Kommentar Selbstjustiz in der Türkei: Straffrei gegen Putschisten
Rüstet sich das Regime in der Türkei für einen Bürgerkrieg? Ein Dekret Erdoğans sorgt vor allem unter Oppositionellen für erheblichen Aufruhr.
I n der türkischen Opposition geht seit einigen Tagen die Angst um, dass sich das Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan für einen Bürgerkrieg rüstet. Anlass dazu ist ein Präsidialdekret vom 24. Dezember, dass solche Zivilisten straffrei stellt, die aktiv, auch gewaltsam, gegen angebliche Terroristen vorgehen.
Die Regierung behauptet seit Tagen, das sei eine böswillige Missinterpretation des Dekrets. Tatsächlich gehe es nur darum, diejenigen „Helden des Widerstands“, die sich während des Putschversuches am 15. Juli 2016 gegen die Putschisten stellten, vor Strafverfolgung zu schützen. Gleichzeitig gibt der stellvertretende Ministerpräsident und frühere Justizminister Bekir Bozdag aber auch zu, es würde sowie niemand auf die Idee kommen, diese Menschen vor Gericht zu stellen.
Etliche Juristen, darunter der Vorsitzende der türkischen Anwaltskammer Metin Feyzioglu, weisen darauf hin, dass die Erklärungen von Regierungsmitgliedern nicht rechtsverbindlich sind, das Dekret aber schon. Und nach dem Wortlaut des Dekrets gilt die Strafbefreiung für vermeintliche Terroristenjäger auch in Zukunft. Und „Terrorist“ ist man in der heutigen Türkei sehr schnell. Man braucht nur zu einer unangemeldeten Demonstration zu gehen, kritisch über den Präsidenten zu schreiben oder auch nur ein Konto bei der falschen Bank zu haben.
Erst die kommenden Monate werden zeigen, wie das Dekret in der Praxis angewendet wird. Was man aber jetzt bereits sagen kann: schon die Möglichkeit regierungsgenehme Selbstjustiz straffrei zu stellen, verbreitet eine enorme Angst bei Gegnern des Regimes. Zu der Angst um die Freiheit kommt die Angst ums nackte Leben. Wer will da noch protestieren? Opposition gegen Erdoğan kann zu einer lebensgefährlichen Angelegenheit werden.
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