Kommentar Tarifeinigung bei der Bahn: Ausstand erfolgreich geprobt
Der Bahn blieb keine Wahl, als Zugeständnisse zu machen – nicht nur wegen des Streiks. Das Unternehmen sucht händeringend Mitarbeiter.
A m Ende ging es ganz schnell: Wenige Tage nach dem heftigen Warnstreik bei der Bahn einigten sich der Konzern und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) auf einen Tarifvertrag. Der kann sich sehen lassen, ist aber auch nicht berauschend: Mit 3,5 Prozent liegt das Ergebnis deutlich über der Inflationsrate von um die 2 Prozent und genau auf der Höhe der durchschnittlichen Tarifabschlüsse in diesem Jahr.
War dafür der heftige Warnstreik nötig? Er wurde von PendlerInnen und Reisenden umso schmerzhafter wahrgenommen, weil er überraschend kam. Denn die braven FunktionärInnen von der EVG sind anders als ihre KollegInnen von der Gewerkschaft der Lokomototivführer (GdL) nicht als Radikalinskis bekannt. Mit dem Warnstreik sind die zahmen GewerkschafterInnen über ihren eigenen Schatten gesprungen – und das war richtig. Ohne den Ausstand auf Probe hätte der Arbeitskampf länger gedauert. Das hätte PendlerInnen und Reisende noch mehr belastet.
Allerdings: Der Bahn blieb keine Wahl, als Zugeständnisse zu machen – nicht nur wegen des Streiks. Die Manager brauchen in quasi allen Bereichen sehr viel mehr Leute, als heute an Bord sind. Immer wieder bleiben Züge stehen, weil es schlicht am Personal fehlt. In so einer Lage hätte es im Eigeninteresse der Bahn liegen müssen, sich als attraktive Arbeitgeberin zu präsentieren und ein richtig gutes Angebot auf den Tisch zu legen. Spannend wird, was die EVG-Konkurrenz GdL, die gerade die Tarifverhandlungen abgebrochen hat, aus dieser Lage herausholt.
Gewerkschaften aus anderen Branchen können aus dem Warnstreik einiges lernen. Vielerorts suchen PersonalchefInnen ebenfalls Hände ringend Leute. Auf die Idee, dass gute Arbeitsbedingungen und gute Bezahlung die besten Mittel gegen Fachkräftemangel sind, kommen die EntscheiderInnen leider nicht von allein. In den vergangenen Jahren sind die Löhne viel zu wenig gestiegen, auch weil die Gewerkschaften sich mit zu wenig zufriedengaben. Jetzt haben sie die Gelegenheit, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften