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Kommentar Waffenstillstand OstukraineBewaffnete wollen keine Toten mehr

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Diesmal könnte der Waffenstillstand halten. Die Militärs beider Seiten stehen informell in Kontakt und arbeiten an der Deeskalation.

Ausgebrannter Panzer nahe dem ostukrainischen Smeloye. Die Militärs sind kriegsmüder als die Politiker in Moskau und Kiew. Bild: imago/Itar-Tass

I n Lugansk und Donezk wird seit Dienstag Abend fast nicht mehr geschossen. Insbesondere in Lugansk könnte der Waffenstillstand dieses Mal Bestand haben. Seit Wochen schon stehen dort die Kommandeure der Aufständischen und ihre Gegenüber informell in Kontakt.

Still und leise hat sich der neue Waffenstillstand vom 2. Dezember von Lugansk und Donezk angebahnt. Er versteht sich als Umsetzung der Minsker Vereinbarung vom 5. September. Seine Akteure, unter ihnen auch Militärs aus der Russischen Föderation, sind nicht wie in Minsk im September Entscheidungsträger aus dem politischen Raum, sondern Uniformierte, die sich Tag und Nacht bewaffnet gegenüber stehen. Offensichtlich wollen die Bewaffneten beider Seiten nicht mehr aufeinander schießen. In jüngster Zeit häufen sich Berichte über Angriffe der ukrainischen Armee auf Ortschaften im Gebiet Lugansk, bei denen nicht ein einziges Gebäude getroffen, niemand verletzt wurde. Die Soldaten führen zwar den Schießbefehl aus, doch wohin geschossen wird, bestimmen sie selbst.

Der 6. Dezember wird darüber entscheiden, ob der Waffenstillstand wirklich gehlaten werden kann. An diesem Tag soll die Entflechtung der schweren Waffen eingeleitet werden. Trotzdem ist ein Frieden nicht absehbar. In Kiew setzt man längst auf eine totale Wirtschaftsblockade der sogenannten Volksrepubliken. Seit dem 1. Dezember gibt es in diesen keinen bargeldlosen Zahlungsverkehr mehr, keine Renten, keine Medikamente.

Die Aufrufe aus Kiew, jeder aus dem Donbass könne doch nach Kiew oder die Westukraine umziehen, zeigen, dass man dort keine Ahnung vom Leben der Bevölkerung in den Gebieten Lugansk und Donezk hat.

Sich eben mal eine Wohnung in Kiew anmieten kann nur, wer Geld hat. Wer jetzt noch in Donezk oder Lugansk lebt, hat aber kein Geld.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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9 Kommentare

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  • Wie man hört liest wird der neue Waffenstillstand, nicht zuletzt eine Folge der Videokonferenzen von Mosgowoi und den Afghanistanveteranen und möglicherweise der "Kohleerpressung" seitens der "Separatisten" größtenteils realisiert. Interessanterweise gibt es dort Probleme wo sogenannte "Freiwilligenverbände" also "ultra-nationalistische" Todesschwadrone über die Kiew keine Kontolle hat (haben will?) den "Takt" angeben.

  • "Offensichtlich wollen die Bewaffneten beider Seiten nicht mehr aufeinander schießen. In jüngster Zeit häufen sich Berichte über Angriffe der ukrainischen Armee auf Ortschaften im Gebiet Lugansk, bei denen nicht ein einziges Gebäude getroffen, niemand verletzt wurde. Die Soldaten führen zwar den Schießbefehl aus, doch wohin geschossen wird, bestimmen sie selbst."

    Sozusagen ein Streik der Soldaten. Sehr nachahmenswert !!

  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Die Ukrainer und wir Europäer müssen ausbaden, was uns die russische Großmachtsdiktatur und die imperialdiktatur USA eingebracht hab en...

  • Noch etwas off-topic, aber auch interessant. Neulich kündigte Poroschenko an, auch Ausländer im neuen Kabinett mitwirken zu lassen. Inzwischen sind die Personalien bekannt:

    http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/12/02/ukraine-us-investment-bankerin-ist-neue-finanzministerin/

    • @Der_Peter:

      Ja, bei Bankern sollte man vorsichtig sein - bei ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern übrigens auch...

  • Ach so, und der immer wieder zu hörende Ratschlag aus Kiew, doch bitteschön aus dem Donbass fortzuziehen, hat schon etwas den Geruch von ethnischer Säuberung, tut mir leid, anders kann ich das nicht nennen.

    • @Der_Peter:

      Dann würde ich mich an Ihrer Stelle erst mal erkundigen was der Begriff "ethnische Säuberung" bedeutet.

  • Ja, daß die ukrainischen Militärs bei Lugansk in der letzten Zeit gerne mal auf's freie Feld schießen als in die Ortschaften, das hört man verschiedentlich. Leider ist dies in Donezk (noch?) nicht der Fall, aber der Nachahmung wäre dies durchaus wert. :-)

    Es gab ja auch schon mal eine Diskussion per Skype zwischen Kommandeuren der Rebellen und der ukrainischen Armee, ebenso zwischen Zivilisten in Donezk und Kiew. Dabei stellte sich heraus, daß die Meinungsunterschiede geringer waren als gedacht. So hört man z.B. immer wieder die Losung, daß die Großväter gemeinsam gegen die Nazis gekämpft haben, und man solle sich jetzt nicht gegenseitig bekämpfen.

     

    Und auch wenn schon wahnsinnig viel Porzellan zerschlagen wurde, so sollte doch jede Möglichkeit genutzt werden, damit das Töten endlich aufhört. Wie es weiter gehen soll in und mit dem Osten der Ukraine und dem gesamten Land, das müssen die Menschen dort aushandeln, und wir sollten uns hüten, von unserer warmen Couch aus Ratschläge zu erteilen.Leider spielen dort in der Ukraine noch ganz andere Mächte mit, die sich am Haß und am Feuer der brennenden Wohnhäuser die Hände wärmen. :-(

    • @Der_Peter:

      Wenn die nächste günstige Gelegenheit kommt, wird es die nächste russische Offensive geben, das war bisher leider immer so...