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Kommentar StammzellenforschungRevolution der Geschlechter

Silke Mertins
Kommentar von Silke Mertins

Aus Hautfetzen kann man Eizellen oder Spermien schaffen. Homo-Paare können gemeinsame Kinder haben. Und die „biologische Uhr“ ist passé.

Erstmals sind Frauen in der Familienplanung tatsächlich mit Männern gleichgestellt Foto: dpa

E in Stück Haut wird künftig genügen, um eine Eizelle oder eine Spermie zu erschaffen – auch beim Menschen. Natürlich kann man nun beklagen, dass Missbrauch möglich ist, ein Designerbaby droht und schwerwiegende ethische Fragen aufgeworfen werden. Stellen wir uns über die Natur? Spielen wir Gott? Werden es nicht wieder nur die Wohlhabenden sein, die profitieren? Alles berechtigte Bedenken. Und ja, neue Regeln werden nötig sein.

Doch zum einen ist es ohnehin unmöglich, Innovationen aufzuhalten. Was technisch machbar ist, wird auch genutzt – wenn nicht bei uns, dann in Ländern, die legerer mit Stammzellenforschung und Reproduktionstechnik umgehen. Zum anderen bedeutet dieser Durchbruch bei der Stammzellenforschung enorme Chancen. Erstmals können homosexuelle Paare auch biologisch Eltern eines gemeinsamen Kindes werden. Bisher ist das nur mit einer Ei- oder Samenspende und damit auf Kosten des Kindes möglich gewesen, das seine biologische Herkunft nur zur Hälfte kennt.

Eine regelrechte Revolution ist die neue Technik jedoch für das Geschlechterverhältnis. Erstmals sind Frauen in der Familienplanung tatsächlich mit Männern gleichgestellt. Die biologische Uhr tickt nicht länger. Im Hier und Jetzt müssen Frauen, die Kinder wollen, zwischen ihrer Ausbildung und dem Ende der Fruchtbarkeit alles gleichzeitig leisten: sich im Job beweisen, eine Karriere aufbauen, den Menschen fürs Leben finden, Kinder bekommen und nach Möglichkeit sich auch noch sozial engagieren. Gut aussehen, Sport treiben und ohne Fertiggerichte auskommen sollen sie dabei selbstverständlich auch. Schon der Gedanke daran ist so stressig, dass die kinderlose Alternative geradezu unwiderstehlich erscheint.

Doch in Zukunft werden Frauen genauso wie Männer eine Familie gründen können, wenn der für sie richtige Zeitpunkt gekommen ist, ganz ohne Torschlusspanik. Sie werden sich auch dann noch einen Kinderwunsch erfüllen können, wenn sie den Traumpartner erst mit Anfang 40 treffen. Keine wird mehr Pech gehabt haben, weil sie mit Mitte 20 nicht an „Social Freezing“, das Einfrieren von Eizellen, gedacht hat. Nach einer Trennung eine zweite Familie gründen – das wird nicht länger Privileg der Männer sein. Wenn das keine Verheißung für die Zukunft ist.

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Silke Mertins
Redakteurin Meinung
Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik
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8 Kommentare

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  • Die Qualität der Erbinformationen nimmt im Alter ab. Das ist bei Spermien so und dürfte auch bei Hautzellen so sein. Daher wird das Social Freezing vermutlich für Frauen wie für Männer immer wichtiger werden.

    Nicht weil die Uhr abgelaufen ist, sondern weil es einfach nicht mehr natürlich geht und die Gefahr von Erbkrankheiten deutlich steigt.

    Die Vielfachbelastung entsteht dadurch, dass uns viele Rollen gleichzeitig theoretisch offen stehen und wir nichts auslassen wollen. Von einigen finanziell bedingten Fällen abgesehen, ist es unser eigener Wunsch nach beruflicher Karriere verbunden mit gelebter Elternschaft und dem Verfolgen von privaten Interessen, die uns tendentiell überfordert. Sicherlich lässt sich durch entsprechende Angebote wie Kinderbetreuung die Vereinbarkeit erhöhen. Das Problem bleibt jedoch für Frauen wie Männer das gleiche - wer alles gleichzeitig will, hat viel zu tun und ist schnell damit überfordert.

    Wir werden immer älter und können uns daher nicht nur mit dem Kinderkriegen sondern auch mit der Karriere mehr Zeit lassen. Was spricht gegen ein frühes Kinderkriegen verbunden mit reduzierter beruflicher Intensität und einer späten Karriere? Wir arbeiten immer länger, sind länger fit und können daher auch länger Karriere machen. Natürlich sind dazu gesellschaftliche Änderungen erforderlich. Leider geht da die Bundesregierung auch nicht den richtigen Weg. Es geht nicht um Frauenquoten sondern darum Männer zu aktiver Vaterschaft zu bringen. Überstunden sollten für junge Väter tabu sein. Mit der Entbindung sollte jeder Vater ein Arbeitsverbot von 2 Wochen haben, damit er sich um sein neugeborenes Kind kümmern kann. Dazu gehört auch eine Entrümpelung des Familienrechts, welches die Väter immer noch auf die Zahlvaterrolle festlegt.

  • Weisst Du, Kind, früher hatten die Kinder Großeltern. Erinnerst Du Dich wirklich nicht mehr an Deine? Ja, die waren bei Deiner "Auf die Welt kommen" schon im Pflegeheim, aber sie haben noch gelebt. Großeltern oder gar Urgroßeltern, ja das war so ein altes, reaktionäres Konzept. Das ist jetzt völlig überwurden, weil wir ja die Kinder mit 40 bis 50 bekommen und so können sich die Generationen besser von den historischen Belastungen frei machen.

    Vielleicht wird es bei Dir schon so sein, Kind, dass Du Nachkommen erst mit 70-80 erzeugen wirst, in den Brutmaschinen, dann brauchst Du Dich auch gar nicht mehr mit dem ganzen Auszuchtkram abzuplagen.

    Endlich traditionsfrei leben.

  • Häufig werden Fortschritte in der Stammzellenforschung in der taz als Fortschritt für die Gleichberechtigung gefeiert. Das mag sein, aber die Nachteile der Kinder sollten dabei auch betrachtet werden. #socialfrezzing -> alte Eltern, alte Großeltern. Das gleiche gilt für Spermien und Eizellen aus Hautzellen. Die Forschung bezüglich Geburt und Aufwachsen von Kindern hat in letzter Zeit immer mehr Vorteile von möglichst viel "Natürlichkeit" entdeckt. Das heißt Eltern in den 20ern, vaginale Geburt, Stillen und fitte Eltern gehören sicherlich auch dazu.

     

    Das Problem bei solchen "Fortschritten" ist auch, das häufig erst sehr spät die tatsächlichen Auswirkungen erkannt werden. Das menschliche Erbgut ist viel zu komplex, um die Folgen abschätzen zu können. Deshalb ist es für mich ethisch nicht vertretbar, den so entstandenen Kindern gegenüber

    • @Pro:

      Ich finde das Argument --> alte Eltern zieht nicht unbedingt. Natürlich ist ein hohes Alter nicht ideal, aber es als Gegenargument zu nutzen, funktioniert nicht. Denn was ist mit fettleibigen Elern? Rauchern? Eltern mit Beeinträchtigung? Erbkrankheiten? Sollen die alle keine Kinder bekommen, weil es für die Kinder nachteilig ist? Dann dürften auch keine Paare mit einer nicht-deutschen Muttersprache oder Alleinerziehende Kinder bekommen- ist ja nachteilig für das Kind.. man kann die Folgen nicht abschätzen, deshalb ist es ethisch nicht vertretbar, den so entstandenen Kindern gegenüber?

  • Hmm, das mit den gemuetlichen aelteren Eltern wird aber auch weiterhin nicht fuer alle moeglich sein. Sondern nur fuer Menschen dann reich genug sind nicht mehr stressig Leben zu muessen, Hartz IV-Empfaenger sind praktisch ausgeschlossen. Und da Kinder ausziehen harte Arbeit ist geht es auch nur wenn man gesund genug , also nicht nach 20 Jahren physischer Schwerarbeit

  • 2 Punkte die mir negativ auffallen.

    Was ist so schlecht an der biologischen Uhr? Die Natur hat sich doch was dabei gedacht, sicherlich, wir wohnen nicht mehr in Höhlen und müssen unser Wasser nicht mehr vom Fluss holen, aber Kindererziehung ist einfach auch heute noch anstrengend. Bei kleinen Kindern Nachts oft raus, körperliche Beanspruchung durch die Geburt. Bei größeren Kindern hört der Spaß ja dann auch nicht auf. Fußball spielen, rennen, Nachts aus der Disko abholen und so unendlich vieles mehr.

    Meine Mutter sagt mir jedesmal wenn sie mal wieder ein Wochende mit unserem Sohn unterwegs war, wie schön ist es doch Großmutter zu sein und wie froh sie ist nicht mehr Mama sein zu müssen.

     

    Zum zweiten, sicherlich gibt es homosexuelle Paare die gerne ein Kind möchten, aber ist nicht die Gruppe der ungewollt kinderlosen Heteropaare wesentlich Größer?

    Etwa 2 Millionen Paare alleine in Deutschland sind wohl betroffen, wobei die Ursachen etwa je zur Hälfte bei den Männern bzw Frauen liegen. Warum wird darauf nicht mit einem Wort eingegangen? Denn im Alltag der Reproduktionsmediziner ist das die Zielgruppe.

  • Ich weiß nicht so recht, ob es wirklich so ratsam ist, so spät noch Kinder zu bekommen, nur weil es technisch möglich ist. Schließlich wird sich eine 70-jährige Mutter schwer gegenüber einem 15-jährigen pubertierenden Kind durchsetzen können. Bei Adoptionen wird ja auch nicht ohne Grund auf das Alter geachtet.

     

    Und was die übertriebenen Erwartungen an junge Frauen angeht, von Männern wird auch erwartet, das sie zuerst eine Top-Manager-Karriere hinlegen, nebenbei die Partnerin fürs Leben finden, gleichzeitig sportlich aktiv sind und sich gesund ernähren. Der Frau soll ein Mann während der Schwangerschaft 24/7 beiseitestehen und unterstützen, sobald die Kinder da sind, ist der perfekte Hausmann und Vater gefragt, der natürlich weiter im Job Gas gibt und das soziale Engagement nicht dabei vernachlässigt, weiter soll er viel Sport machen, um ihren Kindern ein gutes Vorbild zu sein. Ohne langfristig in ein Burn-Out zu laufen, geht das eben nicht.

     

    Das ist aus meiner Sicht ein gesellschaftliches Problem: Es wird erwartet, dass der einzelne Mensch als Arbeitskraft vollständig der Volkswirtschaft zur Verfügung steht, und das Kind während der Arbeit in die Kita abschiebt und am Abend dann noch für Kraft & Zeit hat, ein gutes Elternteil zu sein. Kinder machen sicher viel Freude, kosten aber auch nunmal Zeit und Nerven und man wird immer dafür wo anders Abstriche machen müssen. Leider werden die "Familienmenschen" in unserer Leistungsgesellschaft überhaupt nicht wertgeschätzt, und die Politiker wundern sich, wo der demographische Wandel herkommt.

  • Ist es nur Zufall, dass unter den "schwerwiegende[n] ethische[n] Fragen", die Silke Mertins anspricht, die nach den künftigen Kinder nicht vorkommen?

     

    Innovationen sind nicht aufzuhalten und was technisch machbar ist, wird auch gemacht. Die Frage ist allerdings, ob neue Regeln (weitgehend) eingehalten werden oder nicht. Freiwillig, wohlgemerkt, denn eine Komplett-Kontrolle ist weder zu wünschen noch ist sie möglich. Dazu ist unsere Welt zu groß, unsere Ressourcen sind zu begrenzt und die Macht Einzelner ist schon zu stark.

     

    So seltsam es vielleicht klingt: Für die Moral ist es zur Zeit besser, wenn sie nicht in die Machtkämpfe hineingezogen wird. Wir sollten das, was von ihr übrig ist, nur ein einziges Mal thematisieren, und zwar ganz am Anfang der Debatte, finde ich. Hier kommen die "berechtigte[n] Bedenken" ins Spiel.

     

    Eines, scheint mir, ist noch immer Konsens: Neugeborene stehen unter Schutz. Sie gelten als "unschuldig". Wer ihre Chancen beschneidet, wird als Unmensch angesehen. Es sollte uns also egal sein können, welche Motive ihre Eltern haben. Kein Mensch kann sicher wissen, woher ein anderer seine Motivation bezieht. Welche Folgen seine Handlungen haben, lässt sich allerdings sehr wohl feststellen. Wir sollten wir uns deswegen lieber fragen, was die zusätzlichen Optionen für jene Kinder bedeuten, die künftig nicht mehr auf natürliche Art geboren werden – und zwar im Verhältnis zu denen, die noch "normal" zur Welt kommen.

     

    Einer "erwachsenen" Gesellschaft sollte nicht spekulieren. In einer freien Welt gibt es sonst keine tragfähigen Konzepte. Die notwendig werdenden Einschränkungen persönlicher Freiheiten dürfen nicht autoritativ begründet werden ("Meine Moral schreibt dir das vor"). Sie müssen breit getragen werden ("Unsere Moral gebietet es"). Alles andere würde bedeuten, dass die Wissenschaft der Moral mal wieder meilenweit enteilt.

     

    Übrigens: Auch Hautzellen altern. Die Uhr tickt also noch.