Kommentar USA und Nato: Trump ist doch kein Trottel

In der Nato häufen die Deutschen Exportüberschüsse an und kassieren Dollar. Kritik daran gab es schon von JFK – Trump ist also in bester Gesellschaft.

Trump steht in einem Anzug und hebt seine Hand

Meist ist es angemessen, dem US-Präsidenten Verachtung entgegenzubringen Foto: dpa

US-Präsident Donald Trump war bei seinem Staatsbesuch in Großbritannien schwer beschäftigt. Er musste die scheidende Premierministerin Theresa May demütigen, sich in die Tory-Nachfolge einmischen und Demonstranten ignorieren. Doch Trump wäre nicht Trump, wenn er nicht ein paar Sekunden Zeit gefunden hätte, um sich einem seiner Lieblings­themen zu widmen: der Nato.

Bei einer Pressekonferenz in London klagte Trump einmal mehr, dass die Lasten im Bündnis nicht fair verteilt seien: „Alle Mitglieder müssen ihre Verpflichtungen erfüllen.“ Doch einige Länder würden sich entziehen. Trump nannte zwar keine Namen, aber es war klar, wen er meinte: die Bundesrepublik.

In Deutschland hält man Trump gerne für einen Trottel. Diese Verachtung ist meist angemessen, aber ausgerechnet beim Thema Nato ist Trump in bester Gesellschaft. Auch seine Vorgänger Eisenhower, Kennedy und Johnson waren geradezu besessen von der bundesdeutschen Eigenwilligkeit, ständig Exportüberschüsse anzuhäufen und Dollar zu kassieren, die Verteidigung der westlichen Welt aber lieber den USA zu überlassen.

Dieser Konflikt währte von 1960 bis 1976 und ging unter dem Titel „Truppendollar“ in die Geschichte ein. Heute ist diese Episode weitgehend vergessen, aber sie war für die Bundesrepublik sehr kostspielig. Die Truppendollar-Affäre kann als Lehrstück dienen, warum Exportüberschüsse kein Segen sind und Deutschland schaden.

Die Truppendollar-Affäre kann als Lehrstück dienen, warum Exportüberschüsse kein Segen sind, sondern schaden

Akribisch nachberechnet

Die Amerikaner verzeichneten damals wie heute ein riesiges Defizit in ihrer Zahlungs­bilanz, weswegen sie sehr empfindlich registrierten, wie ungleich die Nato-Lasten verteilt waren. 1960 gaben die USA 8,9 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung fürs Militär aus, während die Westdeutschen nur auf 4 Prozent kamen.

Besonders bitter stieß den US-Präsidenten auf, dass die Westdeutschen gleichzeitig die größten Profiteure der amerikanischen Militärausgaben im Ausland waren: 1960 unterhielten die USA sechs Divisionen mit 233.000 Soldaten in der Bundesrepublik. Die ließ sich also von den Amerikanern verteidigen – und kassierte dafür auch noch Dollar!

Akribisch hatte man in Washington nämlich nachgerechnet, wie viele Dollar pro Jahr in der Bundesrepublik hängen blieben, weil die US-Kasernen westdeutsche Zivilangestellte beschäftigten und sich die GIs in den umliegenden Bars vergnügten. Ergebnis: 1956 hatte die Bundesrepublik dank der US-Army 316 Millionen Dollar zusätzlich eingenommen, 1959 waren es schon 686 Millionen.

Diese westdeutschen „Truppendollar“ wollten Eisenhower und Kennedy wieder nach Hause holen. Trump erscheint daher geradezu als Re­inkarnation Kennedys: Derzeit sind zwar nur noch 35.000 US-Soldaten in Deutschland stationiert, aber auch Trump droht gern damit, das amerikanische Militär zu verlegen, falls die Bundesrepublik nicht bald zahlt.

„Truppendollar“-Konzept von Anfang an absurd

Kanzler Adenauer konnte es sich damals nicht leisten, die Amerikaner dauerhaft zu verärgern, denn der Kalte Krieg erhitzte sich wieder: Der sowjetische Präsident Chruschtschow forderte, dass Westberlin zu einer „freien Stadt“ werden und die Westalliierten dort abziehen sollten. Wenig später, am 13. August 1961, wurde die Berliner Mauer gebaut.

Die Bundesrepublik erklärte sich daher widerwillig bereit, Waffen im Wert von etwa 650 Millionen Dollar pro Jahr zu bestellen. Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) wusste auch schon genau, was er gern haben wollte: nicht nur die modernsten Trägerraketen, sondern auch die dazugehörigen Nuklearsprengköpfe. Sein US-Kollege Robert McNamara war zuvor Ford-Manager gewesen und organisierte nun auch den amerikanischen Militärverkauf nach kommerziellen Kriterien.

Dem amerikanischen Verteidigungsminister gelang eine bemerkenswerte Expansion: Von 1961 bis 1966 stiegen die US-Waffen­exporte von 630 Millionen auf 1,9 Milliarden Dollar jährlich, wovon die Westdeutschen fast ein Drittel abnahmen. Die begehrten Nuklearsprengköpfe bekamen sie allerdings nicht, weil die USA diese gefährliche Technik allein kontrollieren wollten.

Das „Truppendollar“-Konzept war von Anfang an absurd, denn die Westdeutschen konnten weitere Waffen gar nicht gebrauchen. Die Bundeswehr war damals eine hochmoderne Armee, der es nicht an Ausrüstung fehlte, sondern an qualifiziertem Personal. Zudem wurden die Lagerhallen knapp, sodass ältere Modelle schon wieder ausrangiert und an Nato-Partner wie Griechenland oder die Türkei weitergereicht werden mussten.

Die USA hielten die Westdeutschen für reich

In ihrer Not ging die Bundesrepublik dazu über, im Voraus zu bezahlen – und das Militärgerät erst Jahre später zu bestellen. 1967 summierten sich diese westdeutschen Vorauszahlungen bereits auf fast 1 Milliarde Dollar. Die Bundesregierung hatte also umgerechnet 4 Milliarden D-Mark für Waffen ausgegeben, die sie gar nicht benötigte.

Die USA bestanden dennoch auf den Bestellungen. Wichtig war allein, dass die „Truppendollar“ wieder in die Heimat flossen und das Defizit in der amerikanischen Zahlungsbilanz reduzierten. Erst 1976 lief das Abkommen aus – nachdem die Bundesrepublik insgesamt rund 11 Milliarden D-Mark nach Washington überwiesen hatte.

Exportüberschüsse sind gefährlich, denn sie wecken Begehrlichkeiten im Ausland. Die USA hielten die Westdeutschen für reich, weil sie Devisen anhäuften. Doch diese Debatten beruhten auf einem Irrtum: Im Bundeshaushalt landete keine einzige Steuermark mehr, nur weil es Exportüberschüsse gab.

Im Gegenteil. Das permanente Plus im Außenhandel signalisierte, dass die meisten Westdeutschen ärmer waren, als sie es hätten sein müssen. Denn die Exportüberschüsse hatten damals die gleiche Ursache wie heute: Die westdeutschen Löhne stiegen nicht so schnell wie die Gehälter im Ausland.

Statt „Truppendollar“ zu zahlen, wäre es besser gewesen, sich selbst höhere Gehälter zu gönnen. Vielleicht braucht es ausgerechnet Trump, damit die Deutschen dies endlich verstehen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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