Kommentar Präsidentenwahl Österreich: Das Lachen im Hals
Die Präsidentenstichwahl gerät zur Lachnummer. Die FPÖ hetzt über das „System“, doch van der Bellen gibt sich staatsmännisch und ausgleichend.
E rst eine Präsidentenstichwahl, bei der es zu landestypischen Schlampereien kommt, dann ein Verfassungsgerichtshof, der das Ergebnis mit einer Erkenntnis aufhebt, die von den meisten Experten mittlerweile für ein krasses Fehlurteil gehalten wird. Und jetzt auch noch ein Wahltermin, der verschoben werden muss, weil der Kleber nicht hält? Österreichs Präsidentenstichwahl wird zur Lachnummer. Bundespräsidentenstichwahlwiederholungsverschiebung – bei diesem Wortungetüm bleibt einem das Lachen im Hals stecken.
Seit bald acht Monaten ist Österreich jetzt im Präsidentschaftswahlkampf – die letzten fünf davon im Entscheidungswahlkampf zwischen dem grünen Kandidaten Alexander van der Bellen und dem der rechtsradikalen Freiheitlichen Partei, Norbert Hofer. Fünf Monate extreme Polarisierung, fünf Monate hochgehende Emotionen – und jetzt kommen noch mindestens zweieinhalb dazu. Schon machen Scherzbildchen die Runde: „Präsidentenwahl 2016–2019 – ich war dabei.“
Welche Auswirkungen kann dieses Fiasko auf die Wahl selbst haben, die voraussichtlich Anfang Dezember stattfindet? Alexander van der Bellens Wahlkampf hatte in den letzten Wochen viel Momentum, unzählige Initiativen aus der Zivilgesellschaft machen sich für ihn stark – dieser Lauf ist jetzt durch die neuerliche Panne erst einmal gestoppt. Zugleich positioniert sich sein Gegner als Anti-Establishment-Kandidat, und die FPÖ trommelt jetzt natürlich fleißig, dass „das System“ diesen Wahlkartenskandal verursacht hat. Alles, was Zorn auf die Regierung begründet, hilft zunächst dem Anti-System-Kandidaten.
Aber die Polarisierung und die zunehmend radikalisierte Anti-System-Rhetorik, in die sich die FPÖ hineinschraubt, kann letztlich auch dem grünen Kandidaten nützen. Er wächst mehr und mehr in die präsidiale Rolle hinein, gibt sich staatsmännisch und ausgleichend – während sein Konkurrent Gefahr läuft, ein rein ultrarechtes Programm für seine Stammklientel zu fahren und darüber die Mitte zu verlieren.
Anti-System-Zorn versus maßvolle Vernunft: Man wird sehen, welche dieser beiden Dynamiken den Ausschlag geben wird. Das Land ist gespalten. Nur eines eint die Österreicher und Österreicherinnen wohl: Die meisten hätten diese endlose Geschichte gern schon hinter sich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“