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Kommentar Nazi-Angriff in LeipzigEin Quasipogrom, kein Aufschrei

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Die Ausschreitungen in Leipzig und auch die Hetzjagden auf Menschen in Köln werden mit Gleichmut hingenommen. Wie kann das sein?

250 rechtsradikale Hooligans haben am Montag Straßen in Connewitz verwüstet Foto: dpa

S eit mehr als einer Woche debattiert die Republik nun über die massenhaften Übergriffe in der Silvesternacht, nicht ganz frei von hysterischen Untertönen. Es gibt ein „vor Köln“ und ein „nach Köln“, als hätte es dort einen Terroranschlag gegeben.

Im Vergleich dazu nimmt das Land die Ausschreitungen rechter Gruppen in Leipzig, die zum Legida-Jahrestag den „alternativen“ Stadtteil Connewitz überfallen und eine Schneise der Verwüstung gezogen haben, mit erstaunlichem Gleichmut hin. Leipzigs Bürgermeister spricht zwar von „Straßenterror“, und manche fühlen sich an die Dreißigerjahre erinnert. Doch das bundesweite Echo fällt lau aus. Kein Bundespolitiker fordert härtere Strafen und „null Toleranz“, und auf den „ARD-Brennpunkt“ zum Thema wird man wohl lange warten müssen.

Dabei wirft das Quasipogrom von Leipzig viele Fragen auf. Ist Leipzig-Connewitz ein rechtsfreier Raum, in dem organisierte Banden ungestraft wüten können? Hat die Polizei versagt, die Bewohner des Stadtteils zu schützen, weil sie die Gefahr unterschätzt hat? Oder hat sie die Ausschreitungen bewusst zugelassen? Denn es gab Hinweise, die den Überfall ankündigten, und ein Maulwurf bei der Polizei hat Interna an die NPD geliefert.

Aufgrund der Westzentriertheit der deutschen Leitmedien ist nicht zu erwarten, dass sie diesen Fragen ernsthaft nachgehen und sie beantworten werden. Das bleibt der Lokalpresse überlassen. Dabei haben sie bundesweite Relevanz. Denn auch anderswo veranstalten Pegida-Anhänger und rechtsradikale „Bürgerwehren“ inzwischen Hetzjagden auf Menschen, die in ihren Augen irgendwie ausländisch aussehen. Das geschieht inzwischen am helllichten Tage, etwa in Köln.

Man könnte deshalb auch fragen: Welche Rolle spielt die mitteleuropäische Herkunft der Täter? Oder: Gehört Gewalt gegen Andersdenkende und Andersaussehende so sehr zu „unserer Kultur“, dass sie von vielen nicht als Skandal empfunden wird? Denn der große Aufschrei blieb bislang aus.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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