piwik no script img

Kommentar RenteneintrittsalterOhne Ende

Jann-Luca Künßberg
Kommentar von Jann-Luca Künßberg

Die Zahl ist am Ende egal: Ein fixes Rentenalter stigmatisiert Alternde und macht Angst. Das ist das Problem.

Vielleicht muss man den Altersbegriff ganz neu denken Foto: dpa

I m aktuellen gesetzlichen Rentensystem werden jetzige Berufseinsteiger keine Rente beziehen. Punkt. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie in 43 oder in 47 Jahren das Beitrittsalter erreichen. Das ist keine große persönliche Erkenntnis, das ist Generationskonsens. Für Neulinge auf dem Arbeitsmarkt bleibt also Zeit, sich damit abzufinden. Oder aber es denken alle um.

Nicht nur die Politik, vor allem die Gesellschaft muss sich so schnell wie irgend möglich mit neuen Ideen befassen. Vielleicht muss man den Altersbegriff ganz neu denken, denn der geistert doch ziemlich überdefiniert in unser aller Köpfe. Anders ist nicht zu erklären, warum sich Unternehmen quasi kategorisch davor verschließen, Menschen auf der Zielgeraden des Arbeitslebens Weiterbildung zu ermöglichen. Denn: Alte Menschen sind stur, unflexibel, nicht lernfähig, nicht lernwillig – so das Stereotyp.

Und warum Geld in Arbeitskräfte stecken, die ohnehin bald das Rentenalter erreichen? Hier könnte zum Beispiel das von Martin Schulz und der SPD vorgeschlagene Chancenkonto entgegenwirken. Was spricht gegen Fachkräfte, deren Mangel immer beklagt wird, die alt sind? Wenn keine angsteinflößende Zahl das Ende der Beschäftigung Jahr für Jahr konkretisieren würde – wer weiß, was der eine oder die andere dank bleibender gesellschaftlicher Partizipationsmöglichkeiten noch zu leisten imstande wäre? Das berufliche Engagement älterer Menschen ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Zukunft unserer Gesellschaft. Aber das negative Altersbild schränkt den eigenen Horizont für „die Zeit danach“ ein, man gibt sich fast ohnmächtig dem Altern und Zurückblicken auf Erreichtes hin.

Dabei gibt es doch viele Berufe, die – den Handlungsmöglichkeiten im hohen Alter angepasst – lange und befriedigend ausgeübt werden können. Und jene, denen krankheitsbedingt oder einer körperlich schweren Tätigkeit wegen eine Weiterbeschäftigung nicht möglich ist, könnten dank mehr bleibender Beiträge finanziell aufgefangen werden.

Auch das Alter kann ein erfolgreicher, ein gestaltbarer Lebensabschnitt sein. Befreien wir uns als Gesamtgesellschaft von der zweischneidigen Selbstkasteiung eines fixen Renteneintrittsalters. Bleiben wir aktiv. Und dann brauchen wir vielleicht überhaupt keine Angst mehr zu haben vor dem Altwerden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jann-Luca Künßberg
Autor
Über fast alles schreibender taz lab-(Mit)macher und -Moderator
Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • Das ganze ist doch nur ein Verteilungsproblem. Wer - warum auch immer - nicht mehr arbeiten kann, braucht Geld von der Gesellschaft oder aus Angespartem.

     

    Das muss man durchkalkulieren. Es kommt dann ein Betrag raus, den die Gesellschaft aufbringen muss. Egal wie, am Besten gleichmäßig auf alle Leistungsfähigen verteilt.

     

    Die deutsche Gesellschaft krankt an Besitzstandsdenken. Niemand traut sich Besitzstände, z.B. Beamten- und Abgeordnetenversorgung, zu hinterfragen.

     

    Daran krankt das Rentensystem weil demographisch notwendige Anpassungen nur einseitig bei den GRV-Versicherten umgesetzt werden.

     

    Beamte und Abgeordnete haben eine zu starke Lobby bei den Entscheidungsgremien.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Und was ist mit dem Rentenaustrittsalter?

    Immer mehr genießen ihren Ruhestand dreißig Jahre und länger. Darf so etwas überhaupt möglich sein?

    Hier muss der Hebel ansetzen! ;-)

  • Mit der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) wird Politik gemacht ... - und das sagt schon alles.

     

    Die ganzen "Weltuntergangsszenarien" werden nur dann eintreten, wenn die Politik weiterhin mit der GRV ihr Spiel treibt, die Gelder dort also nutzt, um gesamtgesellschaftliche Aufgaben zu finanzieren.

     

    Nur ein Beispiel, es wäre interessant zu sehen, wie sich die Finanzen der GRV entwickelt hätten, wenn Politik nicht die "Riester-Reform" in Kraft gesetzt, sondern, in Höhe des Steuervorteil für die, die "riestern", den Bundeszuschuss erhöht hätten. Und wenn die deutsche Wiedervereinigung sowie die (nötige!) Rentenanpassungen auf das West-Niveau nicht aus der Rentenkasse, sondern über den Bundeshaushalt finanziert geworden wären bzw. finanziert würden.

  • Ja, gehts denn noch? - Was soll diese neoliberale Sch... in der taz?

    Uns sollte es darum gehen für eine sichere Form der Altersrente zu streien und nicht darum Berufsanfängern die Rente streitig zu machen. Dass das schwierig wird, mag ja sein, aber die Flinte von vornherein ins Korn zu werfen und quasi gleich zum Rückzug zu blasen ist doch hirnrissig und unsozial.

    Und der Ausklang: "Auch das Alter kann ein erfolgreicher, ein gestaltbarer Lebensabschnitt sein." klingt mehr nach Horoskop anstatt einer realistischen Option. Gestaltbar ist ein jeglicher Lebensabschnitt nur dann, wenn er entsprechend ökonomisch unterfüttert ist. Dazu muss er aber planbar sein. Mithin kommt man mit esoterisch-positivistischen Plattitüden nicht weiter, sondern braucht schon ein exakt ansteuerbares Ziel. Also ein konkretes Renteneinstiegsalter.

    Mit jugendlicher Ignoranz läuft man fröhlich gegen die Wand hier.

    • @LittleRedRooster:

      "... Menschen auf der Zielgeraden des Arbeitslebens Weiterbildung zu ermöglichen. [...] Dabei gibt es doch viele Berufe, die - den Handlungsmöglichkeiten im hohen Alter angepasst - lange und befriedigend ausgeübt werden können."

       

      "Zweimal abgeschnitten und immer noch zu kurz, sagte der Schneider." Wie alt sind solche "Journalisten" eigentlich, die so etwas schreiben oder bin ich hier in einer Schülerzeitung?

       

      Dass Industrie 4.0 gerade das Verschwinden ganzer Berufssparten ermöglicht und das es in dieser hochtechnisierten Welt voller Maschinen, Computer und Automaten kaum noch echte Jobs gibt, und schon gar nicht mehr für Rentner, sollte doch wohl langsam jedem klar sein.

       

      "Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Menschen von der Arbeit zu befreien." - sagte Götz Werner schon im Juli 2005, in einem Interview der Stuttgarter Zeitung.

  • Langes Arbeiten ist wirtschaftlich notwendig und richtig gestaltet kann es sogar allen Seiten Spaß machen - liest/hört man jetzt an jeder Ecke. Ob SZ, faz oder der pseudosoziale Ökonom von Dienst Marcel Fratzscher - in diesen Tagen sehen alle spätestens mit dem Abtritt von Merkel die glücklichen Zeiten anbrechen, wo die ältere Generation sich so richtig länger mit ihrem Wissen und Kenntnissen einbringen kann.

     

    So viel Heuchelei war selten. Abgesehen davon, dass es einem Dachdecker, Paketzusteller oder einer Pflegekraft schwer zu vermitteln sein könnte, dass sie weiterhin mit 69 zu ihrem/seinen Arbeitsplatz sich schleppen kann, werden hier gesamtwirtschaftliche Sachverhalte völlig außer acht gelassen. Produktivität, Entwicklung vom BIP, Steueraufkommen - das alles spielt in Betrachtung keine Rolle und der Blick des Publikums wird fixiert auf die Demographie und Rentenbeitrag als "Nebenkosten".

     

    Wir zahlen heute etwa 9% des BIPs für Rentenausgaben. Mit Pensionen dürften es unter 10% sein. Das ist anteilmäßig nur etwa 1% mehr als vor 25 Jahren, obwohl die Gruppe der Empfänger um etwa (hab nicht genau im Kopf) 30% angestiegen ist. Also für einen um 1/3 gestiegenen Bevölkerungsanteil steigen die anteiligen Altersversorgungsausgaben um etwa 11%. Rentenpolitik ist pure Verarsche und Umverteilung.

  • Kein Naturgesetz, sondern politische Entscheidung. Man kann die gesetzliche Rente so ausgestalten, dass die Meisten einen Satz oberhalb der Sozialhilfe erhalten. Dazu muss man die Unternehmen wieder paritätisch an der Alterssicherung beteiligen, und den Menschen wieder auskömmliche Löhne und Gehälter zahlen. Es ist ja auch nicht so, dass alte Menschen gesetzlich zur Arbeitsaufgabe gezwungen werden, sondern in den meisten Fällen werden sie mit Tricks vom Arbeitgeber vor die Tür gesetzt, oder ab 58 nicht mehr vermittelt. Das hat mit der Regelaltersgrenze nichts zu tun.

    • @Martin_25:

      Sind die Arbeitgeber nicht mehr paritätisch beteiligt?

      Wäre mir neu.

    • @Martin_25:

      Exakt so ist das! Von einem "erfolgreichen, gestaltbaren Lebensabschnitt" im Alter kann man ruhig träumen und wäre auch erstrebenswert, aber mit der Realität hat das leider für die Meisten wenig zu tun. Und: Irgendwann, so hofft man gerade in den letzten Jahren der Berufstätigkeit, muss doch mal Schluss sein mit der leidigen Lohnsklaverei!

  • Ich stimme zu.. Bei deutlich steigender Lebenserwartung und gleichzeitig zurückgehenden Jahrgangsstärken bei den Jüngeren müssen wir alle länger arbeiten, wenn wir einen gewissen Lebensstandard halten wollen. Eine moderate Weiterarbeit für Büroberüfe auch nach 67 ist überhaupt kein Problem und kann am Ende sogar die Gesundheit fördern, weil sich Menschen gebraucht fühlen und aktiv bleiben.

    • @Kapiert:

      Stimmt nicht - angesichts der aktuellen Produktivität sind die zu konsumierenden Güter ohne die geringsten Probleme herzustellen.

      • @BigRed:

        Falsch. Die Produktivität steigt immer langsamer. Außerdem erhöhen sich auch die Ansprüche. Und nicht zu vergessen medizinische Leistungen. Auf dem Lebensniveau von 1960 könnten sicher alle jetzt schon ab 60 in Rente gehen.

  • Schon der Einstieg in den Artikel ist fragwürdig. Wie wurde denn dieser Generationskonses ermittelt? Gibt es dafür eine statistische Grundlage? Mit dieser Panikmache ist weder Berufsanfängern noch Rentnern gedient.

  • 7G
    74450 (Profil gelöscht)

    "Im aktuellen gesetzlichen Rentensystem werden jetzige Berufseinsteiger keine Rente beziehen. Punkt. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie in 43 oder in 47 Jahren das Beitrittsalter erreichen. Das ist keine große persönliche Erkenntnis, das ist Generationskonsens."

     

    Was soll der Unsinn? Die Menschen erhalten seit über 120 Jahren Renten aus der GRV. Die Versicherung hat zwei Weltkriege und eine Wiedervereinigung überdauert. Woher kommt also diese zweifelhafte Erkenntnis, die hier auch noch als Konsens verkauft wird?

     

    Richtigerweise könnte mensch sagen, die untere Mittelschicht und Geringverdiener*innen werden nach den aktuellen Prognosen keine Rente aus der GRV, sondern Sozialhilfeleistungen bekommen. Dadurch entsteht ein echtes Legitimationsproblem für die Zwangsversicherung. Aber, nicht alle Berufseinsteiger*innen sind Geringverdienende.

  • Äh. "Im aktuellen gesetzlichen Rentensystem werden jetzige Berufseinsteiger keine Rente beziehen. Punkt." – Wo kommt diese "Erkenntnis" her? Ich würde mir wünschen, dieser Einstellung lägen Fakten zugrunde und nicht nur ein (von mir vermutetes) Bauchgefühl. Hat sich der Autor mal tiefer mit der Funktionsweise der gesetzlichen Rentenversicherung beschäftigt?

     

    Seit Jahrzehnten wird die gesetzliche Rente schlechtgeredet. (Und missbraucht, um gesamtgesellschaftliche Verpflichtungen alleine den gesetzlich Rentenversicherten aufzudrücken, siehe z.B. die Mütterrente). Wo der Wahn der totalen Privatisierung der Altersvorsorge hinführt, kann man an den Plänen der Autobahnprivatisierung sehen, die nicht zuletzt den Versicherern _sichere_ Einkünfte verschaffen sollte, die am Kapitalmarkt aktuell nur noch mit Schwierigkeiten zu erlangen sind.

     

    Und hat der Autor sich schon einmal mit älteren und alten Kollegen auseinandergesetzt? Oder bereits selbst Erfahrung mit dem Altern? Sätze wie dieser hier, lassen mich zweifeln: "man gibt sich fast ohnmächtig dem Altern und Zurückblicken auf Erreichtes hin" – wer ist hier man? Spricht hier eigene Erfahrung? Oder doch nur ein Klischee von Alten? (Dem Altern kann man sich übrigens nur ohnmächtig hingeben, nebenbei bemerkt.)

     

    So richtig ich eine Idee des Alter neu Denkens finde, so falsch finde ich auch die im Kommentar ausgedrückten Pauschalisierungen. Im Durchschnitt sind ältere Menschen unbeweglicher und lernen nicht mehr so gut. Ältere Menschen lassen sich im Durchschnitt auch nicht mehr so leicht vor jeden Karren spannen, weil sie eben oft schon einige neue Besen schlecht kehren haben sehen - und Widerstände sind für Arbeitgeber eben meist nicht attraktiv.

     

    Aber es sind eben alle Menschen Individuen. Auch im Alter, dessen Effekte ja auch nicht bei jedem gleich früh eintreten. In der Pauschalisierung des Alters in ein Bündel von für jeden gleichartig gültigen Eigenschaften liegt das Gift, das es zu entfernen gälte.