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Kommentar Türkei und PKKErdogans zynisches Kalkül

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Der Präsident nimmt einen Zweifrontenkrieg gegen die PKK und den IS in Kauf. Damit könnte er Neuwahlen erzwingen. Die Opposition muss handeln.

Erdogan verweigert jede auch nur indirekte Zusammenarbeit mit den Kurden gegen den IS und macht so eine Friedenslösung innerhalb der Türkei nahezu unmöglich. Foto: reuters

M it dem Bombardement auf mehrere Lager der kurdischen PKK-Guerilla im Nordirak hat die türkische Regierung den seit 2013 andauernden prekären Waffenstillstand mit den Kurden endgültig beendet.

Wirklich überraschend kam das nicht. Spätestens seit dem Kampf um Kobani im letzten Oktober machte vor allem Staatspräsident Tayyip Erdogan klar, dass er an einem echten Friedensprozess nicht mehr interessiert ist. Schon damals sprach er davon, dass er die PKK mindestens für eine gleich große Gefahr hält wie die islamistischen Schlächter des Islamischen Staates (IS). De facto war es sogar so, dass Erdogan und sein Regierungschef Ahmet Davutoglu den IS lange indirekt unterstützten in der Hoffnung, die Islamisten würden die Kurden in Syrien erfolgreich bekämpfen ohne eine Gefahr für die Türkei dazustellen.

Das hat sich als schwerer Fehler herausgestellt. Nicht nur der Terroranschlag in Suruc bei dem 32 junge Leute starben, auch die zunehmende Dreistigkeit mit der der IS die Türkei als sein Hinterland nutzte, haben Erdogan und Davutoglu gezeigt, dass sie auf dem besten Weg waren, den Südosten des Landes in eine Zone zu verwandeln, die eher dem pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet ähnelt als einer türkischen Provinz.

Dem soll nun, auch mithilfe der USA, ein Ende gemacht werden. Die türkische Armee soll mit amerikanischer Luftunterstützung die Grenzregion von IS-Militanten säubern, sowohl auf der türkischen wie auch auf der syrischen Seite.

Nirgendwo mehr einen Staat im Staat dulden

Doch um diese 180-Grad-Wende ihren Anhängern verkaufen zu können, lautet die neue Formel von Erdogan und Davutoglu, man werde gegen jede bewaffnete Formation im Land vorgehen und nirgendwo mehr einen Staat im Staat dulden. Nicht in den kurdischen Gebieten der Türkei und nicht entlang der syrischen Grenze. Damit die syrischen Kurden der PYD nicht von den Angriffen auf den IS profitieren, wird die PKK, der wichtigste Verbündete der PYD, ebenfalls angegriffen. Getreu nach Erdogans Motto, die einen seien so schlimm wie die anderen. Wie schon im Kampf um Kobani verweigern Erdogan/Davutoglu erneut eine auch nur indirekte Zusammenarbeit mit den Kurden gegen den IS und machen so eine Friedenslösung innerhalb der Türkei nahezu unmöglich.

Die türkische Übergangsregierung – immerhin hat Davutoglu seit den Wahlen vom Juni keine Mehrheit mehr im Parlament – nimmt damit einen Zweifrontenkrieg sowohl gegen die PKK wie den IS in Kauf. Man redet sich ein, mit Razzien im Land sowohl die Terrorzellen des IS ausheben wie auch weitere Racheaktionen der PKK verhindern zu können. Alle Erfahrung spricht dagegen, dass das möglich ist. Weitere Terroranschläge in der Türkei werden dadurch wahrscheinlicher. Dahinter könnte ein zynisches Kalkül stehen: Neuwahlen im Herbst mit dem Ziel, eine Alleinregierung der AKP wiederherzustellen.

Davutoglu regiert nur noch als geschäftsführender Ministerpräsident. Er hatte 45 Tage Zeit, eine Koalition zu bilden. Diese Frist endet am 23. August. Kommt keine Regierung zustande, kann Erdogan als Präsident Neuwahlen anordnen. Aus Sicht vieler türkischer Wähler herrscht plötzlich Chaos, seit die AKP ihre Mehrheit verloren hat. Diese Atmosphäre soll dafür sorgen, dass die AKP bei Neuwahlen im Herbst mit der Parole antreten kann, nur eine erneute absolute Mehrheit für Davutoglu und Erdogan könne dieses Chaos wieder beseitigen.

Jetzt ist die türkische Opposition, vor allem die kurdisch-linke HDP am Zug. Wollen sie nicht untergehen, müssen sie dem Kalkül der Regierung etwas entgegensetzen.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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4 Kommentare

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  • Was soll sich die Opposition da noch einfallen lassen?. Durch die Eskalation wird die Kluft zwischen der nationalistischen MHP und der kurdischen HDP noch riesiger. Ein gemeinsames Handeln der Opposition wird total unmöglich. Und Erdogan braucht Neuwahlen um doch noch seine Alleinherrschaft zu sichern. Koalitionsverhandlungen wird die AKP nur zum Schein abhalten. Erdogan kommen Chaos und Terror ganz gelegen. So steigt bei den Wählern die Sehnsucht nach einem starken Mann und sie werden reumütig zur AKP zurückkehren.. Erdogans Kalkül geht auf. Er wird doch noch zum Sultan, den niemand mehr entmachten kann.. Aber der Türkei stehen viele Jahre mit Terror sowohl des IS wie auch von der PKK bevor.Die Hoffnung auf einen demokratischen Neuanfang kann auch beerdigt werden. Es ist ein Trauerspiel.

    • @vulkansturm:

      jetzt ist erdogan auch noch am handeln der isis und pkk schuld.

      :D

      wird ja immer abenteuerlicher.

      • @Tim:

        Unter Kurden heißt es: "Der einzige Freund des Kurden ist der Kurde." Wieder einmal wie sooft in der Geschichte Mesopotamiens bewahrheiten sich diese Worte, wieder einmal sind es die Kurden, die sowohl gegen den IS, als auch die faschistischen Kräfte deren Arme tief in den türkischen Geheimdienst MIT und die Regierung Erdogan reichen, kämpfen. Und wieder einmal sind es die USA selbst die die Kurden für ihre Zwecke missbrauchen und dann im Stich lassen wie bereits sooft in der Geschichte

        • @Jung&Naiv:

          Ich kann es echt nicht mehr hören, dass andauernd die Kurden mit der PKK gleichgesetzt werden! Die PKK ist eine kommuniatisch-atheistisch geprägte Terrororganisation. Die Kurden sind ein friedlebendes anatolisches Volk, dessen Bevölkerung rund 20 % der türkischen Gesamtbevölkerung ausmachen. Es ist wirklich bemerkenswert wieviel unfung verbreitet wird. Die PKK ist weder Sprachrohr der Kurden noch vertritt sie deren Interessen.

          Fakt ist nämlich, dass die AKP ihre größte Unterstützung aus den Kurdengebieten und von den Kurden bekommt, weil auch die meisten Kurden sunnitisch-konservativ eingestellt sind. Fakt ist auch, dass wenn die Mehrheit von 30 Mio Kurden das Gedankengut der PKK unterstützen würde, die Türkei in ihren heutigen Grenzen nicht mehr existieren würde. Oder gibt es jmd der ernsthaft das Gegenteil behauptet?

           

          Meine Ausführungen bedeuten nicht, dass die Kurden keiner Diskriminierung ausgesetzt seien (früher mehr als heute). Nur die PKK hat dieses Problem durch Waffengewalt nicht lösen können. Genauso wenig die Gegengewalt der türkischen faschistischen (Militär-)Regime der Vergangenheit. Gewalttaten beider Seiten haben immer nur noch mehr zur Spaltung der Völker in der Türkei geführt. Zum Teil wurde die PKK von korrupten Machtstrukturen innerhalb des Staates für eigene Interessen ausgenutzt. Jahrelang hat das türkische Militär ihre Macht, durch eine hochgespielte Bedrohung der PKK, legitimiert.