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Kommentar UN-Nothilfegipfel in IstanbulWer über Flüchtlingsleichen geht

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

In Istanbul wird über humanitäre Hilfe beraten, während Idomeni geräumt wird. Eine Tragödie? Sophokles hätte es nicht besser erfinden können.

Am Dienstag begann die Räumung: das Flüchtlingslager im griechischen Idomeni Foto: ap

D as Timing ist bewundernswert: Während Experten aus aller Welt in Istanbul über die Verbesserung der humanitären Hilfe beraten, beginnt die Räumung des Flüchtlingslagers im griechischen Idomeni, sozusagen nebenan. Monatelang durften Tausende Herumirrende und Verzweifelte dort im Dreck hocken, zwischen Schlamm, Regen und Tränengas, mit Blick auf mazedonischen Stacheldraht, ohne Aussicht auf Weiterreise.

Nachdem Europa gemerkt hat, dass diese Menschen sich nicht freiwillig in Luft auflösen, soll dieses Schandmal einer gescheiterten Politik nun verschwinden, damit die Züge von Griechenland nach Mazedonien wieder fahren können, in die diese Flüchtlinge aber selbstverständlich nicht einsteigen dürfen. Denn sie sollen in Griechenland bleiben, das sie aber am liebsten in die Türkei zurückschicken würde, deren Regierung gerade mehr internationale Unterstützung bei der Flüchtlingshilfe angemahnt hat.

Eine griechische Tragödie? Sophokles hätte es nicht besser erfinden können.

Räumung geht weiter

Die Räumung des wilden Lagers von Idomeni an der mazedonisch-griechischen Grenze ist am Mittwoch bei Tagesanbruch weitergegangen. Dies teilte die griechische Polizei mit. Am Vortag waren insgesamt 2031 der rund 9000 Flüchtlinge und Migranten in staatliche Auffanglager weggebracht worden. Die Aktion verlaufe problemlos, sagte ein Polizist Reportern vor Ort. (dpa)

Wer ein kleines Problem nicht lösen kann, sollte von großen Problemen die Finger lassen. Wer an 10.000 Flüchtlingen scheitert, hat keine Lektionen über den Umgang mit 10 Millionen zu erteilen. Wer über Flüchtlingsleichen geht, um bei Wahlen gegen Rechtspopulisten zu bestehen, ist selber einer.

Die nächsten Dramen bahnen sich bereits an – im Mittelmeer vor Libyen oder auf noch unbekannten Schleuserrouten Richtung Mitteleuropa. Es gibt nicht den Hauch einer Idee auf europäischer Ebene dazu. Außer noch mehr Stacheldraht an den Außengrenzen und noch mehr Hilfe für Diktatoren in Herkunftsländern.

Abschied von nationalen Egoismen

Die allermeisten Flüchtlinge und Notleidenden der Welt befinden sich nicht in Europa und werden auch niemals in die Nähe Europas gelangen. Daher können die Bedürfnisse europäischer Politiker nach Abschottung nicht der Maßstab globaler Politik sein.

Es ist nur zu hoffen, dass die vielen sinnvollen Diskussionen über eine besser koordinierte und vernetzte humanitäre Arbeit auf dem Istanbuler Weltgipfel in Europa trotzdem zur Kenntnis genommen und umgesetzt werden. Dazu gehört auch, sich ins UN-Hilfssystem einzufügen, dieses Hand in Hand mit anderen auszubauen – und sowohl nationale Egoismen als auch europäisches Auftrumpfen hinter sich zu lassen. Idomeni ist nichts, worauf Europa stolz sein kann.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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12 Kommentare

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  • "Eine griechische Tragödie? Sophokles hätte es nicht besser erfinden können."

     

    Ähm, da Sophokles Grieche war, hätten diese die Flüchtlinge als Barbaren aufgefasst und wenn überhaupt, als Sklaven behalten, wenn nicht, wie an den Thermophylen, sich ihnen mit Waffengewalt in den Weg gestellt.

     

    Kurz: Nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich.

    • @Jens Frisch:

      Vermutlich geben Sie da Ihr eigenes Weltbild zum Besten.

  • Danke für diese "klare Ansage", Herr Johnson.

     

    Nein, Idomeni ist nichts, worauf Europa stolz sein kann. Leider fürchte ich, dass es weniger um Stolz geht derzeit, als um handfeste Interessen und einen großen Haufen Zukunftsangst. Und zwar nicht nur unter Flüchtlingen oder Pegida-Anhängern.

     

    Wenn es "auf europäischer Ebene" (sprich: unter den verantwortlichen EU-Politikern) überhaupt so etwas wie den "Hauch" einer Idee zu diesem Drama Sophoklesschen Ausmaßes gibt, dann ist dieser "Haus" jedenfalls nicht sonderlich vernünftig. Er besteht, wenn ich das recht verstehe, in dem irrwitzigen Versuch, aus einem relativ kleinen Problem ein möglichst großes zu machen, eine sogenannte Chefsache, mit der anschließend alle gleichermaßen überfordert sein können. Geteiltes Leid ist offenbar nur halbes Leid aus Sicht der politischen Entscheidungsträger.

     

    Ganz richtig: Wer über Flüchtlingsleichen geht, um bei Wahlen gegen Rechtspopulisten zu bestehen, ist selbst ein Rechtspopulist. Und wenn ihm zum Leid hundettausender Menschen jeden Alters nicht mehr einfällt, als noch mehr Hilfe für Diktatoren in Herkunftsländern und noch mehr Zugeständnisse an (Möchtegern-)Diktatoren in EU-Anrainerstaaten, dann wäre so ein Politiker vielleicht gern selber einer. Diktator, meine ich. In sofern ist nicht wirklich zu erwarten, dass europäische oder sonst involvierte Spitzenpolitiker demnächst zu Lösungen raten werden, die "sich ins UN-Hilfssystem einzufügen".

     

    Wer gerne ein Diktator wäre, ist weder rational noch psychisch in der Lage, "sowohl nationale Egoismen als auch europäisches Auftrumpfen hinter sich zu lassen“. Der kann ja nicht einmal am eigenen Ego vorbeisehen, so groß hat er es aufgeblasen. Sophokles hat das noch ganz genau gewusst damals. Kunststück: Als Tragödiendichter konnte er sich dieses Wissen leisten.

  • Nein Stacheldraht ist nicht meine persönlich Überzeugung - ich persönlich glaube es gibt bessere Wege Flüchtlingen fern zu halten.

     

    Mit der "hohlen Phrase" mein ich die ständige gebetsmühlenhafte Wiederholung wir müssten nationale Egoismen aufgeben um Europa zu vereinen.

     

    Das mag durchaus der Fall sein nur glaube ich nicht, dass wenn wir "gemeinsam" was machen irgendetwas rauskommt was uns Deutschen - erst recht nicht den deutschen Linken - gefällt.

     

    Dafür habe ich das Beispiel Energiewende genommen. Während nämlich wir in unserem nationalen Alleingang AKW und Kohlekraftwerke abschalten sieht man im restlichen Europa darin die Zukunft.

    England will neue AKW's bauen, die natürlich von der EU (und damit von deutschen Steuergeldern) mitfinanziert werden sollen.

     

    Das gleiche mit Flüchtlingen. Schauen sie sich doch mal in Europa und nicht in Phatasialand um. Welches Land in Europa definiert denn sonst noch ein Staatsoberhaupt, dass der Islam dazugehört. Im Gegenteil - die offizielle Position vieler Länder ist, dass der Islam explizit nicht dazugehört.

    Und mit denen wollt ihre gemeinsam diskutieren und eine gemeinsame Position für die Flüchtlingsfrage auszuarbeiten - in der Hoffnung sie würden dann auf unsere Seite schwenken.

    Seid ihr echt so naiv, dass ihr glaub wir müssten "aufklären" und "überzeugen" (und all die anderen Sprechblasen) und schon erkennt Polen wie toll Moslems für die Gesellschaft sind?

     

    Das Gegenteil wird der Fall sein - Osteuropa wird erwarten, dass wir unsere Position ändern weil sie uns "aufgeklärt" haben und uns "überzeugen" wie gefährlich der Islam ist und WIR unseren nationalen Egoismus aufgeben.

     

    Ihr seid so geil auf den Traum von Europa das ihr die Realität nicht mehr seht. Ein gemeinsames Europa bedeute, dass auch wir Opfer bringen müssen, und zwar nicht nur sinnlos Geld verbrennen in Griechenland.

    Viele Positionen, die hier selbst von Konservativen akzeptiert werden, sind europaweit nicht Mehrheitsfähig.

  • Da sagen Sie etwas! Vielen Dank für diesen klaren Kommentar.

  • Sehr richtig - wir müssen nationale Egoismen zurückdrehen, damit Europa wächst und gedeiht.

    Also Frau Merkel - mal bitte die Energiewende mit 27 anderen Staaten abstimmen.

    Und in der Flüchtlingspolitik bitte Stacheldraht kaufen und eine gemeinsame Lösung in Europa umsetzen.

    Soweit ich weiß gibt's da mehr Stacheldraht als Willkommenskultur.

     

    Merkt ihr eigentlich noch wie Hohl eure Phrasen klingen?

    • @Thomas_Ba_Wü:

      Jetzt nur mal so ganz nebenbei: Es geht hier gar nicht drum, dass "Europa wächst und gedeiht.".... Es geht darum, wie globale Krisen zu bewältigen sind. "Die Andern" nicht alleine zu lassen, sich verantwortlich zu fühlen und einen Plan zu entwickeln, um Flüchtlingen (die es nun mal gibt) zu helfen. Humanität nennt sich das, glaub ich??

      • @LiebeSonneScheine:

        Ich glaube nicht, dass sie dafür in Europa (und wahrscheinlich auch nicht in Deutschland) eine Mehrheit finden.

         

        Ja schon scheiße mit der freien pluralistischen Gesellschaft - da kann es doch tatsächlich sein, dass die Mehrheit ihre Einstellung nicht teilt.

      • @LiebeSonneScheine:

        Toll klingende Worte "Humanität" - anderen weltweit helfen.. ... Ach mir wird nur warm ums Herz.

         

        Hat zwar nichts mit der Realität zu tun aberträumen sie schön weiter.

    • @Thomas_Ba_Wü:

      Was hat jetzt die Energiewende mit Flüchtlingen zu tun??

       

      Ist das mit dem "Stacheldraht kaufen" Ihre persönliche Überzeugung oder lesen Sie das aus dem Artikel heraus?

       

      Wessen Phrasen klingen jetzt hohl???

      • @LiebeSonneScheine:

        Zynismus ist nicht Ihre Sache, sehr geehrteR LIEBESONNESCHEINE, oder? Nun ja. Muss auch nicht.

      • @LiebeSonneScheine:

        Nunja, auch wenn er überzieht, so ist es doch nicht von der Hand zu weisen, dass der Ruf nach europäischer Zusammenarbeit bei vielen Probleme immer sehr laut wird von linker Seite, aber unterm Strich betrachtet in Europa gewöhnlicherweise man sich nur einig ist, wenn man Fördergelder kassieren darf.

         

        Das gilt halt sowohl für die Energiewende(bzw. den Atomausstieg), wie für Agrarpolitik, wie auch für Flüchtlingspolitik, keine dieser Positionen der linken in Deutschland lässt sich europaweit durchsetzen.