spanischen, portugiesischen, italienischen etc, sind allerdings problematisch und - auf Druck der Troika - von den jeweiligen Regierungen selbstgemacht.

  • Es ist bedauerlich, dass die Menschen eher nach rechts als nach links blicken. Wenn aber eine grosse Koalition schlechte Politik macht, wäre es in einer Demokratie fatal, wenn diese nicht abgewählt würde.

    Demokratie braucht Opposition und schaffen es die etablierten Parteien nicht, diese Opposition zu bieten, gibt es eine andere Opposition. Dass war bei der APO auch nicht anders.

  • Warum soviele Österreich-Patrioten ausgerechnet einem Deutschnationalen wie Hofer ihr Vertrauen aussprechen, erschließt sich wohl nur einem verrückten Patriotengehirn.

  • Man muss es vielleicht einen Fortschritt nennen, dass die österreichische Regierung derzeit ein "Bild der Ratlosigkeit" präsentiert. Andere Regierungen, ich denke da zum Beispiel an die polnische, die ungarische oder die türkische, sind längst noch nicht so weit. Sie glauben nch wie vor genau zu wissen, wo es entlang zu gehen hat, obwohl auch sie weder die aktuelle Arbeitslosigkeit in ihrem Machtbereich noch die internationalen Fluchtbewegungen direkt zu verantworten haben - und den sozialen und ökonomischen Fortschritt vergangener Jahrzehnte schon gleich gar nicht. Rechts 'rum, nämlich, geht es ihrer Ansicht nach, und zwar mit aller Macht.

     

    Bis vor nicht all zu langer Zeit war auch die österreichische Regierung ihrer Sache ziemlich sicher. Nun schwankt sie immerhin, wenn man sie fragt, ob die Rezepte wirklich alle super waren, nach denen sie bislang gekocht hat. Sie würde ihren Weg ja sonst mit gleicher Entschiedenheit wie bisher weiterverfolgen. Womöglich ist ihr mittlerweile klar geworden, dass am Ende der Nachkriegszeit nicht unbedingt das Nirwana wartet, sondern dass es gut auch der Beginn einer Vorkriegszeit sein kann. Das hat sie so sehr aufgeschreckt, dass sie nun völlig kopflos scheint.

     

    Nein, eine Lösung ist es nicht, die Rübe bis zum Hals in irgendwelchen Sand zu stecken. Allerdings: Wenn man unfähig ist, eigene Fehler zu erkennen und zu beheben, bleibt einem nicht viel anderes übrig, als die Augen ganz fest zu verschließen und zu hoffen, dass es so schlimm dann doch nicht kommen wird. Das kann ein Irrtum sein. Nicht nur im privaten Leben werden Fehler so lange wiederholt, bis man sie als solche akzeptiert und sich geändert hat. In der Politik passiert das auch. Nur halt in anderem Maßstab und mit deutlich anderen Konsequenzen.

  • Es bleibt abzuwarten, was die FPÖ in der Regierung anstellt.

     

    Ich denke Hysterie ist genauso wenig angesagt wie Euphorie.

     

    Wenn der Wähler umschwenkt, müssen sich die Parteien neu ordnen. Es bleibt spannend.

  • "Kommentar Wahl in Österreich

    Todesstoß für die Nachkriegsordnung.."

     

    Das ist hübsch wienerisch formuliert.

    "In meinem Land sind die Faschisten - weil von den Nazis verfolgt - Widerstandskämpfer" -

    Robert Menasse.

    So - ist die 2.Republik gestartet.

    So - hat der kluge Bruno Kreisky -

    Die vier Besatzungsmächte aus dem Land bugsiert. Aber das war´s dann!

    "Hand an sich legen"! - Das ist -

    Mit Jean Amery treffender formuliert.

    In die Tasche lügen & - allweil

    Der guote Wiener Schmäh - Geht -

    Auf Dauer halt nicht!

    • @Lowandorder:

      Geht auf die Dauer nicht nur nicht in Österreich. Aber das Schöne an der Schmähkritik ist ja: Wenn schon der Andere ein Trottel ist, darf man sich als sein Kritiker mal eben auf der sichren Seite fühlen.

  • ... aber jetzt nicht mehr an den Wolfgangssee?

  • Daraus lernen

    Offensichtlich ist, daß gewünschte Ergebnisse von Vorwahl-Umfragen die Wähler nicht mehr beeindrucken. Die Diffamierung, Bevormundung und Umerziehung der nicht regierungskonform wählenden Bevölkerung zieht nicht mehr. Österreich zeigt, wohin der Weg auch bei den Wahlen in D führen wird: mit einem "weiter so" von SPD/CDU...