Kommentar Türkei und #FreeDeniz: Freiheit im Konjunktiv
Eine Normalisierung der deutsch-türkischen Beziehung ist erst nach Deniz Yücels Freilassung denkbar. Dafür gibt es jetzt erste Anzeichen.
E rstmals seit Monaten gibt es in der Türkei Anzeichen dafür, dass die Inhaftierung von Deniz Yücel ihrem Ende entgegengehen könnte. Nachdem im letzten Oktober Peter Steudtner freigekommen war und im Dezember auch Meşale Tolu das Gefängnis verlassen durfte, hat jetzt der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu angekündigt, dass bald eine Anklage gegen Yücel vorgelegt werden könnte.
Sicher, das alles findet noch im Konjunktiv statt, dennoch sind die Indizien so ermutigend wie nie seit der Festnahme von Deniz im Februar letzten Jahres. Seit Oktober kündigt die türkische Regierung immer wieder an, dass sie ein Ende der Konfrontation mit Berlin anstrebe. Mit der Freilassung von Steudtner, Tolu und anderen deutschen politischen Gefangenen hat sie einige kleine praktische Schritte gemacht.
Umgekehrt ist es wohl auch kein Zufall, dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen gegen mehrere Imame der mit Ankara eng verbundenen Ditib-Moscheen eingestellt hat – auch wenn die Bundesregierung natürlich heftig bestreitet, dass es da einen Zusammenhang gibt.
Echte Schritte zur Normalisierung der deutsch-türkischen Beziehungen werden aber erst erfolgen, wenn Deniz Yücel wieder in Freiheit ist. Das wissen die türkische Regierung und auch Erdoğan persönlich. So schwer es dem türkischen Präsidenten fallen dürfte, bei Deniz Yücel einen Rückzieher zu machen: Ohne die Freilassung des Welt-Korrespondenten gibt es keine Erweiterung der Zollunion und keine Rückkehr deutscher Touristen in dem Umfang wie vor der Krise.
Für Erdoğan zeichnet sich jedoch eine gesichtswahrende Lösung ab, wie Deniz Yücel zumindest aus der Untersuchungshaft entlassen werden kann. Der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg entscheidet demnächst über eine Haftbeschwerde von Yücel. Geben die Straßburger Richter dieser Beschwerde statt, wird die Türkei die Entscheidung auch umsetzen, versprach jetzt Außenminister Çavuşoğlu. Damit wäre Erdoğan dann aus dem Schneider.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?