Kommentar Schweizer Rechtspopulismus: Schlichter die Kuhglocken nie klangen
Die direkte Demokratie hat den Reichtum der Schweiz befördert, aber auch die SVP. Wer die nicht will, muss den Volksgedanken attackieren.
D ie Schweizer Exportwirtschaft schwächelt, doch den gemeinen Schweizer KonsumentInnen geht es blendend. Wie blendend, das spürt man als SchweizerIn sofort, wenn man zum Einkaufen oder für die Ferien ins benachbarte europäische Ausland reist. In Berlin oder Konstanz kostet die Pizza halb so viel und schmeckt mindestens so gut wie in Rorschach oder Zürich. Butter, Bier, Elektrogeräte – der große Kaufkraftunterschied lässt die Schweizer Brust schwellen, weckt aber auch Ängste vor den ärmeren Nachbarn.
Denn der Wohlstand, das ahnt man, resultiert nicht allein aus der besonderen Tüchtigkeit, sondern aus der Schweizer Insellage. Inmitten von Europa zogen Kriege, Revolutionen und Verheerungen des letzten Jahrhunderts am stabil neutral gebliebenen Handelsplatz vorbei.
Nach 1945 ließ das boomende Land dann ausländische Fachkräfte herein. Und weiterhin Vermögende, die sich wie die alteingesessenen Millionäre vorzugsweise in den Kantonen und Gemeinden niederlassen, die die geringsten Steuern erheben und auf die der Bund kaum zugreifen kann.
Zum Reichtum der Schweiz hat sicherlich auch ihr demokratisches System beigetragen. Diese äußerst gewissenhaft praktizierte direkte Demokratie, die im positiven Sinne Konsens und sozialen Frieden stärkt. Aber eben auch den politischen Aufstieg der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP) begünstigte, der mit jetzt fast 30 Prozent der Stimmen stärksten Partei. Es waren nicht zuletzt die Millionen, die der Milliardär und Unternehmer Christoph Blocher in die Kampagnen der SVP gegen Minarette, Asyl, „Masseneinwanderung“ oder einen EU-Beitritt steckte und die die demokratische Konkurrenz zermürbten.
Alpenländischer Wohlstandschauvinismus
Wer die SVP und den Rechtspopulismus in der Schweiz bekämpfen will, muss den dort herrschenden Volksgedanken rückhaltlos attackieren. Er basiert auf einem alpenländischen Wohlstandschauvinismus und kann auch aufgehübscht um Alpenfolklore und Rütligemurmel keines der aktuellen Probleme lösen. Keines in Syrien und der Ukraine und keines der globalisierten Wirtschaft im Inland.
Doch schlichter die Kuhglocken nie klangen, wie etwa in Roger Köppels Weltwoche. Der SVP-Medienunternehmer und -Politiker machte aus der einstigen liberalen Wochenzeitung der Schweiz ein Vorzeigeblatt der Neuen Rechten in Europa.
Das wäre in etwa so, wie wenn Bernd Lucke die Zeitübernähme und ein Teil des professionellen deutschen Journalismus zu AfD und Pegida überliefe. Im Sinne des Pluralismus: Nein, diese Schweiz gehört nicht zu Europa.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren