Kommentar Steinbrück: Der falsche Kandidat
Ein Desaster kann die SPD nur noch verhindern, wenn sie Steinbrück am Sonntag nicht zum Kanzlerkandidaten kürt. Gabriel sollte einspringen.
E in Kandidat (lat.: candidatus) ist ein Bewerber, zum Beispiel um ein Amt, oder ein Anwärter auf eine Position. Im allgemeinen Verständnis will ein Kandidat mit seiner Bewerbung etwas erreichen. Entweder ein strategisches Ziel oder eine Mehrheit. Das war seit dem 16. Jahrhundert so, seitdem ist das Wort in Deutschland belegt.
Mit Peer Steinbrück, den die Sozialdemokraten am Sonntag zu ihrem Kanzlerkandidaten küren wollen, gerät diese Definition ins Wanken.
Ein rein strategisches Ziel kann keine Erklärung sein. Das würde nur funktionieren, wenn die Sozialdemokraten tatsächlich wollten, dass Schwarz-Grün schon im Jahr 2013 an die Regierung kommt. Das zu unterstellen wäre gemein.
Wozu sollten die Delegierten Steinbrück aber sonst wählen? Als ernst gemeinten Herausforderer der Kanzlerin? Das zu behaupten würde unterstellen, dass sich die Partei aus der realen Welt verabschiedet hat.
ist Chefredakteurin der taz.
Peer Steinbrück hat auf keinem einzigen Feld, das für die ehedem stolze Arbeiterpartei wichtig war, etwas zu bieten. Selbst in puncto sozialer Gerechtigkeit geben die Befragten der Kanzlerin mittlerweile höhere Glaubwürdigkeitswerte.
Und das hat nicht in erster Linie etwas mit der Höhe seiner Vortragshonorare zu tun. Immer wieder ist der Hartz-IV-Befürworter der ersten Stunde mit markigen Sprüchen gegen Sozialleistungsempfänger aufgefallen. Auch Frauen mögen ihn grundsätzlich nicht. Zu selbstverliebt, zu besserwisserisch, zu unterkühlt sei er.
Und wie, bitte schön, soll einer, der erwiesenermaßen lieber mit Vorträgen Geld verdient als im Bundestag Dienst zu schieben, gegen die protestantische Bescheidenheit und eiserne Arbeitsmoral einer Kanzlerin Angela Merkel im bürgerlichen Milieu punkten können?
In einer solchen Situation kann es nur noch um Gefahrenabwehr gehen. Der Parteichef selbst sollte in die Bütt springen. Auch wenn Sigmar Gabriels Umfragewerte bisher auch nicht besser sind: Er hat mehr sozialdemokratisches Potenzial und ist einer der fähigsten deutschen Politiker.
Will die SPD am Sonntag nicht ein selbstbestimmtes Desaster beschließen, sollten die Verantwortungsträger der Partei noch einmal sehr ernsthaft über Alternativen nachdenken.
Peer Steinbrück ist ein Kandidat, der diese Bezeichnung im eigentlichen Wortsinne so gar nicht verdient hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“