Kommentar SPD in der Groko: Weck den Dobrindt in dir!

Will die SPD überleben, muss sie von der CSU lernen. Sie muss ihre soziale Agenda so großmäulig vertreten wie Dobrindt und Co. ihre flüchtlingsfeindliche.

Andrea Nahles, Volker Kauder und Alexander Dobrindt stehen nebeneinander

Wer bestimmt? Nahles, Kauder und Dobrindt bei der Koalitionsklausur auf der Zugspitze Foto: dpa

Es klingt absurd, ist aber wahr. Will die SPD überleben, muss sie von der CSU lernen. Die bayerische Regionalpartei führt seit Wochen vor, wie man aggressives Agenda-Setting betreibt. Seehofer sagt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Söder hängt Kreuze in Behörden auf. Und Dobrindt dominierte zuletzt mit seinem Wettern gegen eine angebliche „Anti-Abschiebungsindustrie“ in Deutschland den Diskurs.

Was solche populistischen Vorstöße bewirken, wurde zu Recht oft und scharf kritisiert: Die CSU schürt billige Ressentiments gegen Geflüchtete, sie feuert Ängste an, weil sie glaubt, mit einer Wir-gegen-die-Stimmung ihre absolute Mehrheit verteidigen zu können. Dobrindts Geschwafel diskreditiert Kirchen, Ehrenamtliche und Flüchtlingsinitiativen, die Geflüchtete bei Klagen begleiten – und spricht jenen indirekt die Nutzung legitimer Rechtsmittel ab.

Aber lässt man die Inhalte mal beiseite und bewertet die CSU-Strategie nach Kriterien des Marketings, bleibt eine nüchterne Erkenntnis: Die CSU agiert hochprofessionell, ja: genial. Sie zwingt uns, sich mit ihr zu beschäftigen.

Das ist eine enorme Leistung. In der Aufmerksamkeitsökonomie konkurriert auch und gerade die Politik um das knappe Gut Aufmerksamkeit. Mit immer neuen Zuspitzungen bestimmt die CSU die Schlagzeilen über diese Koalition. Sie besetzt offensiv den Diskursraum, von dem sie vermutet, dass er WählerInnen besonders wichtig ist.

Eine sich selbst verstärkende Spirale

Hinter dieser Strategie steckt harte, kühl kalkulierende Arbeit. Ein knapper, aber Assoziationen frei setzender Begriff wie „Anti-Abschiebungsindustrie“ muss einem erst einmal einfallen. Dobrindt platzierte ihn in der Bild am Sonntag kurz vor dem Start einer Klausurtagung der Koalitionsfraktionen.

Timing und Inszenierung sind perfekt. Die Reflexe der politischen Konkurrenz fielen entsprechend aus, all die wütenden Entgegnungen bescherten der CSU noch mehr Aufmerksamkeit. Es ist eine sich selbst verstärkende Spirale.

Ob ein Vorstoß sinnvoll ist oder nicht, ist in diesem Konzept zu vernachlässigen. Vielmehr haben die CSU-Debatten oft gemeinsam, dass ihnen der konkrete politische Kern fehlt. Was folgt daraus, wenn der Islam nicht zu Deutschland gehört? Will Seehofer Moscheen verbieten, Muslime aus dem öffentlichen Dienst verbannen oder Artikel 4 des Grundgesetzes umschreiben (das ist der mit der Religionsfreiheit)?

I wo. Seehofer geht es nicht um reale Änderungen, ihm geht es um Gefühle. Die CSU streichelt die deutsche Volksseele, oder zumindest das, was sie sich darunter vorstellt.

Die SPD als fleißige Sachbearbeiterin

Und die SPD? Die Sozialdemokraten regieren bisher geräuschlos mit, wie eigentlich immer. „Wir sind der Motor der Koalition“, sagt Andrea Nahles stolz. Doch der, um im Bild zu bleiben, schnurrt sanft und leise wie ein Kätzchen. Beim Streit um die Liberalisierung von Paragraph 219a, dem Werbeverbot für Abtreibungen, steckten die Sozialdemokraten zurück, weil sich die Unionsfraktion aufbäumte. Und Finanzminister Olaf Scholz präsentierte eine brave Finanzplanung, die keinen Millimeter vom Kurs Wolfgang Schäubles abweicht.

Die Rolle der fleißigen Sachbearbeiterin ist der SPD bestens vertraut. Schließlich hat sie schon zweimal brav an der Seite Merkels regiert. Das Ergebnis waren 20,5 Prozent, ein historischer Tiefstand. Wann lernt die SPD endlich daraus? Wenn sie überleben will, muss sie tun, was ihre Spitzenleute seit Monaten mantrahaft verkünden. Sie muss neben der Union ein kantiges Profil entwickeln – und als linke Volkspartei erkennbar werden.

Dazu gehört, auch mal kräftig auf den Gong zu hauen. Gesehen und gehört wird in der Mediengesellschaft, wer zuspitzt – und ins Risiko geht. Während die CSU auf einen ressentimentgeladenen Populismus setzt – und damit wenig Erfolg gegen die AfD hat –, müsste die SPD solidarische, inklusive Botschaften knackig platzieren. Warum hat die SPD den Streit beim Paragraph 219a nicht eskaliert? Nahles hätte sagen können: Wir stehen an der Seite der Frauen. Punkt. Dann hätte Merkel den Streit in der Unionsfraktion gehabt.

Oder Scholz und das Finanzministerium, auf das die SPD so stolz ist. Was hindert den SPD-Mann daran, vor der Haushaltspräsentation markig darauf hinzuweisen, dass Deutschland mit einer fairen Erbschaftsteuer seine Bildungsinvestitionen vervielfachen könnte? Dass die SPD im übrigen die große Ungleichheit für hochproblematisch hält? Man weiß es nicht.

Wenn sich die SPD weiter an Spiegelstriche des Koalitionsvertrages klammert, macht sie den kleinsten gemeinsamen Nenner mit der Union zu ihrer Richtschnur.

Warum pusht SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil nicht engagierter den Mindestlohn von 12 Euro, den Scholz und er im November forderten – im toten Raum zwischen Bundestagswahl und Sondierungen, als es um nichts ging? Soll doch die Union dagegen halten, dass der Mindestlohn zum Wohle der Unternehmen leider so niedrig bleiben muss, dass Arbeitnehmer später in der Altersarmut landen.

Wenn sich die SPD weiter an Spiegelstriche des Koalitionsvertrages klammert, macht sie den kleinsten gemeinsamen Nenner mit der Union zu ihrer Richtschnur. Das wäre selbstzerstörerisch.

Politik funktioniert ja oft so: Was gesagt wird, hat große Chancen, irgendwann Wirklichkeit zu werden. Würde die SPD eine soziale Agenda so großmäulig vertreten wie die CSU ihre flüchtlingsfeindliche, wäre viel gewonnen. Für die Partei – und das ganze Land.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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