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Kommentar Umsturz UkraineKritische Solidarität mit dem Maidan

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Das Regime in Kiew ist Geschichte. Wenn aus der Wut auf Janukowitsch und Konsorten aber eine Hetzjagd wird, könnte das fatale Folgen haben.

Originelle Soli-Aktion für die Ukraine in Sofia: angemaltes Weltkriegsdenkmal. Bild: dpa

D ie Menschen auf dem Maidan haben gezeigt, dass die Kraft der Überzeugung stärker ist als Scharfschützen, Folter und Schlägerkommandos. Sie haben ausgeharrt, trotz Temperaturen von minus 20 Grad, Scharfschützen, Entführungen und Tränengas. Ihr Sieg über das korrupte Janukowitsch-Regime ist ohne Frage zu begrüßen.

Spätestens seit dem Samstag, als die Demonstranten vom Maidan einen Tag der offenen Tür in der Residenz von Präsident Wiktor Janukowitsch erzwangen, dürfte auch dem Letzten in der Bevölkerung klar geworden sein, dass Janukowitsch auf Kosten des Volkes in Saus und Braus lebte – während sich Rentner mit monatlich hundert Euro und Lehrer mit zweihundert Euro Gehalt nur mühsam über Wasser halten können.

Dass die Menschen sich im Schweiße ihres Angesichts ihren Lebensunterhalt erarbeiten müssen, während Janukowitsch auf Staatskosten eine Villa mit eigenem Zoo unterhalten hat, deren Garten man wegen seiner schieren Größe nur mit dem Fahrrad abfahren kann, lässt sogar den Bergarbeitern in der Hochburg von Janukowitsch, im Kohlegebiet des Donezk-Beckens, die Zornesröte ins Gesicht schießen.

Doch die Solidarität mit den Maidan-Demonstranten muss kritisch sein, sehr kritisch sogar. Da ist zum einen der Einfluss des „Rechten Sektors“, dessen Kämpfer nun in die Polizei integriert werden sollen. Dann geht es um die Bedeutung der rechtsradikalen Swoboda-Partei, deren Chef Oleg Tjagnibok in der Vergangenheit mit antisemitischen Äußerungen zeigte, wo die Partei steht.

Berechtigter Zorn

Dazu noch der Kampfruf von Julia Timoschenko, Janukowitsch müsse jetzt auf den Maidan zitiert werden. Das alles zeigt, dass die berechtigte Wut auf das Janukowitsch-System schnell in Gewalt ausarten kann – die mit einem Rechtsstaat nicht zu vereinbaren ist.

Nun gilt es darauf zu achten, dass bei den bevorstehenden Parlamentswahlen auch die Kräfte, die Janukowitsch in der Vergangenheit unterstützt haben – wie die Partei der Regionen oder die Kommunisten –, faire Bedingungen für ihre Kandidatur erhalten.

Sollte eine gewalttätige Hetzjagd auf die Träger des Janukowitsch-Regimes einsetzen, sollten gar Parteien verboten oder Politiker an der Präsidentschaftskandidatur gehindert werden, dann werden die Menschen nicht nur in der Ukraine um eine Hoffnung ärmer sein.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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20 Kommentare

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  • EV
    Ein Vorschlang

    Wie wäre es mal mit echter Solidarität in der taz mit jüdischer, antifaschistischer und antinationalistischer Bevölkerung, statt mit „kritischer Solidarität“ mit so einer vorwiegend rechten und weit nach rechts offenen Bewegung?

  • AG
    Antinationaler Gast

    Eine Revolution getragen von nationalistischen Parteien, im Spektrum wirtschaftsliberal, konservativ bis neonazistisch, geführt von einem Boxer, einer Energiemagnatin und einem Neonazi. Und das hier scheint noch der kritischste taz-Artikel zu sein – was ist denn los mit dieser Zeitung? Eine sehr verhaltene Kritik, die sich ausschließlich auf die bisherige Regierung, rechten Sektor und Swoboda-Partei beschränkt und ansonsten den Maidan feiert.

     

    Manche Ukrainer sind da weniger zurückhaltend:

    http://avtonomia.net/2014/02/20/maidan-contradictions-interview-ukrainian-revolutionary-syndicalist/

  • Z
    Zukunft

    Bester Artikel der taz (in meiner Erinnerung) bisher.

     

    "Da ist zum einen der Einfluss des „Rechten Sektors“, dessen Kämpfer nun in die Polizei integriert werden sollen."

     

    Das lässt doch ziemlich übles erahnen.

     

    Aber ich habe Hoffnung, dass es anders wird. Jetzt kommt es auf die Liberalen, Linken und bisher Unentschlossenen an.

  • Z
    Zukunft

    Der "Umsturz" in der Ukraine ist eine Mischung aus Aufstand, Staatsstreich, Revolution und Reaktion.

     

    Die Bevölkerung der Ukraine wird insgesamt nur Verbesserungen erreichen und eine langfristige Perspektive haben, wenn der revolutionäre Anteil der wichtigste wird bzw. mindestens tiefgreifende, echte Reformen für die Menschen verwirklicht werden.

  • TT
    Type the text

    die im Artikel genannten "Entführungen" werden leider zzt. in Deutschland und anderen Ländern noch immer als "Festnahmen" bezeichnet...

  • Die Abteilung Propaganda der TAZ enthält den Lesern Kommentare vor.

  • M
    Mykyta

    Oder hatten Obama oder Holland sich ein neues Versailles in der Nähe von Washington oder von Paris bauen lassen?

    • C
      cosmopol
      @Mykyta:

      Ja, zB Obama ist mit ca 10 Millionen Dollar im Vergleich zu anderen amerikanischen Präsidenten ein armer Schlucker... aber betteln gehen muss er deshalb noch lange nicht. ;)

  • A
    (A)ntinational

    Ich verstehe die taz-Berichterstattung zur Ukraine nicht - sind das böswillige Unterschlagungen oder nur naive Verklärungen, weil man auf einen Pro-Europa-Protest hofft? Selbst dieser sich "kritisch" gebende Artikel hat keine größeren Sorgen als "den Rechtsstaat" und das Recht der Parteien wenn militante Faschisten durch die Straßen patroullieren. Habt ihr bei eurer "kritischen Solidarität" mit den Faschisten mal daran gedacht wie es jetzt Migrant_innen in der Ukraine ergehen wird? Und wer jetzt denkt ich will mich mit solcher Kritik pro-russisch argumentieren: Ich bin endgültig gegen dieses dumme Nationaldenken in alle Richtungen und meine Sorge stammt aus Gesprächen mit Freunden, die in der Ukraine gelebt haben bzw. leben und gar nix vom Parteienzirkus halten.

  • Die Kritik an den Maidan-Demonstranten ist durchaus richtig. Aber von welchem Regime ist hier die Rede? Wurde er nicht gewählt? Oder würden Sie, Herr Clasen, Merkel, Hollande und Obama auch als Diktatoren bezeichnen?!

    • MZ
      Michael Zweif
      @muds0r:

      Das ist eben das Problem bei diesen "Revolutionen", nur weil sich alle Unzufriedenen zusammenfinden und auf sich aufmerksam machen, heißt das doch irgendwie nicht gleich, dass sie das Volk repräsentieren. Insbesondere dann nicht, wenn es doch eine so ambivalente Gruppe wie auf dem Maidan ist. Nazis und Kommunisten zusammen gegen Janukowitsch und dann? Vor allem hängt da doch ein ganzer Apparat hinter J.'s Regierung und ob der komplett ausgetauscht wird? Als er gewählt wurde nach der Orangenen Revolution war die Freude doch auch ach so groß. Nun eben wieder die Hoffnung auf einen neuen "demokratischeren" Nationalstaat. Der Arabische Frühling hatte doch auch erst wieder gezeigt, dass das so nicht so wirklich klappt. Wo Venezuela nun hinsteuert ist auch mehr als unklar. Das wird alles bestimmt noch eine ganze Zeit lang hin und her gehen, von der Neuwahl zur Revolution zur Demokratisierung und zurück und vor.

    • M
      Mykyta
      @muds0r:

      Janukowytsch wurde in 2010 in einer Parlamentsrepublik gewählt. Nach sechs Monaten wechselte der Verfassungsgericht die Verfassung unter Druck so, dass Janukowytsch die zusätzlichen Befugnisse erhalten hat, welche beim seinen Wahl nicht existierten.

    • D
      Deutsch-Pole
      @muds0r:

      Janukowitsch war ein Diktator von Putins Gnaden, genau wie Lukaschenko in Weißrussland. Jetzt wird die Ukraine einen Diktator von Obamas Gnaden bekommen...

       

      Es geht hier nur darum, welcher der imperialistischen Diktatoren in Washington oder Moskau seine Truppen in der Ukraine stationieren darf!

    • @muds0r:

      Ja @MUDSoR ! Es herrscht irgendwie ein seltsames juristisches Vakuum... Und dann noch mit Entgegengestzten Absichten! EXPLOSIONSGEFÄHRLICH !!!

      Ist zu Hoffen, dass die zZt. massgebenden Akteure die Ruhe bewahren und nicht mehr Gewalt und Hassaktionen stattfinden- die den Prozess neuer Nationaler Selbstfindung der Gemeinschaft der Menschen in der Ukraine negativ behindern!

      • R
        Rainer
        @vergessene Liebe:

        Jetzt braucht es diese "nationale Selbstfindung" auch in der BRD!

    • @muds0r:

      @mudsor:

      Stellen Sie sich doch mal vor, ein legal gewählter Antidemokrat wäre nach 1933 von Barrikadenkämpfern aus Berlin verjagt worden. Wie großartig stünde Deutschland heute da und wie jämmerlich, weil dies unterblieben ist.^^

      Auch ein Gewählter hat keinen Freifahrtschein in den Verfassungsbruch oder das Recht ein Volk auszuplündern. Die Ukraine hat die besten Barrikadenkämpfer der Welt, was die korrupten Politiker aus dem Land machen werden, steht allerdings auf einem andern Blatt.

      • C
        cosmopol
        @Demokratie-Troll:

        Der klitzekleine Schönheitsfehler bei diesem Vergleich ist nur, dass Janukovitsch kein faschistischer Ideologe ist, sondern ein mafiöser Oligarch. Und das die Leute die ihn ablösen ("korrupte Politiker") genau vom selben Schlag sind, sich dabei aber gerade auf Faschist*innen (sorry, ich meine natürlich effektive Teile der "besten Barrikadenkämpfer der Welt", sind ja jetzt schließlich jetzt Held*innen und so) stützen und einen Bürgerkrieg riskieren um an die Macht zu kommen.

  • U
    Ukrainer

    Es ist interessant, dass zwar immer Svobodas Antisemitismus erwähnt wird. Nie aber, dass das Regime versucht hat gegen den Maidan Stimmung zu machen, in dem es behauptet hat, dass der Maiden von Juden finanziert wird usw.

    • C
      cosmopol
      @Ukrainer:

      Stimmt. Auch Janukovitsch hat antisemitische Propaganda gemacht. Mensch kann sich einfach darauf einigen, dass auf beiden Seiten antisemitische Arschlöcher sind. Es ist vielleicht aber wichtig hinzuzufügen, das die eine Seite dieser Arschlöcher es als ihre heilige Pflicht ansieht Jüdinnen und Juden bis zum letzten Kind auszurotten. Ich weiß nicht ob Janukowitsch und Co da eine ähnliche Qualität erreichen, aber als Ukrainer kannst du uns da sicher aufklären.

      • N
        Neugierig.
        @cosmopol:

        Los, diskutiert weiter, euer Gespräch ist interessanter als der Artikel.