Kommentar SPD-Kanzlerkandidat: Hochdienen reicht nicht mehr
Die Kandidaturkür ist der SPD eine lästige Pflicht. Doch wer Wähler begeistern will, muss seine Sahnetörtchen ins Schaufenster stellen.
E in Hauch von Mutlosigkeit umweht die Kanzlerkandidatensuche der SPD. Sigmar Gabriel, Olaf Scholz und Martin Schulz sind die Hauptfiguren in einem traurigen Schauspiel. Der Parteivorsitzende müsste wollen, zweifelt aber, ob er soll. Der Nächste will wohl nicht, weil er auf eine große Zukunft nach 2017 hofft. Der Dritte würde wahrscheinlich, wartet aber auf die Entscheidung des Ersten.
Andere Spitzen-SPDler kommentieren fleißig am Spielfeldrand. Hannelore Kraft, die mächtige NRW-Regierungschefin, will schon wissen, wer es wird, woraufhin Außenminister Frank-Walter Steinmeier lästert: „Ich weiß nicht, ob die, die sagen, dass sie es wissen, es wissen.“ Hört noch jemand zu? Vielleicht sollte die SPD-Spitze einfach sofort in den Weihnachtsurlaub fahren und die Handys ausstellen.
Man kann sich über all das lustig machen, doch hinter dem verzweifelten Bemühen der SPD, den richtigen Gegenkandidaten zu Merkel zu finden, steckt ein ernstes Dilemma. Dass die SPD über keine Persönlichkeit verfügt, von der sie glaubt, dass sie der immer noch beliebten CDU-Kanzlerin gefährlich werden könnte, ist ein echter Defekt einer Immer-noch-Volkspartei.
Das SPD-Spitzenpersonal im Bund wirkt, als sei es schon ewig da. Es gilt ein Prinzip, das in Zeiten, in denen sich immer mehr Menschen von der Politik abwenden, an seine Grenzen stößt: Den besten Job bekommt, wer sich jahrelang hochgedient hat. Ein Beispiel hat die SPD kürzlich wieder geliefert. Steinmeier wird sicher einen klugen, besonnenen Bundespräsidenten abgeben, aber Esprit verströmt er nun wirklich nicht.
Warum hat die SPD nicht mehr Mut zum Risiko? Auch bei der Kanzlerkandidatur spricht einiges dafür, dass Gabriel den Job macht, oder auch: machen muss. Es wäre wieder eine Lösung, die der Parteilogik gehorcht. Der Chef muss ran, wenn er Chef bleiben will und andere sich wegducken. Dabei hätten andere vielleicht bessere Chancen gegen Merkel. Kraft, die Alleswisserin, pflegt in Nordrhein-Westfalen erfolgreich ihr Kümmererimage. Sie wäre ein ganz anderes habituelles Angebot als Gabriel. Doch Kraft will nicht, sie schwor schon vor Langem, sie werde nie nach Berlin gehen.
Um Fairness geht es nicht
So ist das bei der SPD. Ein Grund findet sich immer, warum etwas nicht geht. Die Kanzlerkandidatur liegt in der Auslage wie altbackenes Brot, sie wird zur lästigen Pflicht, die ein Unglücklicher eben auf sich nehmen muss. In der Politik gilt aber das Gleiche wie in der Konditorei: Wer Kunden begeistern will, braucht ein paar Sahnestücke hinter Glas.
Wer eine linke Alternative für Deutschland will, muss auf ein rot-rot-grünes Bündnis setzen. Aber können sich SPD, Linke und Grüne im Bund überhaupt auf ein Projekt einigen? Das große Streitgespräch mit Katarina Barley, Sahra Wagenknecht und Cem Özdemir lesen Sie in der taz.am wochenende vom 3./4. Dezember 2016. Außerdem: eine Sachkunde zu Donald Trumps Traum von einer Mauer zwischen den USA und Mexiko. Und: Wie Daten Politik machen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Zugegeben: Gabriel unmöglich zu finden ist eine Art Volkssport in linksliberalen Milieus. Der Mann sei zu sprunghaft, zu prollig irgendwie auch, ein Macho sowieso – mit solchen Thesen lässt sich bei jedem Partytalk ein billiger Punkt machen. Die Qualitäten Gabriels, seine Redetalent, seine analytische Schnelligkeit, seine Aufsteigerbiografie und sein Bemühen um ein modernes Familienleben neben der Politik, sind in der Öffentlichkeit unterbelichtet.
Fair ist das nicht, aber um Fairness geht es nicht. Die richtige Person zur richtigen Zeit anbieten zu können ist zum spielentscheidenden Faktor in der Politik geworden. Menschen gewinnen Wahlen, Inhalte zählen weniger. Dem Grünen Kretschmann vertrauen die Menschen, deshalb wählten sie ihn in Baden-Württemberg erneut zum Ministerpräsidenten. Auch die SPD gewinnt in manchen Ländern mit gelungener Personalbesetzung: Olaf Scholz in Hamburg, Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz, Michael Müller in Berlin.
Die entscheidende Frage, die den SPDlern im Moment Angst macht, lautet deshalb: Wem vertrauen die Menschen 2017 eher, in einer Welt, die zunehmend aus den Fugen gerät? Merkel, die für Stabilität steht – oder Gabriel, dem der Ruf des Unsteten anhaftet? Wahrscheinlich zögert Gabriel auch deshalb so lange, weil er selbst weiß, wie die Antwort lautet.
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