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Kommentar Steinmeiers Türkei-BesuchVermeintliche Solidarität

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die Bundesregierung will Erdoğan als Torwächter Europas halten. Steinmeiers Soli-Signale an die türkische Opposition sind eine Farce.

Unterwegs in Ankara: Frank-Walter Steinmeier Foto: dpa

F rank-Walter Steinmeier, der künftige Bundespräsident, ist ein honoriger Mann. Höflich, geduldig, immer konstruktiv. Ein Mann des Dialogs. Alles Tugenden, die einen Diplomaten auszeichnen und im normalen politischen Geschäft sicher hilfreich sind. Mit politischen Inhalten haben sie allerdings nichts zu tun.

Bei seinem gestrigen Besuch in Ankara hat Steinmeier ein klassisches Beispiel für „links blicken und rechts abbiegen“ abgeliefert. Steinmeier hat sich während seines Besuches mit Vertretern der Zivilgesellschaft und Abgeordneten der verfolgten kurdisch-linken HDP getroffen, um ihnen zu signalisieren: Wir sind bei euch.

In Deutschland und in Europa, wo eine Mehrheit der Menschen über die Aushebelung der Demokratie und der Verfolgung der Demokraten empört ist, sollten diese Treffen wiederum zeigen, wie sehr doch die Bundesregierung sich um die Opfer der Repressionspolitik der türkischen Regierung sorgt. Tatsächlich blieben diese Treffen völlig folgenlos. Denn die vermeintliche Solidarität mit der türkischen Opposition findet da ein Ende, wo ein größeres Interesse der Bundesregierung gefährdet erscheint.

Maaßen zu PKK-Vorwürfen

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, hat türkische Vorwürfe entschieden zurückgewiesen, deutsche Behörden gingen nicht energisch genug gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK vor. „Aus meiner Perspektive des Bundesverfassungsschutzes kann ich sagen, dass diese Vorwurf völlig ungerechtfertigt ist“, sagte Maaßen am Dienstagabend im Reuters-Interview. Es gebe mit der Türkei in diesem Zusammenhang einen guten Informationsaustausch und Kooperation. (rtr)

Steinmeier und seine Kanzlerin Angela Merkel wollen um jeden Preis verhindern, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan das Flüchtlingsabkommen mit der EU aufkündigt und dann erneut im kommenden Frühjahr jeden Tag tausende Syrer, Iraker und Afghanen an den Küsten Europas landen. Deshalb hat er sich von seinem türkischen Kollegen beschimpfen lassen, deshalb hat er sich geduldig über zwei Stunden die Tiraden Erdoğans angehört.

Während im Europaparlament eine Abstimmung vorbereitet wird, mit der ein Ende des Beitrittsprozesses der Türkei eingeleitet werden soll und Erdoğan seinerseits damit droht, Europa per Volksabstimmung aus der Türkei zu verabschieden, hört sich Steinmeier stoisch alles an – um letztlich zu befinden, es seien doch gute, „ehrliche“ Gespräche gewesen. Solange Erdoğan als Torwächter Europas weiterhin funktioniert, ist eben alles andere Nebensache.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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8 Kommentare

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  • Diese Heuchelei ist einfach nur noch unerträglich. Hallo hat es den Westen je interessiert, mit wem sie "schmutzige" Geschäfte machen oder nicht, solange der Westen Vorteile daraus zog? Wer war Gaddafi, wer war Saddam Hussein, und viele weitere Despoten weltweit? Menschenrechte? Wie viele illegale Kriege, wie viele illegale "Regime-Change" wie viele Waffenlieferungen an "Schurkenstaaten" wie viele illegale Drohnen Einsätze, Bomben usw. für die der Westen verantwortlich war und ist. Wie viele unschuldige Opfer gab es und gibt es täglich, durch den westlichen Drohnen, Bomben und Wirtschaftsterror des Westens weltweit?

  • Angesichts dieser Lage dürfte sich Bismarck mehrmals im Grabe umdrehen.

     

    Als Reichskanzler hatte er es zwischen 1871 und 1890 erfolgreich vermieden, dass Deutschland in eine Zweifronten(-kriegs)-situation geriet. Merkel dagegen hat es binnen kürzester Zeit geschafft, die Bundesrepublik außenpolitisch immer weiter zu isolieren und partiell sogar gegen die Wand zu fahren (siehe obiges Beispiel).

  • Einen Spagat der drei Beine benötigt ist unmöglich. Wenn wir Deutschen dem Türkischen Präsidenten nicht klare Kante zeigen, wie sollen es denn die anderen EU - Mitglieder tun !? Entweder wir leben unsere freiheitliche Demokratie oder lassen uns weiter von Erdogan an der Nase herumführen. Freiheit bedeutet seit je her auch kampf ! Liebe Regierungsvertreter : Wehred den Anfängen und klebt nicht zu sehr an euren Posten !

  • "Steinmeier und seine Kanzlerin Angela Merkel wollen um jeden Preis verhindern, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan das Flüchtlingsabkommen mit der EU aufkündigt" - ja, das ist alles, was zum Verständnis nötig ist - mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen - alles andere ergibt sich dann zwangsläufig.

  • Warum wird eigentlich nirgends darüber berichtet, dass derzeit Studentenproteste gegen die Absetzung eines gewählten Rektors und dessen Ersetzung durch einen Regierungstreuen gewaltsam niedergeknüppelt werden? Sind solche Ereignisse schon keine Nachricht mehr wert?

  • Ich verstehe Frank-Walter Steinmeier. Als Verfechter der These von der Möglichkeit einer allwissenden und unfehlbaren Autorität kann er nicht zurück hinter einmal getroffene Entscheidungen. Würde er sich korrigieren, fiele er denjenigen, denen er sein Amt verdankt, damit in den Rücken. Für einen angehenden Bundespräsidenten ist das offenbar keine Option.

     

    Die Unionsspitze (who the fuck...?) nebst SPD-Anhängsel ist es sich selbst und ihrer alternden Klientel schuldig, mindestens so entschlossen zu wirken, wie der türkische Präsident. Sie kann eventuelle Fehlentscheidungen selbst dann nicht korrigieren, wenn sie begreift, dass ihre Pläne so, wie vorgesehen, nicht funktioniert haben.

     

    Nein, Erdoğan wird nicht den Türsteher für die Europäer machen. Er will nicht mal zur Party kommen. Er hat ganz andere Pläne. Pläne, die deutsche Spitzenkräfte so offenbar nicht vorhergesehen hatten, weil sie zu sehr mit ihren eigenen beschäftigt waren.

     

    Nun gibt es ein Problem: Hält die deutsche Seite am Flüchtlingsdeal fest, verliert sie ihren Heiligenschein. Gibt sie zu, dass der Flüchtlingsdeal gescheitert ist, schaden sie ihrer Autorität.

     

    Eine echt missliche Lage, das. In der Welt des Herrn Steinmeier und seiner Unions- bzw. SPD-Kollegen ist man nur so lange legitim mächtig, wie man nicht mit Gewalt vorgehen muss gegen Gegner oder Kritiker. Mit Gewalt vorgehen (oder abdanken) müsste man jedoch, falls demnächst jemand aufsteht und erklärt: "Ihr wart schon einmal nicht allwissend. Was ist, wenn ihr euch wieder irrt?"

     

    Der Kaiser ist mal wieder nackt. Nein, ich beneide die Bundesregierung nicht um die Bredouille, in die sie sich gebracht hat. Ich bin vielmehr ganz unheimlich gespannt darauf, wie sie da wieder raus kommen will. Ich glaube, wenn es eine daily soap zum Thema gäbe, würde ich einschalten. Nachdem der Mist Realität ist, lasse ich mich lieber überraschen.

  • "Erdoğan seinerseits damit droht, Europa per Volksabstimmung aus der Türkei zu verabschieden" -> besser hätte man seine Vorstellung der Dimensionen eines neuen Otto reiches nicht umschreiben können.

  • Kumpel, überprüfen Sie eigentlich ab und an mal was Sie schreiben?

     

    „Frank-Walter Steinmeier, der künftige Bundespräsident, ist ein honoriger Mann. Höflich, geduldig, immer konstruktiv. Ein Mann des Dialogs. Alles Tugenden, die einen Diplomaten auszeichnen und im normalen politischen Geschäft sicher hilfreich sind. Mit politischen Inhalten haben sie allerdings nichts zu tun.“

     

    Steinmeier sagte zu Trump, er sei ein Hassprediger, man müsse das amerikanische Wahlergebnis akzeptieren (als wäre Einmarsch die Alternative) und gratulierte nicht zum Sieg.

     

    Das ist also höflich, geduldig und immer konstruktriv? Hallo FILTERBLASE, McFly?