Kommentar Schäfer-Gümbels Jobwechsel: Eigenverantwortung, war da was?
Willy Brandt würde sich schämen: Mit Thorsten Schäfer-Gümbel bekommt ein weiterer Spitzengenosse einen lukrativen Posten zugeschanzt.
![Thorsten Schäfer-Gümbel vor einem Porträt von Willy Brandt Thorsten Schäfer-Gümbel vor einem Porträt von Willy Brandt](https://taz.de/picture/3333859/14/tsg_dpa_20032019.jpeg)
M echthild Rawert aus Berlin, Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg, war eine unbekannte Bundestagsabgeordnete der SPD. Ende 2017 schied sie aus dem Bundestag aus, seit einem halben Jahr sucht sie über ihre Website „nach einer neuen beruflichen Gestaltung“.
Mechthild Rawert war in der Parteihierarchie nicht wichtig genug, um in hoher Position zu Gazprom, einer Krankenkasse oder zur staatlichen Entwicklungshilfeorganisation GIZ zu wechseln. Ihr Genosse Thorsten Schäfer-Gümbel war wichtig genug. Im Herbst wechselt er als Arbeitsdirektor, also Personalchef, im Vorstandsrang zur GIZ, nachdem er einsah, dass es in der Politik nach drei Wahlniederlagen keine Zukunft mehr für ihn gibt.
Natürlich hat der SPD-Fraktionsvorsitzende und Parteivorsitzende in Hessen keinerlei Erfahrung in Sachen Personalmanagement. Das erledigen in Parteien und Fraktionen die Geschäftsführer. Er bekommt den offenbar mit rund 200.000 Euro dotierten Job, weil die SPD bei den Koalitionsverhandlungen vor einem Jahr den Posten zugeschanzt bekam, wie die taz im Herbst berichtete.
Angesichts der boomenden Wirtschaft wäre es für Schäfer-Gümbel ein leichtes, auf dem freien Arbeitsmarkt den Job zu finden, der ihm gefällt. Aber die Eigenverantwortung, die der ehemalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder in seiner Agenda-2010-Rede im Jahr 2003 im Bundestag anmahnte, gilt nicht für die eigenen Parteioberen.
Furnierholzküchentisch und Resopalfrühstücksbrettchen
Sozialdemokraten in Spitzenpositionen sind anfälliger für Patronage und Parteienfilz als Politiker bürgerlicher Parteien. Meist Sozialaufsteiger, haben sie ihren Status, den ihnen ihre Herkunft nicht bieten konnte, ihrer Parteikarriere zu verdanken. SPD-Politiker – so auch Schäfer-Gümbel, der Sohn einer Putzfrau und eines Lkw-Fahrers ist – betonen zwar gern ihre Herkunft aus sogenannten kleinen Verhältnissen, aber das ist reine PR.
In Wahrheit sind sie froh, ihr elterliches Reihenhaus mit Furnierholzküchentisch und Resopalfrühstücksbrettchen hinter sich gelassen zu haben und einem Milieu entflohen zu sein, in dem sich die Anstrengungen und Begrenzungen körperlicher Lohnarbeit überall einnisten, auch bei den Nachkommen. Der Autor dieser Zeilen – ein autobiographischer Verweis sei an dieser Stelle erlaubt – kennt dieses Milieu. Und je weiter sich die SPD-Aufsteiger von der Herkunft entfernt haben, umso größer ist der innere Triumph darüber, dass sie es geschafft haben.
Jeder, der in der SPD etwas werden will, muss fehlerfrei aufsagen, dass Willy Brandt sein Vorbild sei. Brandt, Sohn einer alleinerziehenden Verkäuferin, wurde nach seiner Kanzlerschaft durch seine Buchveröffentlichungen ein wohlhabender Mann, aber er wäre nie auf die Idee gekommen, seine politische Karriere umzumünzen in einen lukrativen Job. Vereinnahmungen von Toten lassen sich gesetzlich leider nicht verbieten.
Die SPD, diese Partei der Beamten und Hinterzimmerbürokraten, glaubt bis heute, dass sie wegen ihrer hundertseitigen Wahlprogramme gewählt wird. Ein grandioses Missverständnis: Gewählt wurde und wird sie wegen der Haltung, die ihr Personal im besten Fall verkörpert – auch nach dem Abschied aus der Politik. Politiker mit dieser Haltung sind in der Partei inzwischen so selten wie SPD-Wahlerfolge.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben