Kommentar Urteil über G-20-Protestcamp: Das oberste Gericht ziert sich
Die Camps gab es schon früher und eigentlich ist die Rechtslage klar: Die Demonstranten können Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt selbst bestimmen.
I st das Hamburger Protestcamp der G-20-Gipfelgegner eine geschützte Versammlung – oder nur eine verbotene Nutzung städtischer Grünflächen? Über diese Frage musste das Bundesverfassungsgericht am Mittwochabend entscheiden und hat sie ausdrücklich offen gelassen. Die Frage sei so komplex, dass sie nicht im Eilverfahren geklärt werden könne, erklärten die Richter. Stattdessen hat Karlsruhe nur eine (ebenfalls ziemlich komplexe) Folgenabwägung im Einzelfall vorgenommen.
Die Zurückhaltung – oder besser gesagt Hasenfüßigkeit – der Richter überrascht. Protestcamps sind schließlich nichts Neues. Sie sind keine Erfindung des Arabischen Frühlings oder türkischer Demonstranten auf dem Taksim-Platz – und schon gar keine Neuerfindung der G-20-Gegner. Schon in den 1980er Jahren gab es das Hüttendorf an der Startbahn West oder die Freie Republik Wendland bei Gorleben.
Kern der Versammlungsfreiheit ist, dass die Demonstranten über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung selbst bestimmen. Das ist ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Dass der Protest gegen einen mehrtägigen Gipfel auch mehrere Tage dauern kann, versteht sich von selbst. Und wenn beim G-20-Gipfel Essen und Übernachten zum Gipfelprogramm dazugehören, dann sollte das für das Protestcamp nicht weniger gelten. Und zwar erst recht, wenn die Art des Zusammenlebens Ausdruck der gemeinsam vertretenen Ziele sein soll.
Das alles ist kein Freibrief, nun überall und dauernd Protestcamps zu errichten. Je länger eine Versammlung dauert und je mehr sie öffentlichen Raum in Anspruch nimmt, umso mehr können Einschränkungen zugunsten anderer Interessen und Grundrechtsträger verlangt werden. Gerade deshalb erstaunt es, dass sich das Bundesverfassungsgericht schon mit dem ersten Schritt – der Anerkennung des Protestcamps als geschützter Versammlung – so schwer tut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht