Kommentar Organspendegesetzentwurf: Bis dass der Tod entscheidet
Wenn die geplante doppelte Widerspruchslösung kommt, könnte die Bereitschaft zur Organspende sogar sinken. Es braucht eine Freiheit zur Entscheidung.
Wie auch immer die politischen Vorhaben ausgehen, ein Erfolg ist sicher: Es wird in Deutschland nun eine breite Diskussion über die Bereitschaft zur Organspende geben. Das ist gut, selbst wenn man den Gesetzentwurf zur sogenannten doppelten Widerspruchslösung, den eine Gruppe von Abgeordneten, darunter CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn und der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach am Montag vorstellten, nicht teilt.
Laut dem Entwurf soll künftig im Todesfall automatisch als Organspender gelten, wer zuvor nicht explizit einer Organspende widersprochen hat und dieses Nein in ein Register eintragen ließ. Natürlich ist das kein „Zwang zur Organspende“. Aber es ist eben etwas völlig anderes, ob man einem Menschen automatisch einen Willen unterstellt, sofern er oder sie nicht explizit widersprochen hat, oder ob man diese Person direkt gefragt hat, was sie wirklich möchte und sich nur nach einer klaren Willensbekundung richtet. Jeder Konsument, der schon mal einen Kündigungstermin versäumt hat und nun leider gezwungen ist, den Handyvertrag noch zwei Jahre weiterzuführen, kennt den Unterschied.
Nun hat eine Organspende aber nichts mit Konsumwirtschaft zu tun. Hier muss es erst recht die Freiheit geben, ja oder nein zu sagen oder eben auch „ich will mich nicht entscheiden müssen, mich mit dieser Frage nicht beschäftigen“. Jede Sorge, der Staat könnte in die Selbstbestimmung über den eigenen Körper eingreifen, sorgt für Unbehagen, erst recht in Deutschland mit seiner Geschichte. Es besteht die Gefahr, dass die Bereitschaft zur Organspende, die laut Umfragen durchaus hoch ist, am Ende durch ein als Zwangsverpflichtung empfundenes Gesetz sogar wieder sinken könnte.
Das heißt nicht, dass man das Leid Schwerkranker auf den Wartelisten ignoriert. Es gibt Menschen, die Organspendeausweise haben, die Transplantierte persönlich kennen – und die sich trotzdem unwohl fühlen mit einer Widerspruchslösung. Sie wollen eine Zustimmungslösung, mit Respekt und Wertschätzung für ein Ja zur Spende. Der angekündigte Entwurf der Grünen und anderer Abgeordneter weist hier in die richtige Richtung.
Derzeit sind viel mehr Menschen bereit zur Organspende, als es Ausweisinhaber gibt. Und im Ernstfall haben diese potenziellen Spender das Papierchen dann oft gar nicht dabei. Sinnvoll ist, ein bundesweites Register einzurichten, in das sich jeder unbürokratisch als Spender oder Spenderin eintragen kann, vielleicht beim Hausarzt. Das wäre ein Mittel, um die Zahl der Spendenorgane zu erhöhen, auch ohne eine Widerspruchslösung. Und dann kann man weitersehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los