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Kommentar Reform Paragraf 219aDer Paragraf gehört gestrichen

Patricia Hecht
Kommentar von Patricia Hecht

Die Reform von 219a bringt nichts außer maximaler Rechtsunsicherheit. Das Bundesverfassungsgericht muss Klarheit schaffen.

Amtsgericht Berlin: Während des Prozesses gegen zwei Gynäkologinnen zeigen Protestierende Haltung Foto: Christian Ditsch

J etzt ist klar, dass nichts klar ist. Die Reform des Paragrafen 219a im Februar hat weder dazu geführt, dass ÄrztInnen verstehen können, ob und in welcher Form sie auf ihren Websites darüber informieren dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche machen. Noch hat sie dazu geführt, dass Gerichte einheitlich über diesen Umstand urteilen. Und schon gar nicht hat sie dazu geführt, dass Frauen Zugang zu Informationen haben, die in Notlagen wie ungewollten Schwangerschaften dringend nötig sind.

Am Freitag ist das Strafverfahren gegen zwei Kasseler Ärztinnen eingestellt worden. Die Begründung: Nach altem Recht sei die „Tat“, den Halbsatz „Schwangerschaftsabbruch, operativ oder medikamentös“ auf ihre Website zu stellen, strafbar gewesen – nach neuem Recht aber nicht. Schön für die ÄrztInnen, sollte man meinen.

Das Problem: Erst vor drei Wochen wurden zwei Berliner Ärztinnen zu einer Geldstrafe von jeweils 2.000 Euro verurteilt – wegen einer ähnlichen Mitteilung und ebenfalls nach der neuen Rechtslage. Und das Verfahren gegen die Gießener Ärztin Kristina Hänel wurde gerade ans Landgericht zurückverwiesen, weil dieses noch nach altem Recht geurteilt hatte. Hänels Anwalt geht davon aus, dass sie nach neuem Recht erneut verurteilt werden wird.

Was also bleibt von der Reform des Paragrafen 219a, ist maximale Rechtsunsicherheit. ÄrztInnen, auch diejenigen, deren Verfahren gerade eingestellt wurde, können immer wieder aufs Neue von militanten AbtreibungsgegnerInnen angezeigt werden. Der nächste Richter, die nächste Richterin könnte anders entscheiden und doch verurteilen. Diese Situation schreit geradezu nach einer Klärung durch das Bundesverfassungsgericht.

ÄrztInnen haben das Recht, über ihre Leistungen zu informieren, und Frauen haben ein Recht auf Zugang zu diesen Informationen. Sollte das Bundesverfassungsgericht dies respektieren, bleibt nur eins: den Paragrafen 219a endlich zu streichen.

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Patricia Hecht
Redakteurin Inland
war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erschien mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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10 Kommentare

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  • Ein Affentanz um einen Paragraph eines Kompromisses, den keiner verletzt, der es nicht darauf anlegt. So kann man auch sich verschwenden.

  • alles so wie von der Union und anderen rechtskonservativen gewünscht, geplant und umgesetzt.



    Wer den Paragraph 219a sterben sehen will muss dafür sorgen das dieser Schlag Menschen keine Macht mehr erlangt in unserem Land.

  • Die Autorin hat sich selbst schon dafür ausgesprochen, schwangeren Frauen den Zugang zu Informationen möglichst schwer zu machen:

    taz.de/Kommentar-V...luttests/!5584924/

    • @Thomas Friedrich:

      Sorry. Ihren Hirnwindungen kann ich da nicht folgen.

  • Das aus politischen Gründen immer wieder so mutwillig mit Falschinformationen hausiert wird nervt. Es gibt ZAHLREICHE Informationsmöglichkeiten bezüglich Schwangerschaftsabbrüche. Online und Offline. Einfach zugänglich und meistens praktisch Gebündelt auf NGO-Websites. Es gibt absolut KEIN Info-Defizit.

    Außerdem: Ärzte _ dürfen _ nicht _ für _ Abtreibungen _ werben. Punkt. Das ist moralisch sinnvoll. Aus rein humanistischer und sogar auch aus frauen-emanzipatorischer Sicht. Jeder Frauenarzt kennt die Feinheiten dieses Gesetzes und die aktuelle Rechtssprechung. Wer sich über §219a beklagt, tut das aus politischem Kalkül, aber sicher nicht nach reifer Würdigung aller gesellschaftlichen, medizinischen und juristischen Fakten.

    • @grim:

      technisch mag man gute Informationen bekommen... ich fand den Wikipedia Artikel zum Thema sehr ausführlich, bin aber ein Speziallist.



      Aber wenn ein Arzt mitteilt welche Behandlungen mit welcher Methode durchgeführt werden können, IST DAS KEINE WERBUNG SONDERN INFORMATION.



      Außerdem ist es Blödsinn da das Gesetzt den Schwachsinn erlaubt das quasi jeder Bundesbürger für einen Arzt als Proxy informieren darf (den dann gilt das Argument der Gewinnerziehlungsabsicht nicht mehr), ein Arzt die gleiche Information aber nicht bereitstellen darf.



      Außerdem glaube ich nicht das die geistige Intention mit der der Artikel eingeführt wurde heute noch von einer Mehrheit der Bürger unterstützt wird.



      Leider fehlt dem Volk die Möglichkeit Gesetze auf den Prüfstand zu stellen und ggf. wenn es seine Zeit überdauert hat diese auch zu ändern.

    • @grim:

      Welche humanistischen oder frauen-emanzipatorischen Probleme ergeben sich, wenn Ärzte in dem Maße über Abtreibung informieren wie Frau Dr. Hänel dies getan hat?

      • @Thomas Friedrich:

        Frau Hänel ist nicht promoviert und führt daher auch keinen "Dr.". Genauso wenig ist sie Frauenärztin (sondern Allgemeinmedizinerin), weshalb sie keine Kassenzulassung für Abtreibungen hat (das hier nur am Rande). Sie ist nicht verurteilt worden weil sie auf ihrer Seite, wie Sie behaupten, INFORMIERT hat, sondern weil sie für ihre Leistung der Abtreibungen GEWORBEN hat. Sie ist rechtskräftig wegen dieser Straftat verurteilt.



        Wenn Sie die Probleme von Werbung für Abtreibung genauer interessieren, empfehle ich ihnen die Gesetzesentstehung von 1995 zu studieren. Ziel ist der Schutz von Frau und Kind. §219a stellt z. B. auch das Abtreiben gegen den Willen der Frau unter Strafe. Vergessen wir auch nicht, dass aktuell rund 100.000 Abtreibungen pro Jahr in Deutschland stattfinden. Ganz ohne Werbung.

        • @grim:

          Werbung im engeren Sinne, also "anpreisende, vergleichende oder irreführende Werbung" ist Ärzten gemäß der Musterberufsordnung (§27) grundsätzlich untersagt. Erlaubt ist nur die sachliche berufsbezogene Information. Ich verstehe nicht, welches Problem sich ergibt, wenn Ärzte sachlich über die Möglichkeit einer Abtreibung informieren dürfen.

          "Ziel ist der Schutz von Frau und Kind."

          Ein Kind existiert zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht. Und wovor soll die Mutter geschützt werden? Eine Geburt ist viel gefährlicher als eine Abtreibung.

          Außerdem bezweifle ich, dass irgendeine Frau durch sachliche Information auf der Homepage einer Ärztin zu einer unfreiwilligen Abtreibung genötigt wird.

  • Bei dem Muffensausen, dass die C Parteien beim Gedanken noch mehr 21.Jahrhundertphobiker an die ´Deutschland in den Mannesfreiheitsgrenzen von vor 1968´ Partei zu verlieren, ist da politisch nichts zu machen.



    Da lieber auf´s Verfassungsgericht warten.



    Ob dass sich allerdings dazu herablässt notfallkaisergleich brauchbare Vorgaben zu machen, die über ´dat war nix, noch e mol´ hinausgehen?



    Ich denke, wir warten auf die Bundestagswahl, oder Godot.