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Kommentar Rot-Rot-Grün in ThüringenDas Ende der linken Selbstfesselung

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Rot-Rot-Grün in Thüringen wäre kein wildes Experiment. Die SPD-Entscheidung ist ein Sieg der Gegenwart über die lähmende Vergangenheit.

Thüringens SPD-Führung hat sich für Rot-Rot-Grün ausgesprochen: der designierte Landeschef Andreas Bausewein am Montag in Erfurt Bild: dpa

E s gibt, sollte Bodo Ramelow wirklich Ministerpräsident in Thüringen werden, zwei mögliche Deutungen – eine kleine, detaillierte und eine großformatige. Die Kleinteilige geht so:

Faktisch sind die Unterschiede zwischen CDU, SPD und Linkspartei in Thüringen denkbar gering geworden. Ob bei der Energiewende oder dem Kampf gegen Nazis, in der Schulpolitik oder bei den Finanzen – fundamentale Differenzen sind, anders als noch vor zehn Jahren, nicht mehr erkennbar. Die CDU ist unter Christine Lieberknecht liberaler, offener, auch wirrer geworden und jedenfalls nicht mehr der autokratische Verein, der sie unter Bernhard Vogel und Dieter Althaus war.

Auf der anderen Seite ist die Linkspartei bis in ihre Mikrofasern hinein sozialdemokratisch eingefärbt. Hinzu kommt die Schuldenbremse, die die Spielräume für ganz Neues in der Landespolitik ohnehin radikal einschränkt. Aber nicht die Schuldenbremse hat Ramelow und die Linkspartei zu Realos geformt. Es war nicht äußerer Zwang, sondern innere Überzeugung.

Rot-Rot-Grün wird also kein wildes Experiment. Ramelow ist kein verkleideter Sozialromantiker, sondern ein pragmatischer Profi, für den nicht das Grundsatzprogramm der Linkspartei zählt, sondern die Prinzipien von good governance. Gewiss werden nun ein paar schreckliche Prophezeihungen ausgestoßen und der Marsch der Linkspartei an die Macht in dunklen Farben gemalt. Hat Wolf Biermann eigentlich schon seine warnende Stimme erhoben?

Doch schon ein paar Wochen nach der Wahl von Ramelow zum Ministerpräsidenten werden auch die Aufgeregten merken, dass die Busse in Erfurt noch immer fahren. Und in Berlin wird das Interesse für Thüringen wieder auf den Stand vor Rot-Rot-Grün sinken: nämlich auf null.

Vom GroKo-Zwang befreit

Die zweite Deutung klingt so: Rot-Rot-Grün, bisher in Hessen und im Saarland stets tragisch gescheitert, kann eine Tiefenwirkung entfalten, die die bundesrepublikanische Koalitionsdramaturgie verändern wird. Denn die SPD hat in Erfurt eine historische Entscheidung getroffen. Sie gibt die törichte Doktrin auf, stets die führende linke Volkspartei zu sein.

Damit öffnet sie endlich die Tür für ein langfristiges Mitte-links-Bündnis und befreit sich von dem Zwang zur Großen Koalition. Die Entscheidung der SPD in Erfurt ist, 25 Jahre nach dem Mauerfall, somit der Sieg der Gegenwart über die lähmende Geschichte, der Beginn des Endes der Selbstfesselung der politischen Linken in Deutschland.

Falls Rot-Rot-Grün in Erfurt sogar mit nur einer Stimme Mehrheit stabil regieren kann, wird dies viele der noch immer tiefsitzenden Vorurteile gegenüber der Linkspartei zerstäuben. Damit öffnen sich automatisch neue Spielräume, die jetzt noch verbarrikadiert scheinen.

Begrenzte Strahlkraft

Was ist wahr? Der nüchterne Blick aus der Provinz oder der hoffnungsschwangere aus Berlin? Wahrscheinlich der erste. Wir leben in einer Ära des Postpolitischen, in dem das meiste pragmatisch heruntergedimmt ist. Wer sich kurz vor Augen führt, was die Linkspartei in Berlin und Brandenburg in rot-roten Koalitionen bewirkt hat, weiß, wie begrenzt die bundespolitische Strahlkraft solcher Regierungsbeteiligungen ist.

Die SPD hat sich in Erfurt auch weniger für Ramelow entschieden als gegen die Rolle, sich zum dritten Mal als Mehrheitsbeschaffer der CDU zu verdingen. Sehenden Auges ins politische Nichts zu marschieren, wäre ein Indiz für masochistische Lernunfähigkeit gewesen.

Es gibt für Rot-Rot-Grün also vernünftige, pragmatische Gründe. Diese Koalition ist ein Versuch wert. Nicht so sehr, weil Thüringen nun von einem Feuerwerk von Ideen erleuchtet werden wird und ein mitreißender Aufbruch ins Neue bevorsteht. Sondern weil die CDU nach 25 Jahren an der Regierung schlicht verbraucht ist. Vor allem Dieter Althaus' Plan, das Land als Niedriglohngebiet zu verramschen, war fatal. Die CDU trägt die politische Verantwortung für das Agieren des Verfassungsschutzes in dem NSU-Skandal und damit für eine Verstrickung von staatlichen Organen und Terrorismus, die aus der Fantasie von Anhängern von Verschwörungsthesen stammen könnte.

Dass Rot-Rot-Grün nun die V-Leute im Naziumfeld abschalten will, ist richtig und überfällig. Vor dem Abgrund des NSU-Skandals erscheinen die mannigfachen Affären und Personalquerelen der Regierung Lieberknecht fast als Marginalien. Sie sind noch ein weiteres Signal, dass 25 Jahre genug sind. Für die Demokratie ist es schlicht schädlich, wenn eine ausgelaugte, machtsatte Partei ein Abonnement auf die Regierung hat – nur weil die Opposition sich selbst hemmt.

Und wenn Rot-Rot-Grün scheitert?

Die Grünen werden in drei Tagen Ja zu Rot-Rot-Grün sagen. Es gibt wenig Zweifel, dass auch die SPD-Basis Rot-Rot-Grün durchwinken wird. Das Entscheidende passiert, wenn im Landtag in Erfurt die Wahl von Bodo Ramelow ansteht. Für das demokratische Prozedere wäre es gut zu wissen, was geschieht, wenn die rot-rot-grüne Regierungsbildung scheitert. Halten es sich die Grünen und die SPD in diesem Fall offen, den Staatsnotstand auszurufen und doch Mehrheitsbeschaffer für eine von der CDU geführte Regierung zu werden?

Diese Frage ist keine Nebensächlichkeit. Falls dies möglich ist, dürfte es für zögernde Abgeordnete weit verlockender sein, Ramelow nicht zu wählen. Sie riskieren dann ja ihr Mandat nicht. Und falls sie den Grünen und der SPD angehören, katapultieren sie ihre Fraktionen auch nicht auf die Oppositionsbänke.

Dieses Verfahren ist formal legitim – aber es ist nicht fair. Die Entscheidung für Rot-Rot-Grün ist in einem transparenten Prozess gefallen. Sie würde dann in einer geheimem Abstimmung gekippt, mit dem Kalkül, so einer anderen Koalition an die Macht zu verhelfen. SPD, CDU und Grüne aber haben noch nicht mal miteinander sondiert – die Grünen wollten nicht.

Vor allem auf die Grünen würde im Falle einer CDU-SPD-Grünen-Koalition der Verdacht fallen, von Beginn an ein doppelbödiges Spiel getrieben zu haben: nämlich stets entschlossen die Abwahl der CDU gefordert zu haben, und im Hinterkopf den Plan B gehabt zu haben. Deshalb ist es redlich, die Alternative klar zu benennen: Falls Rot-Rot-Grün misslingt, gibt es Neuwahlen.

Mal sehen, ob sich die Grünen dazu durchringen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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11 Kommentare

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  • Die Instabilität dürfte mit der Zahl der Bündnispartner steigen.

     

    Ehrlich gesagt stört mich hier das ein paar SPD Mitglieder über die Zukünftige Regierung entscheiden sollen. Auch wenn ich Grundsätzlich für Mitgliederentscheide bin, so wäre mir eine Direktwahl der Regierung lieber.

  • Sehr geehrter Herr Reinecke, was soll der Verweis auf W. Biermann? Sollen sich SED-Opfer nicht so anstellen? Seltsam für eine Zeitung, die Opfern doch eine Stimme zu geben vorgibt. Passt SED-Kritik und damit Identitätfragen der Linken Ihnen nicht ins Konzept? -> war die DDR ein Unrechtsstaat? Ja, was sonst. Die Frage und die Antwort noch weniger wollen Sie anscheinend nicht hören.

  • Eigentlich sollte man sich ja freuen, wenn mal eine andere Konstellation zum beklemmenden marktkonformen Demokratie-System käme. Dies ist aber zu bezweifeln, denn wenn die Regierungszeit von Rot-Grün im Bund und Rot-Rot in Berlin oder Brandenburg einer kritischen Analyse unterzogen wird, ist diese Konstellation leider keine Verheissung, sondern eine verhängnisvolle Bedrohung: von Steuererleichterungen für Reiche, Deregulierung der kriminellen Finanzindustrie, Zerstörung des Sozialstaates und Entwertung der Würde eines Arbeitnehmers durch die Agenda 2010 bis zum ersten völkerrechtswidrigen Kriegseinsatz der Bundeswehr verdanken wir alle diese "Errungenschaften" im Bund Rot-Grün und die nie zuvor dagewesene Privatisierung öffentlicher Einrichtungen der Daseinsvorsorge, wie Gemeinnützige Wohnungsgesellschaften, Strom und Gas usw. in Betlin absurderweise gerade einer Rot-Roten Landesregierung. Wenn diese Ergebnisse Rot-Rot-Grüner Politik die Blaupause für das Neue Bündnis in Thüringen sein sollten, so kann man sich jetzt schon sicher sein, dass sich alle, die eine Alternative zur katastrophalen neoliberalen Politik wünschen, sich in kürzester Zeit mit grösstem Schauder und Schrecken von diesem erneuten Versuchsballon abwenden werden. Man ist ratlos darüber, wie mit den vorhandenen politischen Gruppierungen in dieser Postdemokratie überhaupt noch eine alternative Politik betrieben werden könnte.

  • Rot-rot-grün kann nur mit einem gewinnen: Wenn sie endlich ihr Image als überstaatsgeile Verbietebolde aufgeben, die das meiste abwürgen, was Thüringen an Möglichkeiten, Initiativen und auch (nicht gleich Beißreflex kriegen bei dem Wort) Investoren zu bieten hätte.

    • @ioannis:

      Was einem zu unrecht übergestülpt wird lässt sich nicht ablegen. Blockiert wird dieses Land vor allem von der CDU/CSU.

       

      Dies wird aber gerne von den so genannten "Links-grünen Mainstream- Medien" (auch so eine Begriffslüge) verschwiegen - erfolgreich wie es scheint.

  • "Es gibt für Rot-Rot-Grün also vernünftige, pragmatische Gründe."

     

    Das ist richtig. Aber die SPD hat auch eine grundsätzliche Richtungsentschiedung mit der Agenda-Politik getroffen, die wenig an einer solchen Konstellation in einem Bundesland ändern wird. Der SPD fehlt die ideologische Strahlkraft an der richtigen Stelle.

     

    Die Partei wirkt entkernt, ziellos, geschwächt und pseudo-sozial. Davon kommt sie durch eine einzige Koalition mit der Linkspartei nicht weg.

    Dazu müsste sie sich selber neu positionieren und besser diskutieren. Sie müsste ihre Sozial- und Arbeitsmarktausrichtung tabulos diskutieren. Das wird die Partei aber nicht tun, sondern sie schweigen sich zur Riester-Reform und den Hartz-Gesetzen aus.

     

    Für das Bundesland selbst mag diese Koalition aber einiges bringen, wenngelich Thüringen nicht gerade bedeutsam ist. Immerhin kommt mit Ramelow ein profilierter Linker und bringt etwas Bewegung in die Riege der Ministerpräsidenten - große Ausstrahlkraft hat es aber nicht.

     

    Das wäre eben in der Vergangenheit vielleicht so gewesen, weil die SPD damit viel radikaler und offener gewirkt hätte, aber genau diesen Eindruck wollte die Partei vor gut einem Jahr unbedingt vermeiden.

  • Die SPD macht sich zur neuen FDP. Als Mehrheitsbeschaffer zu allen Seiten, ohne eigenes Profil. Wer linke Politik wählen will, wird in die Zukunft die konsequenteren Linken wählen. Wer bürgerlich wählen will, wird die CDU wählen. Wir sehen hier den langsamen Abstieg einer einst großen Volkspartei.

    • @Langer Tünn:

      und was schlußfolgert aus ihrer Analyse?

      • @nutzer:

        Das Ende der FDP ist nicht das Resualt einer Mehrheitsbeschafferpartei zu allen Seiten, sondern miserabler Öffentlichkeitsarbeit und noch miserablerer Politik (siehe Mövenpick und so), das regelt dann der Markt. Schon ironisch, dass ausgerechnet die FDP nichts von Marketing versteht, die Grünen zeigen dagegen wie man neoliberale Politik schön designt verkaufen kann. Die SPD wiederum ist nicht profillos, sondern steht für Hartz4 und Agenda2010. Und daraus folgt: Wer im Stich läßt seinesgleichen, läßt ja nur sich selbst im Stich

  • Ob es nun GroKo V 10.7 oder Links-Linksaußen vs. Reality wird.

     

    Für Berlin ist es "nur Thüringen"

    • @DasNiveau:

      Naja das muss nicht sein. vielleicht folgt dann auch irgendwann Hessen oder Nordrhein-Westfalen und dann ist es nicht nur noch Thüringen. Ich denke auch, dass man von dieser Koalition keine Wunder erwarten darf, aber wie schon im Kommentar beschrieben ist auf Landesbasis die Spd mal von ihrem Linkspartei Dilemma weg gekommen.